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Auch bekannt als Borneo Gespenstschrecke: die Kleine Dornschrecke.
© Illustration: Andree Volkmann

Berliner SCHNAUZEN (78): Kleine Dornschrecke

Ein Tier, das mehr Namen hat als Beine. Wir besuchen die Kleine Dornschrecke.

Vorbildlich, dieser Kleine Dornschreck, möchte man meinen. Ganz der moderne Vater. Bei der Geburt des Nachwuchses nicht irgendwo unterwegs auf der Jagd oder gar schon bei der nächsten Paarungsbekanntschaft, sondern hautnah dabei. Buchstäblich. Festgeklammert auf dem Rücken der Mutter. Romantische Zweisamkeit im Insektenreich.

Aber auch dieses Klammern ist – wie fast alles, was die Kleine Dornschrecke angeht – bei genauerem Hinsehen nicht das, als was es zuerst scheint.

Das geht schon beim Namen los. Wie heißt das in Südostasien beheimatete, fünf bis zehn Zentimeter lange, hellbraun bis dunkelbraune nachtaktive Insekt denn jetzt korrekt? Borneo Gespenstschrecke? Stachelgespenstschrecke? Borneo Stachelstabschrecke? Je nach Nachschlagewerk, variiert das gehörig. Tierpfleger Shahin Tavangari, im Aquarium des Zoos zuständig für die Insekten, grinst. „Die deutschen Namen denken sich Zoos oft aus“, gesteht er. In der Regel gibt es nämlich gar keine. Die werden erst gebraucht, wenn jemand die Tiere verkaufen will, und so kann es sein, dass ein und dieselbe Art in Hamburg anders heißt als in Köln. Die Fachleute benutzen nur die lateinischen Bezeichnungen, sagt Tavangari. Die lautet in diesem Fall „Areaton asperrimus“. Immerhin das ist einfach zu erklären, wenn man sich das wie aus Stöckchen gebaute Tier anschaut: asperrimus wie lateinisch „asper“ (rau) und „rimosus“ (voller Risse). Wobei. So einfach ist es dann auch wieder nicht. Denn in dem Terrarium sitzen wohl gar keine Kleinen Dornschrecken ... Wie jetzt?

Wie kommt der Hybrid in den Schaukasten?

Im Lager über den Ausstellungsräumen angelt Tavangari ein rund zehn Zentimeter langes Weibchen mit zwei Fingern aus einem Glaskasten und klärt auf: „Der Unterschied ist minimal. Auf dem Rücken fehlt nur eine farbliche Pigmentierung. Der Laie sieht den Unterschied gar nicht.“ Wahrscheinlich waren, als die Tiere vor vier Jahren gekauft wurden, ein paar Riesendornschrecken (Trachyaretaon carmelae) dabei. Die Tiere paarten sich, und so entstand jener Hybrid, der jetzt den Schaukasten bevölkert.

Beliebt sind die Dornschrecken auch bei Terrariumsbesitzern, denn sie sind pflegeleicht und billig. Rund einen Euro zahlt man bei einem Züchter für ein Exemplar. Oft liest man, sie fräßen nur Brombeerblätter, aber das sei Quatsch, versichert Tavangari. Ob Efeu, Eiche, Hasel oder Brombeere sei den Tieren reichlich egal.

Moment mal? Fehlt dem Weibchen da nicht ein Bein? Ja, sagt Tavangari. Das passiere manchmal. „Die bleiben irgendwo hängen und lassen die Extremität dann einfach abfallen.“ Bei jungen Tieren wachse so ein Bein schnell nach. Jung ist dabei aber relativ. Maximal ein Jahr wird so eine Dornschrecke im Durchschnitt.

Was uns zum Tod und damit zurück zur Geburt und dem anhänglichen Männchen bringt. Tagelang klebt er seiner Partnerin vor und nach der Paarung auf dem Rücken. Mit inniger Zuneigung hat das jedoch wenig zu tun. Eher mit Besitzstandsdenken. „Die gehen so sicher, dass kein anderer an ihr Weibchen rankommt“, erklärt Tavangari. Manch einer lässt sogar nie mehr los. Bis er stirbt. Patriarchat statt Teilhabe. Vielleicht doch kein so gutes Beispiel für moderne Vaterschaft.

KLEINE DORNSCHRECKE IM AQUARIUM

Besonderheit:  Die Weibchen sind deutlich größer als die Männchen

Interessanter Nachbar: Schachbrettschabe

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