Mode in Ungarn: Grüße aus Budapest
Ungarns Modeindustrie hat eine lange Tradition. Bekannte Luxushäuser lassen ihre Kollektionen hier fertigen. Aber das Land hat auch eine eigene, höchst lebendige Modeszene wie Vivien Láslóffy von der Marke Áeron weiß.
Warum trägt ein rahmengenähter Herrenschuh mit Lochung, Fersen- und Flügelkappe eigentlich in Deutschland den Namen „Budapester“? Überliefert ist nur, dass entsprechende Modelle Ende des 19. Jahrhunderts vornehmlich in Osteuropa gefertigt wurden. Man weiß nicht, was zuerst da war, das erfolgreiche osteuropäische Schuhmodell, dessen Produktion sich dann immer mehr Budapester Schumacher widmeten, oder die vielen Budapester Schuhmanufakturen, die ihr schönstes Modell samt Namen in die Welt hinaustrugen. Fest steht: Die Budapester Schuhe deuten auf eine lange Tradition der ungarischen Modeproduktion hin. Zumal das Land mit Etienne Aigner auch eine Luxusmarke von internationalem Rang hervorgebracht hat.
„Heute spricht man in der Mode fast nur noch vom italienischen Handwerk, dabei gibt es das auch in Ungarn schon seit Jahrhunderten“, bestätigt Vivien Láslóffy. „Neben den Budapester Schuhen haben auch die Lederverarbeitung in Pécs oder handgefertigte ungarische Handschuhe eine lange Geschichte.“ Láslóffy ist Geschäftsführerin des Labels Áeron und kümmert sich darum, dass die Entwürfe der Budapester Designerin Eszter Áeron verkauft werden.
Sie erzählt, dass die Modeproduktion in Ungarn in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat, aktuell aber wieder an Relevanz gewinnt. „Heute lassen große Marken wie Moncler, Chloé oder Givenchy ihre Kollektionen wieder in Ungarn produzieren“, sagt sie. Und die Liste ist noch länger: Auch die Britin Stella McCartney, das französische Label Iro und die kürzlich verstorbene Pariser „Königin des Stricks“, Sonia Rykiel, überließen ihre Fertigung ungarischen Fabrikanten.
„Die Ungarn sind sehr zuverlässige Menschen“, erklärt Vivien Láslóffy. „Im Vergleich zu anderen Produktionsländern ist die Fertigung sicherlich nicht so preiswert, aber die Qualität ungarischer Erzeugnisse stimmt.“ Tatsächlich komme Ungarn den italienischen Qualitäten sehr nahe. Preislich dürfte sich das Land allerdings weit entfernt von dem kostspieligen „Made in Italy“ bewegen. Und das hat sich unterhalb der Luxusmarken herumgesprochen, meint Láslóffy.
Für das Label Áeron ist Budapest als Standort goldrichtig: „Die Stadt ist sehr inspirierend, sie hat Geschichte, tolle Architektur, jedes Gebäude, jede Straße erzählt eine ganz eigene Geschichte“, sagt sie. Budapest bleibe zwar Inspiration für Áeron, die Entwürfe werden aber eher von Details angeregt: „Von einem bestimmten Eindruck, einer Fotografie, manchmal einer Epoche.“
Wenn es um das Material geht, wagt sich das Label über Ungarn hinaus, alle Stoffe kommen aus Italien oder Japan
Das Label steht für einen gewissen Minimalismus, ergänzt den leisen Stil jedoch Saison für Saison um neue Modetöne. Mit azurblauen Lederculottes, grauen Strickkombinationen aus Pullover und Midirock und einem symmetrisch geschnittenen Latz aus cognacfarbenem Glattleder ist die Bandbreite der Modelle für den kommenden Herbst groß. Und dann ist da noch dieses Kleid: ein gräulich-violettes Babydoll mit Reißverschluss vorn und wollweißen Volants an den Manschetten. Wie butterweiches Wildleder fasst sich das Material an, durch Licht und Berührung entstehen Schattenlandschaften auf dem Faserflor. Was aussieht wie Leder, ist in Wahrheit organisch hergestelltes, pflanzliches Veloursleder aus Japan, ein stoffliches Markenzeichen von Áeron. Wenn es um das richtige Material geht, wagt sich das Label über die ungarischen Landesgrenzen hinaus, alle Stoffe kommen aus Italien oder Japan.
Produzieren lässt das Unternehmen aber, wie sollte es anders sein, in Ungarn. Markengründerin Eszter Áeron kennt die Vorteile der dortigen Modeproduktion, sie entstammt selbst einer ungarischen Textildynastie. Mittlerweile gibt es ihre Mode in über 100 Geschäften weltweit zu kaufen.
Seit einiger Zeit unterstützt das Land den Modenachwuchs staatlich, zum Beispiel mit Stipendien. Investoren sind heute zunehmend bereit, ungarische Labels mit Risikokapital zu stützen. So zitierte die Onlinezeitung „Daily News Hungary“ vergangenes Jahr eine Studie, der zufolge die Modeindustrie immerhin 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. 4,4 Prozent der Beschäftigten Ungarns arbeiten in der Textilbranche, die nach der Automobilindustrie die zweitstärkste des Landes ist.
Ein gutes Zeichen für die junge Budapester Kreativszene – ausgerechnet aus Richtung einer konservativen Regierung, die auf europäischer Ebene aktuell vor allem für schlechte Nachrichten sorgt. Da halten sich die Kreativen zurück: Die ungarische Jungdesignerin Dóri Tomcsànyi, die mit ihrem Label Tomacsanyi im Juni auf der Berliner Fashion Week vertreten war, sagt gleich ein ganzes Interview ab, und auch bei Áeron will man zum Kabinett Viktor Orbáns nichts sagen, man konzentriere sich auf die internationale Ausrichtung.
Dazu passt, dass Vivien Láslóffy plant, im nächsten Jahr zur Fashion Week nach Berlin zu kommen. Schon im Sommer wurde Áeron für eine Schau in Berlin angefragt. Ein Angebot, das die Marke aus zeitlichen Gründen ablehnte. „Wenn wir die Möglichkeit haben, wollen wir nächstes Jahr in Berlin dabei sein. Der deutsche Markt wird immer wichtiger, und den wollen wir auch für uns ausbauen“, sagt Láslóffy.
Sie sieht viele Ähnlichkeiten zwischen Berlin und Budapest: Ein vergleichbarer Hype, der Berlin vor zehn Jahren erreicht hat, sei mittlerweile um die ungarische Hauptstadt entstanden. Eine eigene Fashion Week hat Budapest auch schon. Wie in Deutschland mit Geldgeber Mercedes-Benz im Rücken: 30 Veranstaltungen mit national bekannten Designern wie Ana Ljubinkovic, Kata Szegedi oder Jiri Kalfar gibt es bei der nächsten Ausgabe vom 13. bis 16. Oktober.
„Das ist ein kleines Format von zwei Tagen. Aber für uns als eine der größten Marken Ungarns ist es wichtig, mitzumachen und so den Nachwuchs zu unterstützen“, sagt Láslóffy. Für den Nachschub neuer Talente ist gesorgt, in Budapest gibt es zwei Hochschulen, an denen Mode- und Textildesign unterrichtet wird. Ganz schön viel los in Ungarn. Und übrigens: Budapester Schuhe werden hier „Karlsbader“ genannt. So wie Wiener Würstchen in Wien Frankfurter heißen.