Alle reden vom Westen. Wie von einer neuen Entdeckung. Aber was macht eigentlich der Kempinski-Grill, der lange als erstes Haus am Platze galt? Noch Anfang der 70er Jahre durfte Shirley Bassey dort nicht speisen, weil sie darauf bestand, einen Hosenanzug zu tragen, was im Kempinski damals noch als für Frauen nicht angemessen galt. Dafür gab es für Herbert von Karajan eine Sonderregel: Er musste nicht, wie die anderen Herren, Jackett tragen, sondern durfte die Grill-Spezialitäten ganz lässig im Pullover genießen. Lange her. Heute heißt der Dresscode „Smart Casual“.
Das Restaurant hinter den großen Schaufenstern hat immer noch einen gewissen Old-World-Charme. Nicht viele der betont festlich mit blitzenden Gläsern und gestärktem weißen Tuch gedeckten Tische waren besetzt, aber an einem saß tatsächlich ein Herr mit zurückgekämmten weißen Haaren und schwarzer Brille, unserer Vorstellung nach der prototypische Besucher des Grills. Obwohl es auch jüngere Leute gab, sogar eine Frau in Chinos und Pullover. Auf den Tischen blühen weiße Blumen in silbernen Vasen.
Und immer noch kümmert sich eine flotte Restaurantleiterin im Hosenanzug darum, dass die Gäste rasch einen Platz finden, der ihnen genehm ist. Ohne viel Getue rät sie zum Kempinski-Sekt als Aperitif, der auch umgehend in einem großzügig gefüllten, eiskalten Glas serviert wird. Eine Brotauswahl kommt gleich dazu, gesalzene Butter ebenfalls und als Gruß aus der Küche ein saftiges Stück Balik-Lachs mit Dill, Cocktailsoße und Balsamico-Essig. In die hohe Schule vornehmen Gebarens ist ein Schuss Humor eingezogen. Der erfreute uns vor allem bei der Vorspeise. Die wurde nämlich in einer den alten Papp- und Currywurst-Pommes-Tabletts nachempfundenen Porzellanschale serviert: Hausgemachte Bratwurst von der Riesengarnele und Lachs an Curry-Ananas-Soße. Die dünnen kleinen Bratwürstchen waren lauwarm, schmeckten aber gut und angenehm unfettig, die mittelscharfe Currysoße dazu war angereichert mit reichlich Ananasstückchen, statt Brötchen gab es ein schlankes Tortenstück Mille Feuille dazu (9,50 Euro). Eine lustige Idee des Kochs, die auch den sensibleren Besuchern von auswärts die Möglichkeit bietet, echte Berliner Currywurst zu probieren, nur eben figurschonend.
Sehr gut gefiel uns auch die gebackene Artischockenkrokette mit einer achtbaren Portion leicht geräucherten rosig gegrillten Lammrückens, der mit feuerrot blühender Kapuzinerkresse, gelber Minipaprika und Mangold malerisch inszeniert war (19 Euro). Kleine, aber feine Jakobsmuscheln teilten sich mit saftigen Seeteufelstücken einen kräftigen Zitronengrasspieß, der sein Aroma gut dosiert abgab. Dazu harmonierten Mangoldgemüse und Safrantaler aus samtigem Kartoffelschnee (33 Euro).
Auch der Fleischgang kam nicht ohne Zitronengrasspieß aus. Diesmal waren Würfel vom Kalbsfilet und Rinderfiletspitzen aufgereiht, gut durch gebraten, also nicht ganz superzart. Dafür brachten sie den Bratenduft direkt an den Tisch. Kleine Kartoffeln, Zucchini, rote Minipaprika und eine hinreißende Soße aus Dijonsenf mit vielen Pfefferkörnern ergänzten den Spieß harmonisch. Das Ganze war auch noch flambiert worden, allerdings in der Küche, weil es am Tisch für die Kellner zu gefährlich wäre. So hat man es uns jedenfalls erklärt (29 Euro). Beim Nachtisch wollten wir uns eine Portion teilen und bekamen dann gleich zwei Miniportionen auf verschiedenen Tellern serviert. Es gab Zitronengrasgelee mit Nektarinen, Erdbeeren und Blaubeeren. Dazu Sauerrahmeis und statt des angekündigten Krokants Minzblätter und Milchschaum (9 Euro).
Die Weinkarte ist gut bestückt, mit gehobenen Preisen. Der 2011er Zenato Lugana San Benedetto aus Venezien gehört noch zu den preiswerteren Tropfen und passte mit seiner vollen Fruchtigkeit sehr gut zu den kräftigen Grillgerichten. Zum Abschluss gab es noch Petits Fours mit Früchten und gute Trüffelpralinen. Auch wenn das Scheinwerferlicht seine Kegel längst woanders hinwirft, bietet sich der Grill für ein entspanntes nostalgisches Erlebnis an. Berlin ohne Hype. Das war einmal. Hier ist es noch so.
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