Kochausbildung im Knast: Geschlossene Gesellschaft
Entlassene Häftlinge werden häufig wieder kriminell – ist ein Arbeitsplatz die beste Therapie dagegen? In einem Brandenburger Knast lernen Gefangene servieren und kochen. Ein Blick hinter Gitter.
Heiße Phase im Knastlokal, Töpfe klappern, Curry kitzelt in der Nase, die Brille eines Lehrlings beschlägt überm Wasserdampf der Bain-Marie. Michael, rasierter Kopf und Möbelpackerhände, bringt auf großer Flamme seine Pfanne zum Zischen, bis sich Wildwürfel braun färben. „Man muss das Fleisch scharf anbraten“, erklärt er, „damit sich die Poren verschließen“.
Als freier Mann brachte Michael Nudeln mit Ketchup fertig. Sollte es mal Soße sein, dann die aus der gelben Tüte. Heute, auf Zelle, schneidet er Rezepte aus und erwischt sich, „wie ich Kochshows kieke“. Gourmetkoch will er werden: „Draußen hätte ich keine Lehre mehr gefunden, mit meinen 38 Jahren.“
Kurz vor sieben blitzt blank geputzter Stahl in der Küche. Dienstbeginn in der Personalkantine der Luckau-Dubener Haftanstalt. Zwölf schläfrige Frauen und Männer in gestärkten Kochjacken hocken im Speisesaal (aufgekrempelte Ärmel legen liederlich gestochene Tätowierungen frei). Sie sind zwischen 20 und Ende 30, einer mit Berufsabschluss, sonst: Schulabbruch, kriminelle Abstürze. Hier sollen sie binnen zwei Jahren die Kunst des Kellnerns und Kochens lernen. Ein Gesellenbrief für den ersten echten Plan im Leben.
Ausbilder Henry Blume nickt in die Runde, startet sein morgendliches Frage-Antwort-Spiel. „Was nehmen wir für den griechischen Salat?“ – „Wie viel Wasser braucht ein Kilo Reis?“ Dann kommt Michael an die Reihe. „Das Wildgulasch, wie bereiten Sie das zu?“– „Anbraten, tomatisieren, mit Fonds ablöschen. Zum Schluss Preiselbeeren.“ – „Warum zum Schluss?“ – „Sonst zerkochen die.“
Früher ließ sich das Personal der JVA Luckau-Duben mit Bulette und Bockwurst abspeisen, seit aus der Kantine vor sechs Jahren ein Lehrbetrieb wurde, gleicht jede Mittagspause einem Restaurantbesuch. Blütenweiße Tischtücher und auf Stoffkante gerückte Stühle, Blumengestecke, polierte Gabeln, Serviettenfaltkunst. Auch Dekorieren gehört zur Ausbildung.
Doch vieles läuft hier anders als in der Außenwelt. Kein Lehrling könnte je verschlafen, nach der Lebendkontrolle am Morgen führt man ihn aus seiner Zelle her. Statt echten Euros kassieren sie Spielgeld, Kognak einschenken wird mit Apfelsaft trainiert. Ein verschwundenes Messer kann Alarm auslösen. Neun Stück gehören zum Feierabend in den Messerschrank, als mal eins fehlte, mussten alle Azubis suchen, bis es unterm Berg von Kartoffelschalen zum Vorschein kam.
„Als ich anfing, war ich geschockt, dass man hier nicht mit Rotwein ablöschen darf“, sagt Henry Blume. Der Koch mit Meisterbrief war als Hauptfeldwebel und Küchenmeister in Kabul und im Kosovo, seit er Frau und Kindern versprach, „sesshaft“ zu werden, ist die Lehrküche der JVA sein Einsatzgebiet. Auf bewährte Bundeswehrrezepte schwört er weiter, VENÜ ist eins. Vormachen. Erklären. Nachmachen. Üben. Disziplin müssten die meisten genauso lernen wie Gemüse hobeln.
Dass hier Straftäter mit Messern hantieren, mache ihm keine Angst, sagt Blume. Deren Vergangenheit hat er trotzdem auf dem Schirm: Mit dem Lineal fährt er über das Gruppenfoto, das er als Hintergrundbild des Bürocomputers eingerichtet hat. „Der sitzt wegen versuchten Mordes. Der da hat Autos verschoben, der Drogen vertickt. Er hat zwei Frauen getötet.“
Laut Lehrplan lernen Gastgewerbe-Fachkräfte, simple Speisen zuzubereiten. Schnitzel klopfen, Salate anrichten, Bauernfrühstück nach Rezept. Blume aber sagt: „Wir machen hier alles, von der Roulade bis zum Tiramisu.“ Das Reh für das Gulasch, geliefert von einem Jäger der Region, haben sie fachgerecht in der Küche zerlegt. „Ich halte das Niveau bewusst hoch.“ Wenn später im Betrieb mal der Koch ausfalle, könne man am Herd einspringen und Pluspunkte sammeln beim Chef. „Die Frau kann weglaufen, die Wohnung gekündigt werden, aber was man hier drin hat“, sagt er und pocht an die Stirn, „nimmt einem keiner mehr“.
Noch zehn Minuten, ruft Blume, „dann kann das Gulasch runter“. Er patrouilliert um die Töpfe, tunkt in die Chinapfanne, „lecker, schön scharf!“. Viele Köche drängeln sich um den Herd, es scheint erträglicher, als auf acht Quadratmetern Zelle allein zu sein. „Rühr mal um und gib ein bisschen Nelke dran“, rät Michael dem, der sich am Rotkohl zu schaffen macht.
Früher wusch Michael mal Teller beim Griechen, „ist 17 Jahre her“. Nach der abgebrochenen Lehre in den letzten Tagen der DDR hat er keinen Beruf gelernt. Er sitzt seit viereinhalb Jahren, schwere Körperverletzung mit Todesfolge. 2016 könnte er rauskommen. Im Knast machte er die mittlere Reife, nach der Gastrolehre will er den Koch draufsatteln. Michael sei einer, sagt Blume, der seine Haftzeit nutzt. „Die haben hier kein Kino, kein Privatleben – für die Ausbildung ein Vorteil.“
Kurz vor halb zwölf. Zwei der Frauen tauschen Küchenkluft gegen Krawatte und Weste – sie sind heute zum Servieren eingeteilt. Der erste Gast, ein Beamter in Uniform. „Freunde der Sonne, ich habe Kohldampf!“, ruft er. „Mahlzeit!“, grüßt Michael und schöpft Gulasch auf den Teller. 60 Gäste kommen noch, es gibt den Tisch der Krankenschwestern und den der Psychologen, die lange Tafel für das Verwaltungspersonal. Was übrig bleibt, dürfen die Küchenkräfte verspeisen.
Halb eins mittags, High Noon im Knastrestaurant. Um diese Uhrzeit pflegt Anstaltsleiter Hans-Christian Hoff zu speisen. Bei Entscheidungen über Freigang oder Lockerung hat er das letzte Wort – und sorgt für nervöse Mienen wie ein Michelin-Tester im realen Restaurant. Hoffs Sonderwünsche können alle aufsagen: Dessert doppelt, Würstchen scheibchenweise, als Getränk Multivitaminsaft...
Und fürchtet der Anstaltsleiter nicht, dass ihm mal einer in die Suppe spuckt? „Nein“, sagt er und sticht mit dem Löffel ins Soufflé, ich bin sicher, die Häftlinge sind zufrieden mit ihrer Arbeit.“ Eine Kellnerin huscht herbei, trägt ab, fragt: „Darf ich den Espresso bringen?“ Hoff nickt und erzählt vom vergangenen Jahr, Klassikkonzert in der JVA. Nach Don Giovanni und Lohengrin präsentierten die Azubis ihre Canapés und Cocktailkreationen als Zugabe. „Da waren die stolz wie Oskar.“
Die Bewährungsprobe wartet jenseits der Sechsmetermauern. Das Justizministerium weiß: Jeder dritte Entlassene wird erneut straffällig. Draußen schnell Arbeit zu finden, so Studien, senkt das Rückfallrisiko. Da wirken die jährlich 80 000 Euro aus dem Europäischen Sozialfonds, mit denen die Berliner Universal-Stiftung die Gastrolehre organisiert, wie eine wohlüberlegte Wette: Jeder Inhaftierte in Brandenburg kostet 45 000 Euro im Jahr.
Um ihren Lehrlingen zum Anschluss zu verhelfen, sprechen Blume und seine Ausbilderkollegin Agnes Simon regelmäßig bei Gastwirten der Gegend vor. Einen entlassenen Absolventen hatte Simon an ein Lokal im Spreewald vermittelt. Nicht ohne Stolz schlägt sie dort ein Treffen vor. Wenige Tage vor dem Termin meldet sie sich, die Stimme kalt vor Frust. Der Mann, trockener Alkoholiker, wurde hinterm Tresen beim Klauen erwischt. Schnaps. Die Hoffnung währte fünf Wochen lang.
Es geht auch anders: Der Wirt eines Gasthofs zweifelte, ob er Jenny (Name geändert) einstellen solle; wegen ihrer Tätowierungen, den Piercings oder der grellbunten Frisur. Auch die 33-Jährige hat ihre Restaurantlehre in Luckau-Duben gemacht. „Ich dachte, ich brauche nicht lang zu reden, sondern überzeuge ihn einfach“, erzählt Jenny im Besucherraum des Offenen Vollzugs in Spremberg, in dem sie derzeit noch sitzt. Mit dem Fahrrad fuhr sie durch strömenden Regen zum Probearbeiten. Und bekam einen Arbeitsvertrag. Von ihrem ersten Gehalt hat sie sich Kellnermesser und Kassierbörse gekauft.
„Sobald der Stress losgeht, blühe ich richtig auf“, sagt Jenny. Ihre Gesellenprüfung bestand sie mit 92 Punkten. Die Handwerkskammer Cottbus zeichnete sie als Beste aus.
Ihren Absolventen raten Blume und Simon trotzdem, im neuen Job nicht unbedingt von ihrem Lehrbetrieb zu erzählen.
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