Ex-Puma-Chef Jochen Zeitz: "Ich will nicht der Freak sein, der in Afrika eine Ranch hat"
Nur ökologisches Wirtschaften ist auf Dauer profitabel - das ist sein Credo. Der Manager Jochen Zeitz über sein Engagement in Afrika, Angst vor Ebola und das Visionäre der Grünen.
Jochen Zeitz, 52, wurde mit 30 Jahren jüngster Vorstandsvorsitzender einer börsennotierten Firma: dem Turnschuhhersteller Puma. Mit 9,8 Millionen Euro war er 2011 der Top-Verdiener unter deutschen Managern. Der Mannheimer lebt vor allem auf seiner Ranch in Kenia. Mit seiner Stiftung unterstützt er Nachhaltigkeit in Afrika
Herr Zeitz, vor vier Jahren haben Sie den Vorstandsvorsitz von Puma abgegeben. Sie haben nun Ihre Stiftung in Kenia und engagieren sich in Unternehmen für den Umweltschutz. Wurde aus dem knallharten Geschäftsmann ein grüner Krieger?
Ich bin weder knallhart noch ein Krieger.
Wenn man einen Dax-Konzern mit 30 Jahren übernimmt und ihn 20 Jahre führt, braucht man Durchsetzungsvermögen.
Ich bin ein Umsetzer, der seine Ideen entwickelt, seine Philosophie.
Ihre Philosophie lautet: Wirtschaft, Naturschutz, Kultur und der Schutz von Communities müssen Hand in Hand gehen.
Mitte der 90er Jahre fing das bei Puma an. Wir haben bemerkt, dass die Lieferanten bei sozialen oder Umweltthemen zum Teil inakzeptable Verhältnisse in den Fabriken hatten. Wir haben uns mal die Fabriken in Indonesien oder China angesehen, wie die mit der Umwelt und den eigenen Angestellten umgingen. Was alles ins Abwasser floss, die Hitze und Dämpfe in den Fabriken! Da haben wir im Unternehmen entschieden, dass wir solche Standards nicht mehr akzeptieren können.
Für Puma haben Sie als erster deutscher Konzern 2010 eine Ökobilanz erstellen lassen und kamen auf Umweltschäden in Höhe von 145 Millionen Euro.
Ich bin der Überzeugung, dass Unternehmen, die nicht verantwortlich wirtschaften, langfristig keinen Erfolg haben werden. Die Ökobilanz zeigt auf einen Blick, wo die Probleme liegen und ist eben keine hypothetische Annahme. Dieses Jahr hat Kering zum ersten Mal eine Ökobilanz für alle Marken veröffentlicht.
Dort sitzen Sie im Aufsichtsrat. Zum Luxuskonzern gehören neben Puma Marken wie Gucci und Yves Saint-Laurent. Da lief viel falsch.
Zum Beispiel, wie Leder gegerbt wurde. Seit 100 Jahren setzte man dafür Chrom ein, das ist wie Quecksilber ein umweltschädliches Metall im Abwasser. Wo kauft man Leder: in Brasilien, wo mal ein Regenwald abgeholzt wurde, oder in Gebieten Nordamerikas, wo es seit 150 Jahren keine Bäume mehr gibt? Baut man eine Fabrik, die viel Wasser verbraucht, in einer Gegend mit wenigen natürlichen Ressourcen? Mit den richtigen Antworten kann man gezielt seine Ökobilanz verbessern.
Eine Ranch in Kenia, ein Haus in der Schweiz und in den USA. Ihr ökologischer Fußabdruck muss verheerend sein. Trauen Sie sich überhaupt noch, den zu errechnen?
Ja, das mache ich am Ende des Jahres. Ich fliege zwar viel in der Welt umher, aber meistens, um Menschen mit nachhaltigen Ideen vertraut zu machen. Deshalb glaube ich, dass ich einen positiven Fußabdruck habe, allein weil ich auf meiner Ranch Segera in Kenia 200 Quadratkilometer Land nachhaltig bewirtschafte. Wir setzen Solarpanels zur Energiegewinnung ein, sammeln 800 000 Liter Wasser in der Regenzeit mit unseren Auffangbecken, bauen unser eigenes Essen an, haben Plastikflaschen abgeschafft und waschen die Glasflaschen immer wieder aus.
In Segera haben Sie ein Öko-Luxusresort mit acht Villen eingerichtet, gleich neben Ihrem Wohnhaus.
Ich wollte zeigen, dass es möglich ist, einen qualitativ hochwertigen Tourismusbetrieb klimaneutral zu führen und Besucher dafür zu begeistern. Meine Philosophie lautet, dass die Gäste bei ihrem Aufenthalt etwas über den Umweltschutz vor Ort lernen, in die Communities gehen, nicht nur auf Safari. Wir ziehen keinen Zaun um die Villen und sagen: Bloß nicht rausgehen! Ich sehe Tourismus als integrativen Prozess. Fast alle Gäste bringen ein Interesse dafür mit.
Fast alle?
Kürzlich hatten wir einen Milliardär in Segera. Er hatte überhaupt kein Interesse daran, was wir hier machen. Er wollte Swimmingpool und Safari, manche wollen einfach nur abschalten.
Vermögende Menschen treffen auf arme Einheimische. Ganz schön brutaler Einkommensunterschied.
Das eine geht ohne das andere nicht. Ich kann keinen beschäftigen, wenn ich keine Gäste habe. Das verstehen auch unsere Angestellten. Die Gäste zahlen viel Geld, damit sichern wir ein Einkommen für die Menschen, die hier arbeiten. Ich will nicht, dass sie sich fragen: Was habe ich davon, wenn Fremde sich Elefanten ansehen wollen, die vielleicht meine Felder zerstören?
"Dieser gigantische Ausblick auf den Mount Kenya"
Die Bedenken sind berechtigt.
Zu einem Dorf am Südrand der Ranch mussten wir leider einen Zaun bauen, damit die Tiere nicht auf die Felder trampeln.
Stimmt es, dass Sie dank Formel-1-Manager Flavio Briatone auf das Stück Land aufmerksam wurden?
Er ist ein Strandmensch, für den ist das der Wilde Westen hier. Er hat ein Haus an der Küste und mir gesagt: Ich kenne ein paar Leute, warum kommst du nicht nach Kenia? Er hat mich einem Freund vorgestellt, der hatte wiederum Kontakte, und so bin ich an den früheren Besitzer gekommen.
Wie sah die Ranch damals aus?
Der Vorbesitzer hat zehn Jahre lang gar nichts getan. Das Land war verwahrlost und überweidet. Die Pferdeställe hatten keinen Boden mehr, das Dach war leck. Genauso wie das Haus, in dem ich jetzt wohne. Außer einem Generator von 1918 gab es gar keine Infrastruktur.
Wieso haben Sie es dann überhaupt gekauft?
Weil es Potenzial hatte. Ich habe Elefanten gesehen, als ich das erste Mal über das Gelände geflogen bin, habe diesen gigantischen Ausblick auf den Mount Kenya genossen, den Wasserfall im Osten der Ranch entdeckt. Das war ein Grundstück, auf dem ich etwas aufbauen konnte.
Sie engagieren sich für die Umwelt, stiften Ihre Sammlung afrikanischer Kunst dem Mocaa-Museum in Kapstadt, das Ende 2016 eröffnet. Die „FAZ“ vermutet aus Eitelkeit, „um dem Namen Jochen Zeitz ein Denkmal zu setzen“.
Ich halte nichts von Denkmälern. Die Projekte, die wir einleiten, sollen eines Tages mal selbstständig laufen. Ich sehe meine Stiftung und Projekte als Anschubfinanzierung ...
... um Ihr Gewissen zu beruhigen. Knapp 50 Prozent der Kenianer leben unterhalb der Armutsgrenze, Sie hingegen sind wohlhabend.
Überhaupt nicht, warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Ich bin begeistert vom Land und vom afrikanischen Kontinent.
Sie können sich mit 200 Angestellten auf der Ranch wie ein Kolonialherr fühlen.
Diese Frage habe ich mir nie gestellt. Als ich Puma geleitet habe, waren 95 Prozent aller Mitarbeiter nicht deutsch.
Es war eine deutsche Firma.
Wir hatten drei Zentralen auf der ganzen Welt.
Hier in Kenia stoßen Sie auf eine ganz andere Geschichte.
Ja, ich bin hier nicht groß geworden. Ich habe eine ständige Aufenthaltserlaubnis und will mich heimisch fühlen, nicht der Freak sein, der in Afrika eine Ranch hat. Das ist kein Zuhause, wo ich die Beine ausstrecke, sondern eine Plattform, um anderen meine Afrikaerlebnisse zugänglich zu machen. Die Gedanken oder Motive, die Sie mir unterstellen, habe ich nicht.
Für Sie hat sich mit der Ranch ein Kindheitstraum erfüllt?
Bernhard Grzimek gehörte zu meiner Jugend, montags 20.15 Uhr nach der Tagesschau. Seine Reportagen aus der Serengeti haben mich fasziniert. Als ich ein Kind war, haben wir das Wochenende oft in einer Hütte im Odenwald verbracht. Ständig in der Natur zu sein, hat mich sicherlich geprägt. Ich gucke auf Segera nie Fernsehen, außer als Deutschland bei der Fußball-WM gespielt hat. Das konnte ich nicht versäumen.
Und kein Internet?
Doch, das brauche ich, um mein Arbeitspensum zu schaffen. Und um regelmäßig Nachrichten zu lesen – auf Spiegel Online, BBC, CNN.
Checken Sie jeden Tag die Puma-Aktie?
Oh Gott, nein.
Verfolgen Sie die Flüchtlingsdebatte?
Es ist ein Trauerspiel. Und ein Problem, dem wir uns langfristig stellen müssen. Jetzt haben wir die Menschen aus Syrien oder Irak, die vor grausamen Systemen fliehen. In der Zukunft werden wir mehr Klimaflüchtlinge haben. Das Wetter wird in einigen Landstrichen unerträglich werden und zu einer enormen Migration führen. Menschen werden immer dahin flüchten, wo sie glauben, ein besseres Leben zu haben, und alles dafür opfern.
Der ehemalige Bundespräsident und Afrika-Fan Horst Köhler hat über den Kontinent gesagt: „Noch nie habe ich so viel Würde in der Not gesehen.“
Ich weiß nicht, auf welche Situation er das bezogen hat. Die Landbevölkerung in Segera führt ein traditionelles Leben, das heißt aber nicht, dass sie notbedürftig ist. Die Menschen leben in einer Hütte, passen auf ihre Rinder auf, führen sie auf Weiden und leben von Milch, Fleisch und ein bisschen Handel. Das ist ein Lebensstil, der in abgelegenen Gebieten wie etwa unserem existiert. Und den führen sie, weil sie so leben wollen. Afrika ist ein gigantischer Kontinent, da gibt es nicht nur Armut. Die Menschen in Europa leben mit der Information, die ihnen geliefert wird. Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser als gute. Eine negative Schlagzeile aus einem Land wird schnell zu einer schlechten Nachricht über einen Kontinent von über einer Milliarde Menschen.
"Die Finanzkrise ist an Afrika vorbeigegangen"
Sie denken an Ebola?
Völlig verrückt war das. Die Chance, Ebola in New York zu kriegen, war größer als in Ostafrika, denn in Manhattan gab es einen Ansteckungsfall, in Kenia nicht einen einzigen.
Hat Sie Ebola direkt betroffen?
Absolut. Das war für alle in Kenia ein großes Problem. Die Buchungen laufen im Sechsmonatsrhythmus vor, das heißt, es hat kaum einer für den Sommer gebucht. Warum nicht mal positive Berichte? Dass die Finanzkrise an Afrika völlig vorbeigegangen ist, weil die afrikanischen Banken in die Produkte, die jene Probleme verursacht haben, nicht investiert haben. Die Wirtschaft ist im Gegensatz zu einigen europäischen Staaten in vielen Ländern deutlich gewachsen.
Im November 1989 sind Sie zum ersten Mal nach Kenia gereist.
Tagsüber habe ich im Tsavo-Nationalpark Tiere beobachtet, abends sah ich im Fernsehen, wie die Menschen in Berlin auf der Mauer tanzten. Da wäre ich schon gern dabei gewesen, aber mich hat schnell der Afrikavirus gepackt. Das war ein Gefühl des Sich-Wohl-Fühlens in dieser traumhaften Natur, die Art und Weise, wie mir die Kenianer begegnet sind. Freundlich, kein Griesgram, immer mit einem Lachen, in jeder Situation.
Und dann wollten Sie ein Haus in Afrika haben.
Ich habe überall gesucht, Südafrika, Botswana, Namibia. Für mich war klar, dass ich ein Stück Land in einem politisch stabilen Land wollte, es sollte mit dem Flugzeug leicht zu erreichen sein, in keinem Malariagebiet liegen, es sollte eine vielfältige Tierwelt geben und die Chance bieten, das Anwesen nachhaltig zu bewirtschaften.
Sie haben einmal gesagt: „Ökologie interessiert mich nicht nur aus humanitären, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen.“
Weil man ohne die Wirtschaft die Probleme, die wir auf dem Planeten hinterlassen, nicht lösen kann. Die größten Umweltschäden werden durch nicht nachhaltige Produktion von Gütern verursacht. Durch Innovation und verantwortungsvolles Wirtschaften können wir Unternehmen in die richtige Richtung lenken, vorausgesetzt die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ändern sich auch.
Sie träumen. Keines der angestrebten Armuts- und Klimaziele der vergangenen Jahre ist erreicht worden. Wie wollen ausgerechnet Sie die Industrie davon überzeugen?
Ich habe mit anderen Wirtschaftslenkern wie Richard Branson und Paul Polman von Unilever das B-Team gegründet, um gemeinsam mit einer wachsenden Anzahl von Unternehmen Veränderungen zu propagieren. Nur gibt es leider noch zu wenige, die das tun. Jeder Wandel braucht seine Zeit. So wie es auch bei uns in Deutschland gedauert hat, bis wir uns von der Atomkraft verabschiedet oder bei Autos auf Katalysatoren umgestellt haben.
Greenpeace kritisiert, die Bundeskanzlerin wage noch nicht einmal den völligen Ausstieg aus der Kohle. Die Öko-Kämpfer sind wenig optimistisch.
Ich sehe positive Signale. Saudi-Arabien will in 50 Jahren nicht mehr der größte Öllieferant, sondern der größte Solarenergieerzeuger sein. Dass der Ölpreis heute unter 40 Dollar gefallen ist, liegt auch daran, dass es schon Alternativen gibt. Das ist ein enormer Prozess, den wir einleiten. Nur ist das Prinzip Trägheit nach wie vor vorhanden.
Waren Sie schon in den 80er Jahren umweltbewusst?
An den Autoaufkleber mit der lachenden Sonne und dem Slogan „Atomkraft nein danke“ erinnere ich mich gut, aber ich konnte wenig damit anfangen. Die Grünen haben, im Nachhinein betrachtet, viel dazu beigetragen, ein Bewusstsein für die Umwelt zu schärfen. Die Aktivisten mit den Turnschuhen und Jeans, jemand wie der lässige Joschka Fischer.
Ein Jugendidol von Ihnen?
Das war eher John Wayne. Trotzdem haben wir unter Freunden diskutiert, ob Atomkraft sinnvoll ist. Als der Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 passierte, haben sich viele Dinge bewahrheitet, vor denen die Grünen gewarnt haben. Das waren bedrückende Tage. Wir durften uns nicht auf die Wiese legen, sollten uns regelmäßig duschen, wenn wir von draußen kamen. Ich habe mir schon die Frage gestellt, ob das die Zukunft sein kann. Die Alternativen waren leider nicht so offensichtlich. Kohle wollte keiner mehr haben, das war klar. Solar und Wind standen noch gar nicht zur Debatte. Der Klimawandel war noch nicht in den Köpfen drin.
Es gab viele Diskussionen um das gefährlich größer werdende Ozonloch.
Stimmt, da wurden recht zügig Maßnahmen getroffen, um FCKW zu verbieten. Das war ein gutes historisches Beispiel, wie schnell sich eine Politik entscheiden und die Wirtschaft umstellen und neue Kühlschränke oder Spraydosen herstellen kann. Ich glaube, dass wir die Kurve kriegen und klimaneutral werden können. Nur: Ohne Veränderungen in der Wirtschaft wird das nicht passieren.