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Maren Ade.
© William Minke

Interview mit Maren Ade: „Ich bin eher der misstrauische Typ“

Maren Ade begeisterte mit ihrem Film „Toni Erdmann“ in Cannes das Fachpublikum. Vom Fremdschämen, Humor aus Verzweiflung und der Vorliebe für künstliche Gebisse.

Maren Ade, 39, studierte an der HFF München Produktion und Spielfilmregie. 2001 gründete sie mit Janine Jackowski die Produktionsfirma "Komplizen Film", mit der sie ihren Abschlussfilm "Der Wald vor lauter Bäumen" drehte, der mit dem Spezialpreis des Sundance Film Festivals ausgezeichnet wurde. Der Nachfolger "Alle anderen" mit Birgit Minichmayr und Lars Eidinger gewann den Silbernen Bären bei der Berlinale 2009. Er lief in 18 Ländern im Kino. Ihr neues Werk "Toni Erdmann" kommt am Donnerstag in viele Berliner Kinos.

Frau Ade, hier bitte, ich hab’ Ihnen Plastikblumen mitgebracht. Die sollen zu Ihrem Filmhelden passen – der erschreckt seine Umwelt gern mit einem Plastikgebiss und bringt den Business-Alltag seiner erwachsenen Tochter durcheinander.

Vielen Dank, das passt doch! Auf ihre Art sind Plastikblumen ja auch Scherzartikel.

Eigentlich wollte ich es noch zu Deko Behrendt, dem legendären Scherzartikel-Laden in Schöneberg, schaffen. Kennen Sie den Laden?

Klar, bei Deko Behrendt war ich kurz vor dem Dreh von „Toni Erdmann“ und hab’ für 200 Euro eingekauft, um meine Nervosität zu besänftigen. Mit den Scherzartikeln haben wir am Set manchmal experimentiert. In einer Szene gibt der Hauptdarsteller spontan einem Kellner ein Plastikgehirn und sagt: „Das hätte ich gern mit zwei Spiegeleiern!“ Na ja, die Szene haben wir dann nicht genommen. Auch ein riesiges Ohr musste leider draußen bleiben. Dafür ist eine Katzenbrille im Film gelandet.

In Ihrem Film geht es um ein Vater-Tochter-Paar. Eine Kritikerin schrieb: „Maren Ade hat sich in jenes Gefühl zurückgegruselt, das Eltern in einem ausgelöst haben, als auf dem Schulfest keiner am Tisch ihren Witz lustig fand.“ Da haben sich viele wiedererkannt. Wie fühlt man sich als Sensation von Cannes?

Die Frage ist, ob so was zu einem vordringt. Ich empfinde mich jedenfalls nicht so. In Cannes hatte ich auch gar keine Zeit, all die Kritiken zu lesen. Ich hab mich nur ein einziges Mal gegoogelt und es dann gleich wieder gelassen, weil ich es komisch finde, mich selbst zu sehen. Natürlich freue ich mich sehr, dass meine Arbeit so angenommen wurde.

Googeln Sie sich auch sonst manchmal?

Das ist zwar dämlich, aber aus Interesse checke ich schon mal das Rating auf IMDB …

… der Filmbibel Internet Movie Data Base.

Es interessiert mich, wann die Zahl der Leute steigt, die den Film gesehen haben. Daran sieht man, wie der Film sich verbreitet. Doch Filme zu benoten, ist an sich eine fragwürdige Sache.

Die Ziffer der Bewertung auf der Skala bis zehn?

Die liegt bei etwa neun, doch das wird sehr nach unten gehen – es stimmen eher die Leute ab, die den Film mögen. Eine Wahrheit ist schwer zu finden und auch egal. Mich hat der breite Zuspruch eher überrascht.

Frau Ade! „Toni Erdmann“ wurde nach der Premiere in Cannes in Windeseile in die ganze Welt verkauft. Da könnte so ein Erfolgsgefühl schon verlässlicher einsickern, oder?

Ach, ich freue mich einfach für die Sache. Natürlich ist es toll, dass der Film sich so flächendeckend verkauft, in den Genuss sind wir ja in diesem Maße bisher nicht gekommen. Ich finde: Erst mal abwarten! Der Kinostart steht noch bevor. Der Film ist über zweieinhalb Stunden lang, und eine reine Komödie ist er auch nicht.

Erwartung und Erfüllung klaffen gerade im Filmbusiness oft extrem auseinander. Sie galten in Cannes als Palmen-Favoritin – und dann hat es nur zu einem Preis des Internationalen Kritikerverbands gereicht!Alle glaubten, irgendwas holt der Film bestimmt, doch ich bin eher der misstrauische Typ. Ich kann mich auch an der Diskussion schlecht beteiligen, weil ich die anderen Filme nicht gesehen habe. Unser Film lief früh auf dem Festival. Und die Regisseure, die dann ausgezeichnet wurden, sind alle toll.

Sie waren nicht enttäuscht?

Ich hab’ in mich reingehört im Urlaub danach – nein, ich habe mich nicht wirklich geärgert. Ich war so gesättigt durch das schöne Echo beim Festival und finde richtig, dass es unabhängige Jurys gibt.

Ist gegen Maren Ade als Frau entschieden worden?

Lucy Russell als "Steph" und Peter Simonischek als "Toni Erdmann". Der Film kommt am 14.07.2016 in die deutschen Kinos.
Lucy Russell als "Steph" und Peter Simonischek als "Toni Erdmann". Der Film kommt am 14.07.2016 in die deutschen Kinos.
© dpa

Der Präsident war der 71-jährige George Miller, und die Palme ging an den fast 80-jährigen Ken Loach. Das wirkte gestrig. Es gab Leute, die meinten, da sei gegen Sie als Frau entschieden worden. Sind Sie an die berüchtigte Glasdecke des Aufstiegs gestoßen?

Das finde ich absolut abwegig. Es wäre doch auch blöd, einen Film auszuzeichnen, bloß weil er von einer Frau ist. Die Jury hat wohl einfach mit dem Film nichts anfangen können. So was kommt vor.

Cannes war gewissermaßen Ihre erste Ferienstation im Süden Frankreich. Ging Ihre Reise danach planmäßig für Sie weiter?

Ich bin schon während des Festivals in einen lang ersehnten Familienurlaub gefahren. Und den breche ich doch auch nicht ab, nur weil ich keinen Preis gewinne! Für den Urlaub war das sogar viel besser.

Sie reisten nur mit Ihrem Partner, dem Regisseur Ulrich Köhler, und den beiden kleinen Söhnen. In Cannes waren Sie noch mehr Familienmitglieder.

Wir hatten beide Großeltern mit und haben während des Festivals zusammen in einem Haus gewohnt. Sie wollten bei der Filmpremiere dabei sein. Und bei unseren Kindern haben sie sich als Babysitter abgewechselt.

Ihr Vater treibt selber gern Spielchen mit dem falschen Gebiss, das Sie ihm geschenkt haben. Wie hat er Sie zu der „Toni Erdmann“-Figur inspiriert?

Mein Vater hat einen sehr guten Humor und ein weites Repertoire an Scherzen. Er würde „Flachs“ dazu sagen. Das hat mich natürlich geprägt. Ich mochte, wenn mein Vater manchmal das künstliche Gebiss reingemacht hat und für wenige Sekunden jemand anderes war. Das habe ich weitergedacht. Den Toni habe ich mir ansonsten komplett ausgedacht.

Solche elterlichen Dauerspaßmacher, die einen irreführen, können auch bedrohlich wirken.

So ist mein Vater nicht, nein. Sein Humor hat eher einen humanistischen Ansatz, der zielt auf Auflockerung und damit auf Kommunikation.

Im Film ist Toni ein allein gebliebener Trennungsvater, Ihre eigenen Eltern haben ebenfalls sich früh scheiden lassen. Was ist Ihre Erfahrung: Sind Scheidungskinder anders für immer?

Ich hatte das Glück, dass meine Eltern sich gut verstanden haben. Ich denke, es kann genauso schlimm sein für ein Kind, in einer nicht funktionierenden Beziehung aufzuwachsen. Trennung ist ja sehr salonfähig geworden und so auch die Erfahrung, damit gut umzugehen. Es braucht Toleranz.

Haben Trennungskinder, wenn sie einmal erwachsen sind, eine besondere Agenda für die Erziehung der eigenen Kinder?

Ich glaube nicht, dass man in der Kindererziehung mit einer Agenda durchkommt. Das schafft man ja bei sich selbst schon kaum. Sollte ich mich mal trennen, sind meine Eltern ein Vorbild.

Ihr Mann gewann 2011 mit „Schlafkrankheit“ auf der Berlinale den Regie-Bären. Wie organisieren Sie sich im Alltag?

Relativ frei, das ist ein Vorteil unseres Berufs. Wir versuchen, abwechselnd Filme zu machen. Kurz vor Cannes hat es sich allerdings überschnitten. Er fängt im Sommer an, seinen neuen Film zu drehen, und gerade die Vorbereitungsphase ist intensiv. Dann springen die Großeltern stärker ein.

Rivalisieren Sie miteinander?

Das wird fast automatisch von außen reinprojiziert. Nein! Wir freuen uns, wenn der Partner einen tollen Film gedreht hat. Alles andere wäre furchtbar. Natürlich gibt es diese Augenblicke, in denen die Aktivität des anderen, wenn man selber schon länger nichts gemacht hat, ein Ansporn ist.

Nichts als Vorteile?

Ich bin mit jemandem zusammen, der die Absolutheit versteht, mit der man in Phasen für einen Film da sein muss. Ich bin froh, mich da nicht erklären zu müssen und freue mich, dass jeder die Getriebenheit des anderen nachvollziehen kann.

Schreiben Sie Ihre Drehbücher chronologisch?

Ich gehe fast immer von vorne nach hinten durch. Jeden Tag lese ich ein Stück zurück, manchmal sogar von Anfang an, und dann geht es weiter. Das ist mühsam, zahlt sich jedoch aus. Bei „Toni Erdmann“ habe ich teils noch während des Drehs geschrieben und die Schlussszene erneuert. Da gab es einen längeren Monolog der Tochter, den habe ich komplett gestrichen. Denn der Film hatte das schon erzählt.

In derselben Szene wird der Vater ein bisschen überdeutlich im Ausmalen eines lebensherbstlich-melancholischen Gefühls. Warum so simpel?

Die Szene sollte unbeholfen wirken. Er will ihr sagen, was für ihn das Leben lebenswert macht – doch das gerät etwas schlicht, weil es einfach schwer ist, diese Frage zu beantworten. Die Tochter Ines windet sich beim Zuhören auch etwas. Es gibt keine richtige Erlösung.

In Ihrem Debüt „Der Wald vor lauter Bäumen“ kommt eine junge Lehrerin mit der Welt überhaupt nicht klar, in „Alle Anderen“ machen sich erst zwei, dann vier Leute auf beklemmende Weise fertig, und „Toni Erdmann“ ist voll von oberpeinlichen Szenen, für den Vater wie für die Tochter. Tut Fremdschämen Ihnen überhaupt nicht weh?

Bei der Premiere meines ersten Films „Der Wald vor lauter Bäumen“ bei den Hofer Filmtagen war ich etwas entsetzt über die Reaktion der Zuschauer. Die haben viel Abneigung gezeigt gegenüber der Hauptfigur, bis hin zu lauten Ausrufen: „Mann, ist die doof!“ Ich fand die Figur niemals peinlich und wollte sie auch nicht vorführen. Das darf einem nicht passieren. Für mich war sie in ihrer Naivität eher der bessere Mensch. Das Fremdschämen ist ja oft ein Zeichen von Identifikation.

Abstrahieren Sie beim Schreiben völlig von der Zuschauerperspektive?

Ich denke immer ganz aus den Figuren heraus. Was ist in diesen Alltagsmomenten jetzt das größte Drama, der größte Schmerz? Häufig entsteht durch das Existenzielle auch Komik.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht, heißt ein alter Spruch. Ist das einzige Kriterium für Humor dieses Trotzdem?

Humor entsteht oft aus Verzweiflung oder einer Sackgasse. Wenn man ihn beherrscht, dann kann er oft eine Lösung sein. Weil man damit etwas leichter sagen oder eine Spannung auflösen kann. Trotzdem zieht Lachen oft nach sich, dass es dann wieder einen seltsam ernsten Moment gibt, in dem die Stimmung abfällt. Diese Fallhöhe benutzt auch der Film.

Sind Sie selber lustig?

Ich versuche es. Auch beim Arbeiten. Das Filmemachen lädt ja ein zu allerhand Quatsch. Es kann aber auch gefährlich sein, wenn man beim Drehen dauernd rumalbert. Wenn ich es am Set von „Toni Erdmann“ richtig lustig fand, merkte ich, jetzt muss ich aufpassen.

Sie gelten als Kontrollfreak in der Arbeit, sind daher gefürchtet am Set. Rebellieren die Schauspieler manchmal gegen Ihren Perfektionismus?

Das kann schon Nerven kosten, wenn eine bestimmte Einstellung wieder und wieder gedreht werden muss. Sandra Hüller und Peter Simonischek, meine Hauptdarsteller in „Toni Erdmann“, sind tolle und radikale Schauspieler. Wir hatten über 100 Stunden Material am Ende, und das meiste davon war sehr gut. Die beiden haben ihren Figuren sehr viel gegeben.

Ihre Figuren haben Sehnsucht nach mehr ...

Der Schauspieler Peter Simonischek, Maren Ade und die Schauspielerin Sandra Hüller beim Filmfest München.
Der Schauspieler Peter Simonischek, Maren Ade und die Schauspielerin Sandra Hüller beim Filmfest München.
© dpa

Schön wär’s wohl, wenn man auch die Reaktionen des Publikums kontrollieren könnte.

Das habe ich mir schon manchmal insgeheim gewünscht. Mein Reflex ist es, im Saal zu sitzen und zu denken: Bei euch würde ich auch gerne Regie führen – jetzt müsstet ihr aufhören zu lachen, denn gleich wird’s wieder ernst.

Sehen Sie eine Linie, die Ihre drei Filme verbindet?

Wenn ich an meinen Film „Alle Anderen“ denke, dann kann ich mich kaum noch an Szenen im Detail erinnern. Was bleibt, sind die Figuren. Wenn ich an die denke, dann fühlt sich das an, wie an echte Menschen zu denken. Wie an jemanden, den man sehr gut kennt.

Sie vergrößern Ihre innere Familie?

Ja, vielleicht hab’ ich irgendwann eine Art Ahnenwand für sie. Und die Filme scheinen immer um exakt 40 Minuten länger zu werden. Das heißt, der nächste Film dauert 200 Minuten.

… oder nehmen wir die Zuschauerzahlen. Erst 20 000, dann 180 000, also müsste „Toni Erdmann“ fast bei zwei Millionen landen.

Na, wenn wir später die Fernsehzuschauer dazuzählen!

Vielleicht drehen Sie in gewisser Weise immer denselben Film: Eine Gemeinsamkeit ist, dass Ihre Figuren abgrundtief einsam sind, ob als kontaktfreudiger Single, als Paar oder in der Familie.

Sie versuchen, diesen Zustand zu überwinden. Sie strampeln sich ab, haben Sehnsucht nach mehr.

Wie kamen Sie auf den Titel „Toni Erdmann“ ? Den Toni haben Sie von Tony Clifton, dem erfundenen Doppelgänger des Komikers Andy Kaufman. Und „Erdmann“?

Ich erinnere dunkel irgendwo in Karlsruhe ein Straßenschild, vielleicht so etwas wie Autohaus Erdmann oder so. Ich muss nochmal an der Stelle vorbeifahren, wenn ich auf der Kinotour dort bin.

Vielleicht auch, weil dieser so unkonventionelle Toni Erdmann seine unglückliche Tochter erdet. Wer erdet Sie?

Meine Kinder. Weil sie einfach da sind, im Hier und Jetzt. Da muss man dann mitmachen.

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