Dr. Wewetzer: Kosmetik am Cholesterin
Medikamente gegen zu hohes Cholesterin haben sich in den letzten 20 Jahren bewährt. Die Wirkstoffe aus der Gruppe der Statine (etwa Simvastatin und Atorvastatin) helfen sogar bei Patienten, die gar keine erhöhten Cholesterinwerte haben, aber herzkrank sind.
Bei ihnen wird das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, verringert und das Überleben verlängert. Merkwürdig ist noch etwas anderes. Die Statine nützen in vielen Fällen selbst dann, wenn sie einen hohen Cholesterinspiegel nicht in den Normalbereich herunterdrücken. Zugespitzt gesagt: Egal, ob hohes oder niedriges Cholesterin – Hauptsache Statin.
Damit sind wir mittendrin in einer heftigen Medizinerkontroverse. Seit Jahren streitet man sich darüber, ob das „böse“ LDL-Cholesterin bei Herzkranken nun auf einen Zielwert von 100 oder gar 70 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) abgesenkt werden soll oder nicht. Braucht man nur eine feste Dosis für alle oder muss individuell feinjustiert („titriert“) werden? Ist der 70er-Zielwert pure Laborwert-Kosmetik oder hat er einen wirklichen Nutzen? Das klingt akademisch, ist aber von großer Bedeutung für viele Patienten. Ein paar Zahlen: In Deutschland nehmen fünf bis sechs Millionen täglich ein Statin-Präparat, bei mehr als acht Millionen wäre das Medikament nach Schätzungen insgesamt sogar angebracht. Dazu zählen etwa Patienten mit koronarer Herzkrankheit, also verengten und verkalkten Herzkranzgefäßen, und Menschen mit erhöhtem Cholesterin, bei denen noch andere Risikofaktoren vorhanden sind.
Noch mehr Statine als wir schlucken die Amerikaner. Jeder vierte über 40 bekommt dort ein Präparat verschrieben, meldete die „New York Times“ diese Woche und berichtete über eine weitreichende Änderung der Behandlungsrichtlinien für die Cholesterinsenkung. In den USA, eigentlich dem Land der Intensiv- und Maximaltherapie, haben die Herzspezialisten sich von Zielwerten für das LDL-Cholesterin verabschiedet. Vorausgegangen waren vierjährige Beratungen. Das bedeutet, dass viele Patienten ihre Pillendosis verringern können. Hauptsache Statin eben. Die LDL-Zielwerte hätten frühere Expertenrunden ohnehin „aus der Luft gegriffen“, zitiert die „Times“ den Herzexperten Steven Nissen von der Cleveland-Klinik in Ohio.
„Das macht die Behandlung viel einfacher, spart Kosten für Labortests und verringert Arzneirisiken“, sagt der Arzneimittelexperte Thomas Eschenhagen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Denn die Cholesterin-Zielwerte sind oft nicht erreichbar, die Dosis wird erhöht und irgendwann stellen sich auch bei den eigentlich gut verträglichen Statinen Nebenwirkungen ein.“ Eschenhagen verweist auf große Medikamentenstudien, in denen sich die Cholesterinsenker mit einheitlicher Dosis für alle bewährten. Egal, ob der Wert nun unter 100 oder 70 sank oder nicht. Jedoch klammern sich die deutschen und europäischen Herzspezialisten in ihren Behandlungsempfehlungen nach wie vor an Zielwerte. Man braucht eben einen Halt im Leben.
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Hartmut Wewetzer
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