Mundpropaganda - das Genuss-Interview: „Junkfood und Comfortfood sind Verniedlichungen von dummem Essen“
Thomas Struck, Filmemacher, gebürtiger Hamburger und Leiter der Berlinale-Reihe „Kulinarisches Kino“ über gutes Street Food und doofe Restaurantnamen
Sie sind viel in der Gastronomie unterwegs, beruflich wie privat …
Meine Frau kocht sehr, sehr gut, und ich esse deshalb meistens zu Hause. Da ich aber auch sehr gerne außer Haus esse, bin ich sehr froh, dass ich seit 13 Jahren den Job beim kulinarischen Kino machen darf, das gibt mir die Gelegenheit, aus dem heimischen Turf auszubrechen und die Spitzen der Berliner Gastronomie zu erkunden.
Ihre Berliner Lieblingsspitzen?
Sebastian Frank vom „Horváth“ ist sensationell gut. Ich mag seine konzentrierte Art, einem Produkt viele Seiten abzugewinnen, es völlig zu verändern und dabei trotzdem noch die Essenz zu erhalten. Das ist ganz großes Handwerk, gepaart mit viel Erfahrung, in die sich auch noch seine Affinität zum Balkan mischt. Best man in this field! Berlin kann man sich natürlich auch ohne Tim Raue nicht vorstellen, das ist völlig klar. Wie ich gehört habe ist sein Mittagstisch auf Freitag und Samstag begrenzt worden. Das ist ein großer Verlust für Geringerverdienende, da stehen wir jetzt Schlange. Er hat uns mit seinem wunderbaren, kräftigen, muskulösen und auch sehr farbigen Stil immer wieder begeistert. Ich vermisse Michael Hoffmann (Ex-„Margaux“) nach wie vor, das war einfach sensationell, was er gemacht hat und ich hoffe, dass er irgendwann hierher zurück an den Herd kommt. Ich finde aber auch, dass etwas Abwegiges wie – ein wirklich doofer Name! – „Nobelhart & Schmutzig“ seine absolute Berechtigung hat. Mit ihrem klaren regionalen Produkt-Stil, mit modernen Kochtechniken und Einflüssen aus der nordischen Küche ziehen sie auch andere mit und begeistern auch die Touris, die genau deshalb hierherkommen. Und sie pflegen ja auch den Kerngedanken von Slow Food – dass das hier seinen Turf findet, ist oberaffengeil!
Das „Kulinarische Kino“ begann ja ungefähr, als in Berlin die Gastronomie begann, Fahrt aufzunehmen und auch international beachtet zu werden…
Ich bin 2001 auf Einladung von Dieter Kosslick aus Hamburg nach Berlin gekommen und habe dann bei dem Workshop „Hunger, Food & Taste“ beim Berlinale Campus den Grundstein für das kulinarische Kino gelegt. Ich erinnere mich auch, als ich das erste Mal bei den „Berliner Meisterköchen“ war – das war noch eine etwas muffige Veranstaltung. Das muss 2006 gewesen sein. Aber dort hatte auch Tim Raue seinen ersten Auftritt – das war für mich schon eine andere Type. Da habe ich gemerkt, dass hier etwas beginnt. Und dass es nicht mehr nur um Geschmack geht, sondern sich etwas mit allen anderen Gebieten verbindet, auch mit Film. So haben wir das Format des „Kulinarischen Kinos“ gefunden, daraus ist dann etwas entstanden, das auch mit der Entwicklung der gastronomischen Szene in Berlin korrespondiert. Das „Kulinarische Kino“ ist bis heute ein die Diversität feierndes Treffen von Gastronomen und Filmfuzzies geblieben, das Publikum schätzt ja diesen interdisziplinären Ansatz.
Die Berlinale ist ja auch ganz schön stressig, wie bleiben Sie während der Festivalvorbereitung und der Berlinale über fit?
Ich habe von den Köchen gelernt: Sport treiben ist gut. Das ist für mich eine wichtige Sache geworden. Das Motto dieses Jahres heißt ja auch „A Taste for Balance“, Balance zu halten ist wichtig, sonst eiert man aus der Kurve. Und ich achte sehr auf gute Qualität, weil man dadurch manchmal weniger isst und weniger trinkt, und manchmal auch nicht, weil es soo gut ist und genug davon da ist.
Wo trinken und essen Sie weniger während der Berlinale?
Ich weiß, dass es sehr gute Weinbars in Berlin gibt, aber die sind leider nicht in meiner Nähe. In meiner Heimatstadt Hamburg ist alles etwas näher zusammen, da findet man immer fußläufig etwas Passendes. Hier in Berlin bin ich zum Leidwesen der Wirte dazu übergegangen, eher zuhause meinen Wein zu trinken. Den besorge ich bei dem für mich großartigsten Weinlieferanten, bei der „Wein & Glas Compagnie“. Da werde ich immer fündig. Ich lese auch sehr gern deren Katalog mit sensationell guten Weinbeschreibungen. Für mich ist Weintrinken ein ganz wesentlicher Teil des Lebensgenusses in meinem jugendlichen Alter von 76 Jahren.
Wohin zum Lunch während der Berlinale?
Wir versuchen, bei uns im Büro zu kochen, denn um den Potsdamer Platz herum ist es eine Katastrophe, mittags etwas zu finden. Doch die Berlinale ist eine Ausnahme. Es stehen wieder fünf supergeile Food-Trucks am Berlinale Palast. Durch die Kooperation mit der Markthalle IX und dem Bite-Club haben wir vor sechs Jahren begonnen, bestes Street Food an den Potsdamer Platz zu bringen. Unsere internationale Klientel schätzt die Berliner Version von Street Food, die anders ist als zum Beispiel die in New York. Aber während des Jahres gibt’s hier zu viel Junkfood; das macht müde, dumm und dick. Doch es wird langsam besser mit „Weilands Wellfood“ und dem neuen Vietnamesen. Sonst ist im Büro das Selberkochen und das Essen zum Teilen angesagt. Junkfood und Comfort Food sind Verniedlichungen von dummem Essen. Wert darauf zu legen, was man isst, ist Teil der Lebenskultur und ein Quell der Freude.
Was ist der Unterschied zwischen Street Food aus Berlin und New York?
Es folgt Dieter Kosslicks Vorstellungen des Vegetarismus: Bei allen Berlinale-Veranstaltungen gibt es kein Fleisch von Landtieren wie Schweine und Hühner. Fisch und Schalentiere sind ihm willkommen. Er ist eben der künstlerische Leiter. Die Gäste, die er hierherholt, sollen sich wohl fühlen. Da ist hochwertiges Street Food ein wichtiger Baustein. Das wird hoffentlich auch in der Zukunft so bleiben.
Die Empfehlungen
Wein & Glas Compagnie, Prinzregentenstr. 2, Kreuzberg
Horváth, Paul-Lincke-Ufer 44a, Kreuzberg
Restaurant Tim Raue, Rudi-Dutschke-Str. 26, Kreuzberg
Nobelhart & Schmutzig, Friedrichstr. 218, Kreuzberg
Weinlands Wellfood, Eichhornstr. 3, Tiergarten