Digitale Kindheit - Dorothee Bär im Interview: „Ich würde nie Fotos von meinen Kindern posten“
Dorothee Bär twittert ständig, aber ihre Töchter dürfen nur manchmal ins Internet. Welche Spiele sie auf dem Smartphone hat und warum es ein neues Schulfach braucht.
Dorothee Bär, 37, ist Staatsekretärin im Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die gebürtige Bambergerin studierte Politik und ist heute Vorsitzende des netzpolitischen Vereins der CSU. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Berlin und Unterfranken.
Frau Bär, erinnern Sie sich, wann Sie das erste Mal im Internet waren?
Das war Mitte der 90er Jahre, als Austauschschülerin in den USA. Meine Gastfamilie hatte einen Internetzugang und E-Mail-Adressen. Das nutzte mir nur nichts, ich konnte keine Nachrichten nach Deutschland schicken, weil ich damals niemanden mit E-Mail-Adresse kannte. Ich weiß noch, dass meine Eltern mir dauernd Geld überwiesen haben, damit ich mit ihnen telefonieren kann. Pro Monat habe ich dafür zwischen 100 und 200 Dollar gebraucht.
Seither hat sich die Technik rasant entwickelt. Ihre Kinder – die zwei Töchter sind neun und vier, Ihr Sohn ist drei Jahre alt – wachsen mit dem Netz auf.
Der Jüngste wischt schon mal mit dem Finger über den Fernseher, weil er das so vom iPad kennt.
Vermutlich hat er sich das von Ihnen abgeschaut. Wenige Politiker in Deutschland sind so computerbegeistert wie Sie. Kurznachrichten bei Twitter abzusetzen sei wie atmen, haben Sie mal gesagt.
So offen ich selber in der Nutzung bin, so streng bin ich, was meine Kinder betrifft. Ich will sie nicht völlig fernhalten, das geht sowieso nicht. Dann kommt es bloß mit voller Wucht zurück, und sie nutzen die Technik bei Freunden. Ob das die bessere Lösung ist, wage ich zu bezweifeln.
Haben Sie feste Regeln aufgestellt?
Ein Smartphone gibt’s noch gar nicht und das Tablet nur am Wochenende, zum Spielen. Alles, was mit Fernsehen oder Computer zu tun hat, sollte sich etwa auf eine Stunde am Tag beschränken. Bei Hörspielen auf CD bin ich nicht so streng. Meine Große behauptet, sie sei die Einzige in ihrer Klasse, die noch kein Handy besitzt. Wir haben ihr eines in Aussicht gestellt, wenn sie in einem Jahr zehn wird – aber auch nur, wenn sie an eine weiterführende Schule geht und in eine andere Stadt muss.
Sie sind Vorsitzende des netzpolitischen Vereins Ihrer Partei und haben 2009 den Deutschen Computerspielpreis mit ins Leben gerufen. Wie passt das zu Ihrer strikten Haltung?
Als Ergänzung finde ich die digitalen Medien wunderbar. Man sollte sie nur nicht als Babysitter oder Ruhigsteller für die Kinder verwenden. Zum einen glaube ich, dass es noch so viele andere Möglichkeiten gibt, etwas zu entdecken. Und das andere ist: Sobald ein Zugang zum Internet da ist, sind die Kinder Gefahren ausgesetzt, zum Beispiel durch Pädophile, und da muss man einfach sehr aufpassen. Deswegen ist es mir wichtig, dass ich mich überall auskenne. Für den Fall, dass meine Große demnächst ein Handy bekommt, habe ich mich wieder bei Whatsapp angemeldet, damit wir es dann gemeinsam nutzen können. Ich habe auch angefangen, dieselben Spiele wie sie zu spielen.
Zum Beispiel?
Ein tolles neues heißt „Languinis“. Leider hat es nur 90 Level, und die habe ich schon alle durch. Ich zeige Ihnen das mal auf meinem Smartphone. Zuerst muss man Bauklötze zusammenbringen, und dann, sehen Sie, was passiert? Es kommen Buchstaben, aus denen ich wie bei Scrabble Wörter bilden muss. Für meine Große ist das super, da kann sie ein bisschen Rechtschreibung üben.
Versucht Ihr Mann auch, auf dem neuesten Stand zu bleiben?
Theoretisch haben wir den gleichen Ansatz, aber mein Mann spielt nicht. Er ist froh, dass ich das mache. Moment, ich kann Ihnen noch etwas zeigen. Weil Sie den Computerspielpreis erwähnten: Vor zwei Jahren hatten wir in der Jury eine heftige Diskussion. Es ging darum, ob wir erstmals eine App auszeichnen sollen, die sich schon an Zweijährige richtet. Ich war dafür, und am Ende hat sie auch gewonnen. Schauen Sie, „My First App“ heißt die. Da gibt es verschiedene, bei dieser müssen sie Vorder- und Hinterteil von Verkehrsmitteln richtig zusammenbringen, zum Beispiel einen Traktor … Yeah, jetzt hat es funktioniert!
"Ich würde zumindest gerne wissen, mit wem meine Tochter Kontakt hat"
Auf dem Bildschirm sehen wir eine Kuh, die mit dem Traktor fortfährt.
Als Nächstes muss man das Auto zusammensetzen. Mehr passiert da gar nicht. Die App hat eine Spieleentwicklerin aus München zusammen mit einer Grafikerin aus Nordrhein-Westfalen geschaffen. Ich verwende sie, wenn mein Sohn nicht gewickelt werden will. Drei, vier Minuten zuschauen, wie ein Traktor wegfährt, das finde ich pädagogisch unbedenklich. Er ist abgelenkt, und ich bin weniger genervt, weil er nicht schreit.
Dank der digitalen Medien können Eltern ihre Kinder so stark kontrollieren wie nie zuvor. Das ist nicht unbedingt eine gute Sache. Werden Sie lesen, was sich Ihre älteste Tochter bei Whatsapp mit ihren Freundinnen schreibt?
Nein. Wenn es dann losgeht und die sich unterhalten, welcher Junge in der Klasse süß ist, muss sie mir das natürlich nicht sagen. Aber ich würde zumindest gerne wissen, mit wem sie Kontakt hat, mit wem sie chattet. Das Vertrauensverhältnis ist wichtig. Man muss seine Kinder bitten, dass sie alles, was ihnen vielleicht komisch vorkommt, mit einem teilen.
Frau Bär, auf Twitter folgen Ihnen 34 000 Menschen, die Sie mit durchschnittlich elf Beiträgen pro Tag auf dem Laufenden halten – übers Betreuungsgeld, aber auch über Ihren letzten Besuch auf einem Feuerwehrfest oder den FC Bayern. Ist das der Versuch, die CSU cooler wirken zu lassen?
Die CSU ist cool! Ich fände es jedenfalls sehr schade, wenn wir nicht dabei wären. Wir sind eine Volkspartei, wir brauchen alles. Einige in der Führung merken jetzt, dass das gar nicht so spinnert ist, was ich da mache, dass es die normalen Menschen interessiert. In den letzten Wahlkämpfen habe ich auch Schulungen für meine Kolleginnen und Kollegen gegeben.
Zum Thema: „So lösche ich einen Tweet wieder“?
Das nützt ja nichts. Denn es gibt Möglichkeiten, gelöschte Beiträge wieder erscheinen zu lassen. Deswegen: Löscht es lieber nicht, twittert noch ein paar hinterher.
Zum politischen Aschermittwoch schrieben Sie: „Danke Edmund #Stoiber für diese tolle Rede!“ Gern zitieren Sie CSU-Chef Horst Seehofer. Wie oft muss man seine Parteifreunde auf Twitter loben?
Wenn es allein darum ginge, ob man in der Partei noch was werden will, müsste man Edmund Stoiber sicher nicht mehr loben. Das ist meine ehrliche Leidenschaft.
Haben Sie mal darüber nachgedacht, was Ihre Kinder sagen werden, wenn sie all Ihre Beiträge später online lesen?
Ja. Wobei ich nicht mit einer Schere im Kopf twittere. Wenn ich anfangen würde, mir bei jedem Beitrag zu überlegen, wer könnte das jetzt alles lesen?, wäre es nicht mehr authentisch. Ich würde aber nie Fotos von meinen Kindern auf Facebook oder Twitter posten.
Viele Eltern betreiben Blogs, auf denen sie viel von ihren Kindern preisgeben.
Davon halte ich nichts. Man weiß schließlich nicht: Wollen die Kinder, dass später der Arbeitgeber oder jemand, der heimlich in sie verliebt ist, ihre Historie online zurückverfolgen kann? Zumal das in der Zukunft mit Techniken wie der Gesichtserkennung noch leichter sein wird. Es ist ganz gut, dass während meiner Gymnasialzeit, auf der Abifahrt und anderen Schulausflügen, noch keine Handykameras existierten, dass da nicht lauter peinliche Fotos im Netz stehen. Es gab eine verlorene Generation, die in diese Falle getappt ist. Jetzt sind wir schon einen Schritt weiter, jeder weiß eigentlich über die Gefahren Bescheid.
Obwohl Sie früh in die Junge Union eingetreten sind, hatten Sie als Jugendliche ein Punker-Outfit. Ist das Digitale noch eine Art Punk, eine Gegenkultur?
Für einige existiert diese Idee noch. Das sind diejenigen, die glauben, es gebe eine digitale Elite, und wer da nicht drin ist, ist von Haus aus doof und hat auch nicht das Recht, mitzureden. Ich empfinde die Technologie eher als etwas Verbindendes. Ich kann heutzutage die Dienste eines Landratsamts von zu Hause wahrnehmen. Wenn man sich zum Beispiel per Streaming eine Oper anschaut, spielt es keine Rolle mehr, ob man in München oder Buxtehude lebt – so können alle an Kultur teilhaben.
Eine aktuelle Studie des Familienministeriums kommt zu einem anderen Schluss. Kinder, die aus Familien mit niedrigem Bildungsniveau stammen, haben demnach einen sehr unsicheren Umgang mit digitalen Medien. Soziale Unterschiede setzen sich auch im Netz fort.
Deshalb ist es wichtig, dass man dieses Thema nicht allein auf die Familien abwälzt. Die Eltern werden es, selbst wenn sie sich noch so sehr anstrengen, nicht schaffen, Schritt zu halten. Ich war bis vor ein paar Wochen fest davon überzeugt, dass es meinen Kindern nicht gelingen wird, besser zu sein als ich. Bis ich dann eben ein paar Spiele von meiner Tochter übernommen habe und ihr etwas zeigen wollte, das ich rausbekommen hatte: Wie man mehr Punkte bekommt oder wie man die Sache strategisch angeht. Sie wusste das alles längst! Das hat mich echt erschreckt. Ein Fach Medienkunde wäre notwendig, ich fordere das seit Jahren.
"Ich glaube nicht, dass die Vorratsdatenspeicherung die Probleme lösen wird"
Was soll da gelehrt werden?
In den USA wird in „Consumer Education“ nicht nur theoretisch erklärt, was man macht, wenn man zu einer Schuldnerberatung geht. Sondern man kriegt eine Kreditkarte hingelegt, die man zerschneiden muss – wie man das eben tut, wenn man pleitegegangen ist. In Medienkunde müsste es um alle möglichen Themen gehen, von Urheberrechtsverletzungen bis hin zur Frage, wie verhalte ich mich in einem Chat? Mir hat ein Lehrer gefallen, der als pädagogische Maßnahme mal alles ausgedruckt hat, was seine Schüler eine Woche lang öffentlich bei Facebook gepostet hatten. Das war heilsam, weil die Jugendlichen gemerkt haben: Oh, was wir da schreiben, existiert ja nicht nur in einem kleinen geschützten Bereich.
Netzpolitik ist nicht, was man mit der CSU verbindet. Wären Sie mit Ihren Ideen manchmal lieber Mitglied bei den Grünen oder den Piraten?
Ach, wenn Sie sich anschauen, was Frau Göring-Eckardt – die ich ansonsten sehr schätze – zum Thema Facebook und soziale Netzwerke geschrieben hat, merken Sie, dass es auch meine Grünen-Kollegen schwer haben. Es gibt in jeder Partei Vogelstrauß-Politiker, die denken, man sollte den Kopf so lange in den Sand stecken, bis sich dieses Internet überholt hat. Wir haben mit der JU eine starke Jugendorganisation, die bei diesen Fragen eine zu 180 Grad andere Meinung als die Mutterpartei hat. Da habe ich es sogar sehr gut.
Mit Ihrer Position zur Vorratsdatenspeicherung stehen Sie in Ihrer Partei allein auf weiter Flur.
Ich bin kein Fan, das stimmt. Ich glaube nicht, dass die Vorratsdatenspeicherung die Probleme lösen wird. Man muss sich nur die Länder anschauen, die sie eingeführt haben. Dort konnten Anschläge auch nicht verhindert werden. Deswegen verstehe ich nicht, warum man anlasslos Daten von Bürgerinnen und Bürgern speichern sollte. Die Mehrheit der Bevölkerung will das auch nicht.
Die Polizei sagt, das sei ein gutes Mittel, um zum Beispiel besser gegen Pädophile vorgehen zu können, die sich im Netz an Kinder heranmachen.
Pädophile nutzen doch Verschlüsselungsapps, die sowieso nicht von der Vorratsdatenspeicherung erfasst sind. Und deren Netzwerke existieren auch offline: Da wird dann pornografisches Material in Briefkästen geworfen. Ich denke, auch an dieser Stelle steht und fällt alles mit Aufklärung.
Wir treffen Sie in Ihrem Büro im Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Da hinten steht ein Foto im Regal, das Sie an der Seite von Microsoft-Gründer Bill Gates zeigt.
Das ist entstanden, als er in Berlin eine Studie vorgestellt hat, laut der Grundschüler um ein Drittel besser bei Pisa abschneiden, wenn Tablets im Unterricht eingesetzt werden. Ich wollte ihn persönlich kennenlernen. Alle haben gesagt, das ginge nicht. Die Vorzimmerdrachen, egal ob männlich oder weiblich, sind halt immer komplizierter als die Leute dahinter. Ich habe mich in sein Hotel geschlichen, er war abgeschirmt, aber als ich seinen Namen gerufen habe, ist er auf mich zugekommen und war total freundlich. Wir haben uns dann fünf Minuten über diese Studie unterhalten.
Und seitdem sind Sie für Tablets an Schulen?
In Kooperation mit einigen Unternehmen haben wir auch schon Kindergärten damit ausgestattet. Dadurch, dass es nun Touchscreens gibt, haben wir zum ersten Mal die Situation, dass ein Kind nicht lesen und schreiben können muss, um Computer zu bedienen. Ich finde, Tablets gehören dringend in die Schule. Ich selbst hätte in Fächern wie Geografie dann sicher bessere Noten gehabt. Ich habe Ende der 90er Jahre mit einem Diercke Weltatlas Abitur gemacht, in dem Deutschland noch geteilt war. Ich kriege die Krise, wenn ich den Ranzen meiner Tochter trage. Das ist doch gaga, mit wie vielen Kilos die da jeden Tag rumlaufen!
Woran hakt denn die Modernisierung der Schulen? An der Politik? Oder an den Schulen selbst?
Es passiert ja etwas. Aber sagen wir mal so: Ich würde gern wissen, wie viel Prozent der Whiteboards …
Moderne Tafeln, die mit einem Computer verbunden sind.
… tatsächlich genutzt werden, die jetzt für teures Geld in die Klassenzimmer gestellt werden. Es gibt ältere Lehrer, die hoffen halt, irgendwie bis zur Pensionierung durchzukommen, da ist es völlig egal, was zur Digitalisierung im Lehrplan steht. Eine Mädchen-Realschule aus Oberbayern hat mich total beeindruckt. Die Schulleiterin und die Lehrer dort sind so fit, dass keine Schülerin mit der mittleren Reife rausgeht, ohne mal eine App programmiert zu haben. Aber natürlich gibt es auch unter Politikern teilweise noch Vorbehalte.
Sie arbeiten in Berlin, Ihre Kinder wachsen in Ihrer fränkischen Heimat auf. Machen Sie sich Sorgen, dass sie in Ihrer Abwesenheit im Internet surfen?
Wir haben einen sehr engen Familienbund. Meine Tante kümmert sich oft um die Kleinen, und die ist in diesen Fragen noch strenger als ich. Die beiden Omas sind ein bisschen großzügiger, was das Thema Fernsehen betrifft. Da ist leicht eine halbe Stunde „Kika“ länger drin. Meine Schwiegereltern erlauben meiner Großen auch mal so eine lustige Schlagerparade am Samstagabend. Es ist nicht meine Musik, deshalb hoffe ich einfach, dass das nicht zu bleibenden Schäden führt.