Kakao: Heiße Schokolade
Kakaobohnen sind so teuer wie lange nicht. Aber was haben die Bauern in Afrika davon? Eine Reise nach Sierra Leone.
Schokolade? Der alte Mann mit der Wollmütze schüttet den Kopf. Die Kinder haben ihn gerufen, als plötzlich der fremde weiße Besucher im Dorf auftauchte.
Kakao? „Cocoa, ja, der wächst hier auf meiner Plantage.“ Der 70-jährige Dorfchef lächelt. Aber Schokolade? Faiya Kutu weiß nicht, was das sein soll. Neugierig blickt der Mann von vier Frauen und Vater von 15 Kindern auf die bunte Verpackung aus dem fernen Europa, deren Inhalt sich in der Hitze Afrikas längst verflüssigt hat. Vorsichtig steckt er seinen Finger in die braune Masse, leckt daran. Und dann seine Frauen, Kinder und Enkel. Ein ungewohnter Geschmack in Mendakoama im Kissi Tongem Chiefdom im Osten von Sierra Leone.
Der Weg zu Faiya Kutu und seiner Familie führt von der Lehmstraße des Distrikts sechs Kilometer über brüchige Brücken entlang eines schmalen Pfads, auf dem selbst das Moped manchmal stecken bleibt. Über den letzten Hang hoch zur Lichtung im Wald geht es nur noch zu Fuß weiter. Endlich steht man vor einer Siedlung aus Lehmhütten, deren Bewohner nicht einmal über Latrinen verfügen, geschweige denn über Strom, dafür über eine Frucht, nach der sich die Welt verzehrt: Gerade jetzt, im Winter, wenn echte Liebhaber bereit sind, für 50 Gramm feinster Schokolade mit 70 Prozent Kakaoanteil vier Euro auf die Theke des Chocolatiers ihres Vertrauens zu legen, dann aber auch ein Bio- oder Fairtrade-Label auf der Packung erwarten. Die Mehrheit allerdings mag es lieber günstig als ökologisch oder gerecht. Schokolade, das ist legaler Stoff zur Gemütsaufhellung, denn Kakaopulver enthält Theobromin, chemisch Koffein ähnlich. Gut für trübe Tage in den Industrieländern des Nordens.
Deutschland lag im letzten Jahr mit 11, 4 Kilo pro Kopf im europäischen Vergleich gleich auf Platz zwei nach der Schweiz im Schokokonsum. Fast jedes Gramm jedoch wurde ohne Zertifikat verzehrt: Der Anteil von Bio-Kakao wird von der Internationalen Kakao Organisation (ICCO) auf knapp 0,5 Prozent geschätzt – das entspricht weltweit gerade einmal 15 000 Tonnen, von denen 5000 allein aus der Dominikanischen Republik stammen. Fairtrade macht nicht einmal 0,1 Prozent vom Handel aus.
Trotzdem geht es selbst Kleinbauern wie Faiya Kutu zurzeit relativ gut. In diesem Jahr hat er bislang sechs Säcke Kakao à 70 Kilo geerntet und dafür 750 US-Dollar bei der Kooperative von Buedu bekommen.
So seltsam es klingt, im fairen Handel hätte er kaum mehr verdient. Fairtrade soll ein höheres Einkommen unabhängig von den Schwankungen des Weltmarktes garantieren und koppelt die Aufschläge an ein festgesetztes Minimum. Seit dem 1. Januar 2011 beträgt es pro Tonne 2000 US-Dollar. Der Weltmarktpreis aber liegt zurzeit über 3000 US-Dollar, seit 2009 ist er um 150 Prozent gestiegen. Nie in den letzten 30 Jahren war Kakao so teuer wie heute.
Das liegt weniger an der gerade zu Ende gegangenen Weihnachtszeit als an der Wirtschaftskrise, die den Rohstoff plötzlich zum Spekulationsobjekt machte. Im Sommer kaufte der britische Hedgefondsmanager Anthony Ward 240 000 Tonnen – was fast dem gesamten Lagerhausvorrat Europas entspricht oder sieben Prozent der Welternte: genug, um über fünf Milliarden Schokoriegel herzustellen. Laut Beobachtern will Ward die Preise weiter in die Höhe treiben, um seine eigenen Bestände mit möglichst hohem Gewinn wieder zu verkaufen.
Von einer Tafel Schokolade mit rund 50 Prozent Kakaoanteil im Supermarkt entfallen rund sieben Cent auf einen Farmer wie Faiya Kutu – das klingt nach wenig, ist aber für einen Rohstoff, der erst noch verschifft und aufwendig verarbeitet werden muss, erstaunlich viel. Arm ist der Kleinbauer mit seinen 450 Kakaobäumen derzeit also vor allem, weil er so wenig vom einzelnen Baum erntet.
Deshalb setzt die deutsche Entwicklungshilfe im fernen Kissi Tongem Chiefdom zunächst auf Ertrags- und Qualitätssteigerung. „Unser Projekt zielt auf die Anerkennung aller unserer Kooperativen als bio“, erklärt Franz Moestl von der Welthungerhilfe, „vor allem aber müssen wir die Güte verbessern. Derzeit ist der Ruf der Frucht aus dem ehemaligen Bürgerkriegsland noch so schlecht, dass er die Exporterlöse Sierra Leones pro Tonne grundsätzlich um 15 Prozent unter den Weltmarktpreis drückt.“
Seit drei Jahren lebt der bärtige Bayer an einem Ort mit viel Kakao, aber ohne Infrastruktur, in einem Haus ausschließlich mit Solarenergie, weil nicht einmal die Distrikthauptstadt ans Stromnetz angeschlossen ist. Für die Fahrt zur Kooperative in Buedu, wo auch der Kakao von Faiya Kutu sortiert und fermentiert wird, braucht er selbst mit dem Landrover mindestens einen halben Tag.
Faiya Kutu kann weder lesen noch schreiben. Als er von den Dieben erzählt, die nachts heimlich seine Plantage abernten, muss man ihm zehn Blätter vorlegen, um zu verstehen, wie viel die Räuber ihn kosten: Sechs Blätter nimmt der Dorfchief weg, 60 Prozent seiner Ernte also.
Kann das sein? Franz Moestl hält die Zahl für übertrieben. „Doch gestohlen wird, und nicht selten ist die eigene Familie involviert: etwa ein jüngerer Sohn oder eine Ehefrau, die sich zurückgesetzt fühlen.“ Der heimlich geerntete Kakao, so Moestl, wird dann ohne fachgerechte Fermentierung verkauft – und zerstört weiter den Ruf von Sierra Leone als Herstellerland.
Es ist eine von vielen Herausforderungen des Projekts, das mit Mitteln des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit finanziert und der Welthungerhilfe realisiert wird. Die Zusammenarbeit fällt nicht immer leicht, etwa wenn man Bauern vom Sinn der Baumbeschneidung überzeugen will. Dass ein Stamm mit weniger Zweigen im Folgejahr mehr Früchte trägt, glauben sie erst, wenn sie es mit eigenen Augen gesehen haben. Und obwohl die Idee der Kooperative für die Bauern nicht neu ist, mögen sie ihre Ernte nicht mit ihrem Nachbarn in einen Korb tun. „Dadurch“, erklärt Moestl, „bleibt dann die Masse zu klein, um die nötige Hitze zum Fermentieren zu entwickeln.“ Wieder sinkt die Qualität.
Seit dem Bürgerkrieg (1991 bis 2002) leben die meisten einfachen Einwohner Sierra Leones von der Hand in den Mund – oder von dem Kredit des lokalen Händlers, meist eines Libanesen. Der gibt ihnen, etwa wenn die Schulgebühren für die Kinder anfallen, gerne einen Sack Reis. Dafür erhält er nach der Ernte einen Sack Kakaobohnen – ein Riesengeschäft für die Händler.
Hier würde fairer Handel helfen, denn das System bietet auch günstige Kleinkredite. Die Zertifizierung aber kostet erst mal Geld und macht nur Sinn, wenn auch die Nachfrage stimmt. Dasselbe gilt für die Bio-Labels. Für biologischen Anbau hat das Land zwar beste Voraussetzungen – ein Nebeneffekt des Krieges. Während der Unruhen kamen zwar jede Menge Waffen ins Land, aber keine Pestizide. „Sierra Leone“, sagt Franz Moestl, „könnte sich leicht um ein landesweites Zertifikat bemühen.“ Zurzeit aber wird das biologische Produkt im Hafen von Freetown gar nicht erst als solches ausgewiesen, weil es einfach keinen Markt für Bio-Kakao gibt. Der Kauf von Bio-Schokolade allein wird dies kaum ändern, erst wenn auch Trinkschokolade, Pralinen, Schokoriegel oder Kosmetik aus Kakaobutter nur noch biologische Stoffe enthalten.
Was soll man nun dem bewussten Konsumenten raten?
Der Berliner Chocolatier Christoph Wohlfarth glaubt, dass Kakao für gute, meist teure Schokolade am Ende immer auch unter guten Bedingungen angebaut wird. Auf seinen Schokoladen steht nicht nur die genaue Bohne, sondern auch das Land, aus dem diese stammt: meist ein Staat aus Südamerika, dem Heimatland der Kakaopflanze.
Erst die Kolonialmächte brachten das Gewächs nach Afrika; dort an der Elfenbeinküste wird mit über einer Million Tonnen der meiste Kakao weltweit angebaut – laut UNICEF allerdings zu großen Teilen unter Einsatz von Kinderarbeit. Laut einer Studie des International Institute for Tropical Agriculture (IITA) helfen weltweit über 250 000 Kinder bei der Kakaoernte, die weitaus meisten jedoch als Familienmitglieder, nicht als verschleppte Sklaven; obwohl auch dies vor allem an der Elfenbeinküste vorkommt, wie eine ARD-Dokumentation erst im November zeigte.
Und bei Faiya Kutu? „Natürlich müssen die Kinder mithelfen bei der Ernte. Aber erst nach der Schule.“
Das Leben in Mendakoama im Kissi Tongem Chiefdom im Osten von Sierra Leone ist nicht einfach, aber das war es auch vor dem Bürgerkrieg nicht. Viele durch die Wirren entwurzelte Jugendliche verdingen sich noch immer in den Diamantminen des Landes. Sie sind die eigentlichen Sklaven. Und noch acht Jahre nach Ende des Krieges versucht die GTZ, sie zurück in ihre Heimatregionen zu bringen, dahin, wo der Kakaobaum wächst, wo auch die Familie ihre Wurzeln hat und es zwar keine Bars gibt, aber immerhin selbst gebrauten Palmwein.
Kakaobäume wachsen am besten in einer natürlichen Mischkultur, im Schutz größerer Bäume, etwa Teak, während unterhalb von ihnen Bananenstauden oder Zitrusfrüchte gedeihen. Das macht sie ideal für Familienbetriebe, so wie in Mendakoama. Der Hain von Faiya Kutu garantiert seiner Familie auch in der nächsten Generation ein Auskommen; und wenn erst die Nachfrage nach Bio-Kakao und damit dessen Preis steigt, dann steigt auch sein Verdienst – jedenfalls solange Spekulanten den Weltmarktpreis nicht plötzlich wieder zu Fall bringen.
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