Designer-Austausch: Jenseits der Kleiderberge
Sechs Designer aus Bangladesch besuchen ihre Berliner Kollegen – und lernen viel über Altkleider
„Wo bekommt ihr eigentlich all eure Kleidung her?“, fragt Afsana Ferdousi Wormey. In Bangladesch arbeitet sie als Designerin bei einem großen Bekleidungshersteller, der für europäische Marken produziert. Jetzt steht sie im Atelier des Berliner Labels Water to Wine (Link zur Homepage) und schaut sich eine Mütze an, die aus alten T-Shirts der Recyling-Firma macht. Das wurde von der Berliner Bahnhofsmission gegründet, um übrig gebliebene Altkleiderspenden zu neuen Kleidern und Accessoires zu verarbeiten. Die Designerin Sarah Schwesig zeigt der Gruppe, wie man ein Hemd zuschneiden muss, damit daraus eine Hose wird. Die Designer aus Bangladesch und Berlin drängen sich um den Zuschneidetisch, jeder will sehen, ob die abgeschnittenen Ärmel auch wirklich als Hosenbeine taugen. Wormey fotografiert fleißig.
Das Ziel beim Zuschneiden ist, möglichst wenig Abfall zu produzieren. „Wir wollen zeigen, dass unser Kleidermüll nicht wertlos ist und man noch etwas daraus machen kann“, sagt Schwesig, die ihre Entwürfe im labeleigenen Laden in der Auguststraße 82 in Mitte verkauft. Dort gibt es auch handgefertigte Mützen aus T-Shirts, die früher mal Mitarbeiter der Recycling-Firma Alba trugen. Aus einem T-Shirt werden bis zu drei Mützen. Afsana Ferdousi Wormey ist beeindruckt, sie interessiert sich sehr für Wiederverwertung und Beschaffung von Altkleidern: „Ich brauche selbst immer wieder Nachschub an ausrangierter, aber gut erhaltener Kleidung“, sagt sie. In Bangladesch hat sie ein eigenes Hilfsprojekt, das T-Shirts an Bedürftige im Land verschenkt.
Designer aus Bangladesch entwerfen Mode im Akkord
Ihr Alltag sieht jedoch ganz anders aus, Wormey entwirft für die Textilfirma Team SCL umfangreiche Kollektionen für europäische Großkunden wie New Yorker. Fast im Stundenakkord entwickelt sie für ihre Auftraggeber neue Designs. An einem normalen achtstündigen Arbeitstag entwirft sie gleich mehrere T-Shirt-Motive und entscheidet über die Farbpaletten unterschiedlicher Kollektionen. Manchmal nach eigener Recherche, oft schicken die großen Marken aber auch Moodboards oder Vergleichsteile. In Deutschland lernt sie nun die andere Seite der Mode kennen – und sieht mit eigenen Augen, dass die Bekleidungsmassen, die ihre Heimat exportiert, nicht nur weggeworfen werden. Sechs bengalische und sechs Berliner Designer wurden für das Austauschprojekt „Local – International“ ausgewählt, einer gemeinsamen Aktion des Goethe-Instituts Bangladesch, der Universität der Künste (UdK) und der Kunsthochschule Weißensee. Die deutschen Teilnehmer waren bereits im November mit den Professorinnen Valeska Schmidt-Thomsen von der UdK und Heike Selmer von der Kunsthochschule Weißensee in Bangladesch. „Wir wollten vor allem Aspekte wie Nachhaltigkeit, Fairtrade und lokale Produktion behandeln“, sagt Heike Selmer. Beim aufgeklärten Verbraucher ruft Bangladesch in Verbindung mit Kleidung eher ein ungutes Gefühl hervor. Immer noch präsent sind Unglücke wie der Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik vor fast zwei Jahren, die vielen Todesopfer und unmenschliche Arbeitsbedingungen. „Ich wollte wissen, ob das wirklich überall so ist,“ erzählt Stefan Webelhorst, einer der deutschen Teilnehmer.
In Bangladesch besuchte die Gruppe eine Fabrik, sprach mit Modeunternehmern und lernte traditionelle Handwerkstechniken in einem kleinen Dorf im Norden kennen. Mit Steinstempeln drucken sie traditionelle Muster auf helle Leinentücher. Lange bevor die Industriestaaten Bangladesch als Modeproduzenten entdeckten, galt der asiatische Kleinstaat als Indigo-Experte; die sattblaue Färbung hat hier eine lange Tradition.
Bangladesch ist nach China weltweit der größte Exporteur von Kleidung
Der wichtigste Aspekt des Projektes für den Modenachwuchs ist jedoch die Aufklärung. Die jungen Designer haben die Möglichkeit, sich selbst anzusehen, wie die Dinge vor Ort wirklich laufen. Bangladesch ist eines der wichtigsten Exportländer für Textilien weltweit, nur China stellt mehr Kleidung her. Auch für deutsche Unternehmen ist das Land als Modelieferant extrem wichtig, neben Adidas, S.Oliver und Esprit lassen selbst Luxusunternehmen wie Hugo Boss oder Escada dort produzieren. In Bangladesch besuchten die Berliner Designer eine der Textilfabriken des bengalischen Branchenriesen Beximco. Weltweit beschäftigt er fast 50 000 Angestellte. Internationale Designermarken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein lassen hier ihre Kleider herstellen, aber auch der spanische Bekleidungsfilialist Zara und die größte Warenhauskette der USA, Macy’s, lassen hier ihre Massenaufträge produzieren. „Für mich war es sehr interessant zu sehen, wie eine richtige Großproduktion abläuft“, sagt Webelhorst. In der Fabrik seien die Arbeitsbedingungen vorzeigbar gewesen – allerdings waren die Besucher aus Deutschland vorher angekündigt.
Das Kontrastprogramm dazu gibt es für Afsana Ferdousi Wormey und ihre Kollegen in Berlin. Beim Besuch des Berliner Labels Schmidttakahashi bekommen alle große Augen. Die beiden Designerinnen beweisen, dass aus ausrangierten Kleidern schöne Kollektionen werden können. Inzwischen werden sie recht erfolgreich ins Ausland verkauft. Besonders in Japan kommen die Entwürfe, die dem Prinzip „Aus alt mach neu“ folgen, gut an. In ihrem Atelier, einer Hinterhofwohnung, ist viel Platz. Den brauchen die Designerinnen auch, ihr Archiv aus gesammelten Altkleidern umfasst rund 5000 Teile. Die Besucher greifen sich einzelne Kollektionsstücke heraus und fragen, wie sie hergestellt wurden. Dass hier alte Kleidung tatsächlich laufstegtauglich wird, interessiert besonders Madhuree Sanchita Smrity. Zu Hause in Bangladesch stellt sie aus alten Saris neue Kleidung her, immerhin besteht die Traditionskleidung aus bis zu neun Metern Stoff. Für Smrity ist der Besuch deutscher Recycling-Labels der Höhepunkt des Berlinaufenthalts: „Hier kann ich Kontakte knüpfen, Fragen stellen und die ein oder andere neue Schnittidee mit nach Bangladesch nehmen“, sagt sie.
Lisa Kober
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