Schauspielerin Friederike Kempter: „Ich strebe ein bisschen mehr Größenwahn an“
Privat ist sie Hypochonderin, beruflich fürchtet sie nichts – außer Fummelszenen. Im „Tatort“ gibt es für Friederike Kempter alias "Nadeshda Krusenstern" demnächst eine Beförderung. Und in Berlin steht sie auf der Bühne des Theaters am Kurfürstendamm
Frau Kempter, Sie waren auf der Berliner „Fritz Kirchhoff“-Schauspielschule. Dort wird auch Fechten angeboten. Haben Sie den Kurs belegt?
Ja. Wobei mir damals schon nicht klar war, warum man das macht. Jedenfalls sind die Grundlagen da, für „Die drei Musketiere“ müsste ich allerdings noch mal nachlegen.
Und Sie haben Geschichte studiert.
Ich habe nur ein paar Vorlesungen besucht, weil ich eigentlich immer schon zum Theater wollte. Stattdessen bin ich durch Zufall zuerst beim Fernsehen reingerutscht. Das war ein ziemlicher Schock, wenn Sie da am Set für eine Sat-1-Serie stehen und gute Schauspieler sehen, wie sie bescheuerte Sätze aufsagen und von A nach B gehen. Ich dachte, ein Geschichtsstudium ist eine gute Schule des Denkens. Es ging mir auch um eine innere Unabhängigkeit, darum, sagen zu können, da ist noch etwas anderes, wenn es mal nicht so mit der Schauspielerei klappt. Aber ich habe das Studium nicht fortgeführt. Ich wollte spielen.
Sie können fechten, interessieren sich für Geschichte, würden Sie gern in einem Kostümfilm mitspielen?
Alles was vom Krimi weg geht, reizt mich. Neulich habe ich mal wieder „Barry Lyndon“ gesehen, von Stanley Kubrick, ein großartiger Film. Hardy Krüger spielt darin einen preußischen Offizier, das hätte ich gern gemacht.
Sie als Ersatz für Hardy Krüger?
Warum nicht? Na gut, dann eben etwas mit knisternden Reifröcken. Auch wenn ich wie heute meist in Jeans rumlaufe, zu Hause habe ich den ganzen Schrank voller Kleider. Lady de Winter, die böse Intrigantin aus den „Drei Musketieren“, die Rolle fände ich toll. Da dürfte ich auch mal drei Stunden in der Maske sitzen, wunderbar.
Stattdessen spielen Sie seit zwölf Jahren neben Axel Prahl und Jan Josef Liefers die Kommissaranwärterin Nadeshda Krusenstern im „Tatort“ aus Münster. Haben Sie wenigstens eine Chance auf Beförderung?
Ich wurde bereits einmal befördert. In den ersten Folgen war ich nämlich nur die Praktikantin. Irgendwann habe ich gesagt, das sollte sich ändern. Ich kann Sie beruhigen, in der nächsten Folge werde ich wieder befördert!
Michael Fitz war Kriminalassistent Carlo Menzinger im Münchner „Tatort“, bis er irgendwann zum Kommissar neben zwei Hauptkommissaren aufstieg. Der ewige Assistent blieb er trotzdem, nach 16 Jahren ist er ausgestiegen.
Dabei hat er es geschafft, in einer Rolle, die nicht so groß angelegt war, einen Eindruck zu hinterlassen. Menzinger war ein Sympathieträger, der sich nicht unterkriegen lässt, auch wenn seine beiden Vorgesetzten ihn mal mies behandeln. Nadeshda ist eine Nebenfigur, es ist schön, wenn sie ab und zu ein bisschen mehr Platz bekommt, gerade in den letzten Folgen gab man mir mehr Zeit zum Spielen. Ambitionen, „Tatort“-Kommissar zu werden, habe ich jedoch nicht.
Der Schauspieler Lars Eidinger hat mal bei uns im Interview gesagt, was er gut kann, ist hinfallen. Worin hatten Sie auf der Schauspielschule gute Noten?
Im Hinfallen würde ich mich mit Lars Eidinger nicht messen wollen. Ich war nie jemand, der in einer Sache besonders gut war. Das heißt, doch, aber das lernt man nicht auf der Schauspielschule: Ich habe keine Angst. Im Privatleben bin ich vielleicht manchmal neurotisch, aber wenn es um die Arbeit geht, habe ich keine Angst.
Sie würden auf ein Pferd steigen, wenn es die Rolle erfordert?
Ja, mit schweißnassen Fingern.
Und privat, was ist denn so neurotisch an Ihnen?
Ich fürchte mich vor 1000 Sachen. Vor dem Tod zum Beispiel.
Das tut doch jeder. Es ist allenfalls überraschend, dass Sie bereits mit 35 daran denken.
Ich finde es absurd, dass wir alle leben, als ob es den Tod nicht gäbe.
"Ich hatte immer Sehnsucht nach dem Theater"
Haben Sie deshalb das Rauchen aufgegeben?
Stimmt. Obwohl ich, ehrlich gesagt, manchmal immer noch rauche. Und mich dann sehr mutig fühle. Außerdem bin ich Hypochonder und finde Menschenansammlungen unangenehm.
Lars Eidinger denkt manchmal: Wow, bin ich gut. Haben Sie Angst vor Größenwahn?
Größenwahn ist in meinem Beruf eine durchaus akzeptable Eigenschaft. Leider ist es bei mir eher umgekehrt.Ich habe dann Angst, nicht gut genug zu sein. Aber hinterher finde ich oft: Ach, so schlimm ist es gar nicht. Sie sehen, ich bin ein bisschen pessimistisch. Kommt es besser, gehe ich mit guter Laune nach Hause.
In Hollywood würden Sie es mit so einer Strategie nicht weit bringen. Wenn man in den USA sagt, „gar nicht mal so übel“, bedeutet das, es ist katastrophal.
Sie haben recht, ich strebe jetzt als Frau auch ein bisschen mehr Größenwahn an. Ich glaube nur, männlichen Kollegen fällt das leichter.
Haben Sie es bereut, dass Sie in der Vorabendserie „Hauptstadtrevier“ die Hauptrolle übernahmen? Sie kamen noch ganz gut weg, aber die Serie erhielt nicht so gute Kritiken.
Ich bin nach der zweiten Staffel ausgestiegen. Was ich da gelernt habe, war, dass mir eine Serie mit extrem dichten Drehtagen zu viel ist. Ich will nicht zur Maschine werden. Zu den Kritiken muss ich sagen, ich finde es grundsätzlich schwierig, im Internet bewertet zu werden, das hat aber nichts mit dem „Haupstatdtrevier“ im Speziellen zu tun. In meinem Beruf muss ich das natürlich hinnehmen. Nur, wenn ich da sehe, was die Trolle in der Anonymität des Internets über einen schreiben – meist bemühe ich mich, das gar nicht zu lesen, es gelingt mir aber nicht immer. Lustigerweise mache ich es dann, wenn ich mies drauf bin, das ist keine gute Idee.
Jetzt stehen Sie im Theater am Kurfürstendamm in „Eine Familie“ zum ersten Mal auf der Bühne. Und setzen sich dem Publikum ganz direkt aus.
Ich hatte immer Sehnsucht nach dem Theater, das gehört zum Schauspielerdasein dazu. Es ist für mich eine Herausforderung, die fing schon in der Vorbereitung an, wenn Sie zu Beginn der Proben vielleicht gar nicht wissen, wie Sie diese Rolle spielen, dem Stück gerecht werden sollen. Und am Ende ist es ungeheuer befriedigend.
Sie bekamen viel Applaus, und der Tagesspiegel schrieb: „Die famosen Darsteller werfen sich mit Verve in die Psychoschlacht, verraten ihre Figuren aber nie an die Karikatur“.
Applaus ist schön, natürlich, doch das meine ich gar nicht, sondern, dass ich der Figur und dem Stück so nahegekommen bin.
Die Vorlage „Im August in Osage County“ war ein Broadway-Erfolg, dann ein Hollywood-Film mit Meryl Streep: Ein Familiendrama um drei Schwestern und ihre Monstermutter, deren alkoholkranker Ehemann gerade in den Suizid geflüchtet ist.
Die Mutter ist die Tyrannin, die die Familie beherrscht, und ich bin Karen, die jüngste Tochter. Lustigerweise ist das die Figur, die mich im Film zunächst am wenigsten interessiert hat. Sie war so plakativ-naiv, wie aus einem Comic. Aber das ist ja das Schöne, ich kann etwas Eigenes daraus machen.
Es ist wieder nicht die Hauptrolle.
„Hauptstadtrevier“ war eine Hauptrolle, im März kommt der ARD-Film „Vier kriegen ein Kind“, das ist eine Hauptrolle. Aber ich will mich gar nicht verteidigen. Sonst hört sich das so an, als ob ich beleidigt wäre. Ich wollte nicht in meinem ersten Theaterstück eine Hauptrolle spielen, außerdem wären die anderen Figuren zu alt für mich gewesen.
Die Familie in diesem Stück ist ein Albtraum. Sie kommen aus einer Doppelhaushälfte in Freudental bei Stuttgart. Das klingt nach heiler Welt.
Was heißt das schon, heile Welt? Jede Familie, auch meine, ist ein interessanter Mikrokosmos. Aber ich nähere mich so einem Stück nicht nur aus meinem eigenen Inneren an, sondern aus dem Interesse: Wie funktioniert so etwas und wie verhalten sich die Menschen?
In jeder Familie spielen die Mitglieder eine Rolle. Ihre jüngere Schwester lebt heute noch bei Stuttgart. Sie gingen nach Berlin. Fiel Ihnen der Part der Nestflüchterin zu, waren Sie gar die Rebellin?
Ich glaube, ich war recht einfach in der Handhabung, wenngleich ich viel unterwegs war. Meine Eltern hatten großes Vertrauen. Zum Glück wusste meine Mutter auch nicht, wie oft ich allein getrampt bin, weil man auf dem Dorf abends nicht so leicht nach Hause kommt. Mehr als einmal saß ich hinten im Auto und habe gebetet, dass ich heil ankomme, weil der Fahrer getrunken hatte.
"Ich glaube, ich bin im besten Sinne schamlos"
Hält das eine funktionierende Familie zusammen: manchmal nicht die Wahrheit zu sagen?
Wenn es wirkliche Probleme sind, die die Leute belasten, dann glaube ich nicht an den Sinn von Lügen. Die Wahrheit sucht sich ihre Bahn, der Konflikt frisst sich durch. Ich komme aus einer einigermaßen gut funktionierenden Scheidungsfamilie. Aber auch bei uns gibt es Konflikte. Einmal gärte es über einige Wochen, bis jeder die Wahrheit auf den Tisch gepackt hat, mit Tränen und großen Emotionen. Das war wie eine Reinigung, danach sind wir Eis essen gegangen und haben Witze gemacht. Trotzdem glaube ich, dass es Situationen gibt, in denen man besser nicht die Wahrheit sagt.
Zum Beispiel, wenn jemand fremd geht?
Wenn es wirklich ein Seitensprung war, der keine Bedeutung hat, dann sollte man lieber nichts sagen und mit dem eigenen schlechten Gewissen leben. Manche wollen doch nur gestehen, um freigesprochen zu werden.
Sie leben mit Ihrem Partner zusammen, sind Sie ein häuslicher Mensch?
Hm ..., durch meinen Beruf bin ich oft weg, um das zu können, brauche ich auf der anderen Seite irgendwie ein Nest. Es kommt auch ein bisschen darauf an, was Sie mit häuslich meinen: dass ich oft zu Hause bin?
Wie Sie sich einrichten, haben Sie zum Beispiel eine funktionierende Küche?
Die habe ich tatsächlich lange nicht gehabt, weil ich in diesem Übergang lebte, diesem Jungerwachsensein, das sich heutzutage immer länger dehnt, eine Art Transitleben, immer auf dem Sprung. Nun besitze ich zum ersten Mal eine Geschirrspülmaschine, eine der herausragenden Erfindungen der Menschheit, wie ich inzwischen weiß. Ich glaube, diese unendliche Pubertät ist jetzt abgeschlossen. Ich entdecke mich dabei, wie ich mir Sachen kaufe wie eine Grillpfanne oder einen Reiskocher und mich total darüber freue.
Angenommen, Sie hatten einen anstrengenden Tag und Ihre Lieblingssendung läuft im Fernsehen. Leider haben Sie noch eine Einladung zur Party. Entschuldigen Sie sich dann mit einer Notlüge?
Im Winter tendenziell ja, im Sommer geh ich raus.
Sie zeichnen nicht auf, sondern richten sich nach den Sendezeiten im Fernsehen?
Ja, Serien gucke ich allerdings inzwischen auch auf DVD.
Ihr Lieblingsserie?
„House of Cards“, die Politserie mit Kevin Spacey, der ist ja noch intriganter als Lady de Winter. „True Detective“, das von allen bejubelt wird, halte ich dagegen für überschätzt. Südstaaten, ein bisschen Religion, ein bisschen Kindesmissbrauch, das habe ich schon zu oft gesehen. Und Matthew McConaughey ist ein eitler Kerl. Im Film „Dallas Buyers Club“ war ich begeistert von ihm, inzwischen weiß ich, der spielt jede Rolle so, dieses Knorrige, Heisere, Flüsternde, das interessiert mich nicht mehr. Wie großartig ist neben ihm Woody Harrelson, sehr nuanciert, auf den Punkt.
Gucken Sie den „Tatort“?
Der hat für mich ein bisschen an Anziehungskraft verloren. Ich treffe mich nicht mehr so oft wie früher mit Freunden, um den sonntags zu gucken. Dann gehe ich lieber ins Kino oder mit Freunden essen.
Haben Sie Favoriten unter den Kommissaren?
Ich sehe die Österreicher ganz gern, aber mir ist eigentlich das Drehbuch wichtiger als das Ermittlergespann. Und beim „Tatort“ ist es leider so, dass die jeweiligen Drehbücher für ein Team oft nicht aus einer Hand sind. Es fehlt die horizontale Figurenentwicklung, die viele amerikanische Serien auszeichnet. Das trifft auch auf uns in Münster zu. In einer Folge gibt es eine Annäherungsgeschichte zwischen Thiel und Nadeshda, beim nächsten Fall ist davon keine Spur mehr. Das ist schade.
Sie sagten, einer Ihrer Vorzüge sei, dass Sie beim Spielen keine Angst kennen. Wir wissen, dass es da mal auf einem Boot eine Nacktszene gab, die Ihnen schon unangenehm war.
Oh Gott, furchtbar, das war in der Türkei auf dem Wasser. Mein Filmpartner und ich hatten so eine halbnackte Fummel-Knutsch-Horrorszene. Ich hasse das, mit einem fremden Menschen zu knutschen. Man entschuldigt sich permanent. Aber da ist es wichtig, sich nicht zu schämen. Ich glaube, ich bin im besten Sinne schamlos. Ich sage: „Hallo, ich bin die Friederike und wir machen das jetzt.“ Sonst wird es verklemmt.
Wenn Sie das so gut können, wo war dann das Problem auf dem Boot?
Das war ein kleines Speedboat, die Crew stand auf einem größeren Boot daneben. Ich habe zur Regisseurin gesagt: „Ich möchte diese Szene nicht vor Publikum spielen, es wäre mir lieber, wenn die Matrosen während der Aufnahme im hinteren Teil sind.“ Leider drehte sich unser Boot im Wind, und wir lagen direkt vor der ganzen Truppe.
Sie haben sich geschämt.
Schön war es nicht.
Und als Sie zu Tom Schilling in „Oh Boy“, eine Rolle, für die Sie von der Kritik gefeiert wurden, sagten: „Willst du mit mir ficken?“
Ich habe gesagt: „Fick das kleine dicke Mädchen.“ Hört sich erst mal schockierend an, aber darum geht es in meinem Beruf auch.
Jürgen Vogel masturbiert in „Der Freie Wille“ vor der Kamera. Dafür gab es den Silbernen Bären. Wo wäre für Sie die Grenze?
Ich habe mir gerade „Nymphomaniac“ mit Charlotte Gainsbourg angeguckt. Das sind schon sehr explizite Sexszenen, die bestimmt viele anstößig finden. Doch wenn es ein gutes Buch ist, wäre ich bereit, sehr weit zu gehen. So einfach ist das: Es kommt auf die Geschichte an. In meinem Beruf muss man Risiken eingehen.
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