Speise aus Peru: Kalt erfrischt
Fisch in Limettensaft ist Perus Nationalgericht. Nun kommt Ceviche auch nach Berlin. Eine Reise zu den Ursprüngen des neuen Trends.
Ein ganz heißes Ding sei das, dieses Ceviche. Zwar kalt gegart, wie man im Küchenjargon sagt, trotzdem soll das Fischgericht eines der Trendgerichte des Jahres werden. Glaubt Stephan Hentschel, Küchenchef des Cookies Cream in Mitte. Und schwärmt wie folgt von dem Essen: „Ceviche ist wie kulinarisches Koks.“ Es gelte im Ursprungsland Peru als Aphrodisiakum, gebe dem Körper Energie, und man fühle sich danach wach. Wahrscheinlich hat der junge Mann im angeschlossenen Club Cookies bereits einiges gesehen, das diese Einschätzung rechtfertigt. Der Koch mit den rötlichen, schulterlangen Haaren und dem Kinnbart grinst und schweigt.
Für Ceviche schneidet man frischen weißleibigen Fisch klein, legt ihn wenige Minuten in Limettensaft ein und gibt Zwiebeln, Koriander und Chili dazu. Im New Yorker Edelrestaurant Nobu ist das Gericht ein Dauerbrenner, in Miami oder London bieten Dutzende Restaurants die südamerikanische Spezialität an, nun rollt auch in Berlin die kulinarische Revolution an. Einige Lokale wie das „Bebe Rebozo“ nahe des Hauptbahnhofs oder das „Sabor Latino“ in Wilmersdorf haben das Essen auf ihrer Karte, eine breite Öffentlichkeit kennt die Sushi-Alternative noch nicht.
Deshalb war es goldrichtig, was Hentschel und sein Mitstreiter Fabian Johow sich im Dezember ausdachten. Sie eröffneten für zwei Tage das erste Ceviche-Pop-up-Restaurant. In einem leer stehenden Ladenlokal an der Torstraße bereiteten sie das Essen mit Wolfsbarsch zu. Der Zuspruch war „sensationell“, sagt Hentschel, demnächst wollen die zwei Männer noch einmal öffnen, bevor ein anderer Gastronom ihnen das Monopol wegnimmt. Ein Trend kommt auf die Berliner, ja auf die Deutschen zu? „Auf jeden Fall“, sagt Stephan Hentschel.
Dass Ceviche weltweit erfolgreich ist, liegt auch an der Zeit, in der wir leben. Die Menschen achten stärker auf ihre Körper und Gesundheit, das Fischgericht sei eine „Proteinbombe“, so Hentschel, habe kaum Kalorien. „Es geht wahrscheinlich nicht besser aus gesundheitlicher Sicht.“ Um die 300 Kalorien hat eine Portion dieses Fischsalats, 100 Gramm Schokoladenmousse haben schon mehr.
Das Rezept für Ceviche gibt es schon seit Jahrhunderten. Wahrscheinlich kam es nach der spanischen Kolonisation zum ersten Mal auf die Teller der peruanischen Bevölkerung. Schließlich brachten erst die conquistadores Zitrusfrüchte wie Limetten ins Land. Ceviche war ein Arme-Leute-Essen. Frischer Fisch, möglicherweise auch Reste, wurden in mundgerechte Happen geschnitten, der Limettensaft darüber gegossen, lokale Produkte wie Zwiebeln oder cilantro, der Koriander, dazugegeben.
Stephan Hentschel kennt eine Legende, nach der die Hochseefischer Ceviche erfanden. „Diese fuhren den ganzen Tag auf dem Pazifik. Wenn sie Hunger verspürten, nahmen sie sich einige der gefangenen Fische und bereiteten sie mit Limetten zu. Auf den Booten hatten sie ja keinen Platz, um etwas zu kochen.“ Unbewusst garten die Fischer auf diese Weise ihren Fang, durch die Zitronensäure gerann das Eiweiß und verlieh dem Fisch Biss.
In Peru ist man stolz auf diese einfache Speise. Das Land hat sie sogar zum nationalen Erbe gekürt – und den 28. Juni zum offiziellen Ceviche-Tag erklärt. Der Erfinder der Molekularküche, Ferran Adrià, erklärte: „Ceviche wurde in Peru geboren, das authentische Ceviche findet man deshalb dort.“ Und der britische „Observer“ riet seinen erlebnishungrigen Lesern, nach Lima zu fahren, um ein echtes Ceviche zu probieren.
Genauer gesagt empfahlen die Briten ein Lokal in der Straße Enrique Léon Garcia 14 im Stadtviertel Santa Catalina. Es heißt Chez Wong, verfügt über knapp zehn Tische, hat nur zur Mittagszeit geöffnet und wird auf der anerkannten Liste der „50 besten Restaurants der Welt“ als regionales Highlight geführt. Ganz bestimmt ist es kein architektonischer Hingucker. Das geduckte Haus mit selbiger Adresse ist im besten Fall unauffällig, an der Tür steht nur eine Hausnummer, kein Hinweis auf das Restaurant. Wer in diese Nebenstraße abseits jeglicher Touristenattraktionen einbiegt, muss klingeln, so wie früher in den illegalen Clubs. Ein Schieber öffnet sich, ein Mann blickt hindurch, erst dann geht das Tor auf.
Es ist nach 14 Uhr, die Sonne ist wie in neun Monaten pro Jahr nicht durch die Wolkendecke Limas durchgedrungen. Javier Wong raucht, er hat seine Hauptarbeitszeit nun hinter sich. Der chinesischstämmige Peruaner trägt ein weißes Barett, zwei Stunden höchste Konzentration auf einem Quadratmeter Arbeitsplatz liegen hinter ihm. Mehr braucht er nicht, erzählt der 64-Jährige, so habe er angefangen, in dem Kiosk seines Onkels Daniel, der Fabrikarbeitern ein schnelles Mittagessen anbot, drüben auf der anderen Seite der Avenida Canadá, im Viertel Balconcillo.
Er erzählt, dass er Journalist werden wollte, sich bei seinem ersten Auftrag, der Berichterstattung über einen Mord, übergab und dann lieber etwas anderes machen wollte. Das ist über 30 Jahre her, damals hatte die Inflation das Land im Griff, die linke Terroristengruppe „Leuchtender Pfad“ wütete, tausende Menschen wurden ermordet, und Korruption zwang Peru in die Knie. Dieser eine Quadratmeter im Kiosk, das war der sichere Ort für Javier Wong.
Der Ceviche-Meister hat drei Minuten gesessen, das ist genug. Er steht auf, verrät, wie er 1994 das Haus gekauft, einen Teil des Wohnzimmers abgetrennt und das Lokal eingerichtet hat. Ein paar Tische, Plastikstühle, eine offene Küche, Memorabilia an der Wand. Ein Stilberater hat sich hier keine goldene Nase verdient.
Im Kopf läuft das Leben Wongs vorbei und man bemerkt erst einmal nicht, dass der Chef gerade violette Zwiebeln in einem atemberaubenden Tempo schneidet, während er den Gast ansieht. Er holt eine große Seezunge hervor, packt sie an der Schwanzflosse und trennt mit einem gezielten Schnitt die Haut ab. Nun liegt der weiße Fisch auf der Arbeitsplatte, er schneidet ihn in einer Minute klein, füllt die Happen in eine Schüssel, gibt den Limettensaft hinzu, die Zwiebeln und stellt Chilisoße daneben. „Einfachheit ist Perfektion“, ist sein Motto. Und als man ihn lobt, in nur höchstens vier Minuten ein Essen zubereitet zu haben, lächelt er. „Entschuldigen Sie, ich war ein bisschen langsam.“
Das ist es also, das typische Ceviche, für das Politiker und Schriftsteller hierher pilgern. Im Mund explodiert es, die Mischung aus saurer Limette, mildem Fisch und knackiger Zwiebel hat es in sich. Warum er kein pikantes Chili hinzufüge? Er guckt mitleidig. „Viele Gäste sind Ausländer, Sie wissen ja, die bringen mich um.“ Wer das Gericht wie ein Peruaner essen will, gibt Schärfe hinzu.
Mehr braucht Wong nicht. Eine Mango dem Salat bei- oder ihm Süßkartoffeln unterzumischen, diesen Firlefanz macht er nicht mit. Das dürfen die Köche in Miami oder New York gern ausprobieren. Javier Wong ist ein starrsinniger älterer Herr, der nach Tradition und ohne Rezept kocht. Jeden Tag, erzählt er, esse er seinen Teller Ceviche. Mittags habe er dazu keine Zeit, abends sei der Fisch nicht mehr frisch, also gibt es jeden Morgen eine Portion: „Gegen neun Uhr, nach dem Aufstehen.“
Wong hat vom Siegeszug des Gerichts gehört, seinem Naturell entsprechend glaubt er nicht, dass es außerhalb von Peru überhaupt möglich sei, Ceviche nachzukochen. Woanders auf der Welt gäbe es nun mal keine so gute frische Seezunge – und ohne diesen Fisch kann er sich das Essen nicht vorstellen. Vergangenes Jahr war er in Amerika, in Ohio, in einer Stadt, die auch Lima hieß, keine Seezunge weit und breit. Einen Tag hat er einen Fischhändler gesucht, bis er einen vietnamesischen gefunden hat, der immerhin diese Sorte kannte.
„Kabeljau“, sagt Stephan Hentschel. „Das ist ein dankbarer Fisch. Feines, zartes Fleisch, nicht so tranig, mit dem geht das auch.“ Den peruanischen Purismus hält er nicht durch. Er hat auch schon mal eine Dorade probiert sowie den Wolfsbarsch am Eröffnungsabend, glaubt aber, „das könnte man noch ausreizen“. Sein Geheimnis ist die beigegebene Tigermilch: „Zwei Teile Limettensaft, ein Teil Sahne. Die nimmt dem Saft die Bitterstoffe. Das Säuerliche soll ja nicht den Fisch übertünchen. Dazu gebe ich eine zerstoßene Knoblauchzehe, lasse es zwei drei Stunden stehen, dann ein bisschen schwarzen Pfeffer dazu und fertig.“ Mit der Milch mariniert Hentschel den Fisch, vier Minuten liegen lassen, fertig.
Es ist schon komisch, wie die Regionalküche eines weit entfernten Landes Europa begeistert. „Früher haben wir diese Länder kolonisiert, heute eignen wir uns ihre Kochkultur an“, sagt Stephan Hentschel. Er schätzt die peruanische Küche, attestiert ihr „eine ehrliche Einfachheit“ – und stimmt in diesem Punkt mit Javier Wong überein. Dieses Jahr will der Koch aus dem Cookies Cream wieder Urlaub nehmen, wie jedes zweite Jahr, und dann überlegt er hinunterzufahren, nach Südamerika, nach Peru, dorthin, wo Köche auf mehr als 3000 einheimische Kartoffelsorten zurückgreifen können und sich eine Sternegastronomie entwickelt hat – auch mit Ceviche-Variationen. „Es ist einfach spannend, was da im Moment passiert.“
In Berlin kann man unter anderem Ceviche essen im Bebe Rebozo, Heidestr. 54, oder im Sabor Latino, Badensche Str. 35.
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