Update aus der Gastronomie: Kochen, spenden, überleben helfen
Es fehlt an Gästen und an Geld, nur Zeit haben sie jetzt im Überfluss. Die nutzen Berliner Restaurants, sich und anderen zu helfen - ein Überblick
Was passiert, wenn man Gastronomen zwingt, ihr Arbeitspensum von nicht selten mehr als 60 Stunden in der Woche auf Null zurück zu fahren? So ziemlich das Gleiche, als wenn man einen Leistungssportler an die Couch ankettet: Er macht sich und die anderen durch seinen hochtrainierten Tatendrang verrückt. Oder er findet neue Kanäle, sich sinnvoll zu beschäftigen.
Lieferdienste und Take-away-Angebote
An oberster Stelle steht natürlich die Rettung des eigenen Betriebs. Statt Gäste zu bewirten, versorgt man sie jetzt mit Take-away-Boxen zum Selbstabholen oder organisiert einen eigenen Lieferdienst, bei dem sich nicht selten die Mitarbeiter aufs Fahrrad schwingen und das Essen in der näheren Umgebung ausliefern. Eine ständig aktualisierte Liste vieler Angebote finden sie hier.
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Gutscheine
Da ein Lieferservice kaum die laufenden Kosten decken wird, haben sich viele Restaurants dazu entschlossen, Geld zur Überbrückung bei ihren Fans und Stammgästen einzusammeln. Eine schöne Form, die sich auch zum Verschenken eignet, sind Gutscheine. Die werden direkt an der Restauranttür verkauft, aber auch online angeboten: "helfen.Berlin" zum Beispiel ist ein Non-Profit-Portal, das den Betreibern von Restaurants, Bars, Clubs, Museen und Theatern eine kostenlose Registrierung anbietet, und das so schnell wie möglich den Gutscheinverkauf organisiert. Auch über das Portal „Pay now, eat later” haben bereits viele Berliner Gastronomen ein Gutscheinangebot platziert, etwas weniger ist noch auf den Berlinseiten von restaurant-hero.de los.
Crowdfunding
Vermutlich wird auch das bei den meisten nicht zum Überleben reichen, weshalb sich immer mehr Crowdfunding-Kampagnen auf „startnext.de“ finden, mit denen man sein Lieblingsrestaurant direkt finanziell unterstützen kann. Auf "startnext" hat auch die von "Tulus Lotrek"-Inhaber Max Strohe ins Leben gerufene Initiative „Kochen für Helden“ eine Spendenaktion eingerichtet. Bis Freitag sollen so 50 000 Euro gesammelt werden, um die Versorgung von Ärzten, Pflegern und anderen Helfern in medizinischen und Betreuungseinrichtungen mit warmen Mahlzeiten bis Anfang Juli zu ermöglichen. Bis Mittwoch kamen so immerhin schon fast 20 000 Euro zusammen. Mittlerweile beteiligen sich auch andere Restaurants neben dem „Tulus Lotrek“ an der Aktion, die inzwischen deutschlandweit aufgegriffen wird.
Soliküche
Philipp Vogel, Geschäftsführer des Kreuzberger Hotels Orania und Küchenchef des dazu gehörenden Restaurants, hat sich schnell für eine eigene Aktion entschieden. Als er mitbekam, dass es der Obdachlosenhilfe Berlin an Lebensmitteln mangelt, meldete er Unterstützung an. Seine Kühlräume waren voll, vor allem mit Ente, einer Spezialität seines Restaurants. Am Mittwochnachmittag gingen 300 zubereitete Portionen raus, die die Obdachlosenhilfe unter anderem am Kottbusser Tor und am Alex an Bedürftige verteilt. Ab sofort kocht das Orania mittwochs, samstags und sonntags für Obdachlose. "Das sind die Menschen, denen es momentan am schlechtesten geht", sagt Philipp Vogel. Die nächsten sechs Touren sind gesichert: Der Gastronomie-Zulieferer Hamberger spendiert in großem Umfang Grundnahrungsmittel wie Linsen und Reis, die "Deutsche See" hat 60 Kilo Fisch angekündigt. Soliküche ist für das "Orania" nichts Neues. Das Hotel hilft seit seiner Eröffnung 2017 der St. Jacobi-Kirche und von September bis Februar auch der Tabor-Kirche mit Essen, Lebensmitteln und Kleiderspenden.
Andere Hilfe kommt inzwischen auch aus der Soliküche des “Speisekombinats”. Für 7 Euro kann man online einen Gutschein für eine Mahlzeit kaufen, die dann für Obdachlose und Bedürftigen zu Gute kommt.
Erntehelfer
Eine ganz andere Form der Unterstützung kommt jetzt von der Plattform „Clever ackern“: Freiwillige Hilfskräfte können sich hier unverbindlich anmelden und werden informiert, wenn es zum Ernteeinsatz bei einem der registrierten Landwirte kommen sollte. Positiver Nebeneffekt: So rücken Städter und Landwirte näher zusammen und bilden Verbindungen, die auch über die Krise hinaus bestand haben werden.
Desinfektionsmittel statt Schnaps
In England hat es "BrewDog" bereits vorgemacht: Die Produktion von Genuss- auf Desinfektionsmittel umzustellen. Das ist dort aber nur möglich, weil die Craft-Bier-Brauer nebenbei auch eine Destille betreiben, wo sie jetzt hochprozentiges Ethanol herstellen können. In Berlin Marzahn brennt die "Deutsche Spirituosen Manufaktur" eigentlich Brände, Geiste, Gin und Vodka in kleinen Auflagen. Aber das Geschäft läuft gerade nicht gut - was tun? "Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen“, sagt Tim Müller, Geschäftsführer der Manufaktur. Also werden Bestände jetzt in 96-prozentiges Ethanol für die Produktion von Händedesinfektionsmitteln nach WHO-Standard umgewandelt. Einige tausend Flaschen des Desinfektionsmittels werden in den nächsten Wochen an Berliner Altenheime gespendet, der Rest wird ab dem kommenden Freitag als Handdesinfektionsmittel im Store der Manufaktur in der Torstr. 141, Mitte von Mo-Fr 9-18 Uhr oder im Onlineshop verkauft.
Kochboxen vom Spitzenkoch
Daniel Schmidthaler, der experimentierfreudige Küchenchef aus Fürstenhagen in Mecklenburg, ist Aushängeschild einer Aktion, mit der das Know-How guter Köche zusammen mit guten, passgenau in einer Box zusammengestellten Produkten ins Haus geliefert werden soll. Die Idee stammt vom Gastronomie-Lieferanten "Havelland Express", der auch den Großcaterer "Optimahl" ins Boot geholt hat – Unternehmen, die unter der Corona-Krise wegen des Totalausfalls der Gastronomie am meisten leiden. Havelland-Geschäftsführer Michael Kunzmann möchte damit aber nicht nur einen Basisumsatz retten, sondern auch den Köchen etwas zu tun geben: "Die waren es gewohnt, 60 bis 70 Stunden in der Woche zu arbeiten und halten es jetzt einfach nicht aus, nur rumzusitzen." Die Grundidee: Ein Spitzenkoch entwickelt ein für Amateure nachkochbares Rezept, Havelland beschafft die Produkte. „Ein Riesenproblem“, sagt Kunzmann, „weil die meisten Lieferketten vor allem nach Frankreich zusammengebrochen sind.“ Optimahl schließlich packt die Boxen zusammen und Havelland wiederum übernimmt die Lieferlogistik. Als Starttermin ist Freitag nächster Woche angepeilt, und wenn alles gut läuft, sollen weitere Top-Köche einsteigen. Schmidthaler arbeitet parallel an einem Online-Kochkurs. Und es sind weitere Boxen in Arbeit: Eine wird für Kinder konzipiert sein, eine für Vegetarier, und eine wird die Produkte der Farm "Katerbow" herausstellen, an der Kunzmann beteiligt ist. Näheres gibt es dann auf havelland-express.de
Ein Lied in dunkler Zeit
Eine besonders schöne Art, die freie Zeit sinnvoll zu nutzen, hat sich Gastgeberin und ausgebildete Sopranistin Bini Lee vom „Kochu Karu“ ausgedacht: Um sich für den regen Abverkauf an Gutscheinen zu bedanken, singt sie auf Youtube „Frühlingsglaube“ von Franz Schubert (Text von Johann Ludwig Uhland) - zur Erbauung in gänzlich unerbaulichen Zeiten.