Drogen: Trip ins Ungewisse
Kaleidoskopartige Bilder, traumhafte Welten: Albert Hofmann wusste nicht, wie ihm geschah. Erst später begriff der Schweizer Chemiker, dass er eine Substanz mit Folgen entdeckt hatte. 1943 begann die Geschichte des LSD.
Am 19. April ist wieder „Bicycle Day“ zu Ehren Albert Hofmanns. Damit feiern LSD-Nostalgiker den Schweizer Chemiker, der vor 70 Jahren durch die Basler Innenstadt radelte – nachdem er sich testweise 0,25 Milligramm der von ihm entdeckten Substanz verabreicht hatte.
Und wie fährt es sich unter Einfluss von Lysergsäurediethylamid? „Ich hatte das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen. Indessen sagte mir später meine Assistentin, wir seien sehr schnell gefahren.“ So trocken beschrieb Albert Hofmann den ersten Fahrradtrip der Geschichte. Der akkurate Wissenschaftler aus dem kleinen Ort Baden war 37 Jahre alt, Familienvater und angestellt beim Pharmaunternehmen Sandoz, als seine Wahrnehmung von einem auf den anderen Tag aus den Fugen geriet.
Das geschah nicht ganz so ungeplant wie manch andere berauschende Drogennacht später. Hofmann hatte einen dringenden Verdacht – und dem wollte er nachgehen. „Eine merkwürdige Ahnung“ überkam ihn, so nannte es der Schweizer im Rückblick, aufgeschrieben im Buch „LSD, mein Sorgenkind“. Denn bereits 1938 war es Hofmann gelungen, diese Substanz namens LSD-25 herzustellen, nur hatte er diese nicht so gründlich getestet, wie er es fünf Jahre später tun sollte – und schon gar nicht im Selbstversuch.
Eigentlich befand sich Hofmann auf der Suche nach einem Kreislaufstimulans für Herzkranke. Dabei konzentrierte er sich auf das sogenannte Mutterkorn, wie es an Roggenähren vorkam. Mutterkorn war der volkstümliche Name für einen parasitären Fadenpilz.
Dazu muss man wissen: Bereits im 16. Jahrhundert erwähnte der Frankfurter Stadtarzt Adam Lonitzer, dass Hebammen davon Gebrauch machen, um lange Geburten zu beschleunigen. Allerdings führten falsche Dosierungen zum Tod. Im Mittelalter traten Massenvergiftungen auf, nachdem Bauern Roggenbrot mit einem bis zu 20 Prozent hohen Anteil an Mutterkorn gegessen hatten.
Der Schweizer Arthur Stoll begann 1917, mit Alkaloiden – aus Pflanzen, Pilzen oder Tierextrakten isolierte Stoffe, die auf den menschlichen Organismus wirken – zu experimentieren. Er entwickelte aus dem Mutterkorn das Alkaloid Ergotamin. Danach legte Stoll seine Untersuchungen auf Eis, bis sich ein besonders interessierter Wissenschaftler aus seinem Team, Albert Hofmann, noch einmal dem Pilz zuwandte.
Der Grundbaustein der Alkaloide ist die Lysergsäure, Hofmann gelingt es 1938, diese herzustellen und Derivate, also abgeleitete Stoffe ähnlicher Struktur, zu entwickeln. Als er das LSD-25 plant, schreibt er: „Ich nahm damals das Mittagessen nicht in der Firmenkantine ein, sondern blieb über die Mittagspause im Labor und verpflegte mich mit einer Brotschnitte mit Honig- und Butteraufstrich und einem Glas Milch... Ich hatte mein köstliches Mahl beendet und stand auf, um hin und her wandelnd über meine Arbeit nachzudenken.“ Dabei kommt ihm die Idee: Warum nicht durch eine Veränderung des Alkaloids eine stimulierende Substanz für Herzkranke herstellen?
Hofmann arbeitet in einem Labor mit zwei anderen Wissenschaftlern. „Einzellaboratorien galten als nicht vertretbarer Luxus“, schreibt er. Weiß getünchte Holzschränke, große Glaskolben und herunterhängende Lampen. Ein wenig sieht das wie eine aufgeräumte Küche aus und nicht nach einem sterilen Chemielabor. Es gab zwei Kapellen, mit Luftabzügen versehene Abteile, in denen mit teils giftigen Stoffen hantiert wurde.
Da sitzt also Hofmann, 32 Jahre jung, Mitglied im Akademikersportbund Basel, ein Laienboxer, der sich schon mal in kurzen Hosen beim Gewichtheben ablichten lässt. Ein Mann mit Ehrgeiz, der Sohn eines Schlossers und einer Sekretärin, der Kaufmann gelernt und dank eines wohlhabenden Paten Chemie studiert hat.
Hofmann will die Inhaltsstoffe von Arzneipflanzen erforschen. Dieses LSD-25 nun, das könnte der Durchbruch sein. Glaubt er 1938. Er testet die Substanz in der pharmakologischen Abteilung an Mäusen. Eine große Wirkung bleibt aus. Hofmann schreibt: „Im Übrigen war im Untersuchungsbericht vermerkt, dass die Versuchstiere in der Narkose unruhig wurden. Die neue Substanz erweckte ... kein besonderes Interesse; weitere Prüfungen wurden deshalb unterlassen.“
Am 16. April 1943 überkommt den Chemiker jenes merkwürdige Gefühl, eine irrationale Ahnung, „dieser Stoff könnte noch andere als nur die bei der ersten Untersuchung festgestellten Wirkungsqualitäten besitzen“. Also stellt er ihn an jenem Freitag noch einmal her, befolgt alle Vorsichtsmaßnahmen, und trotzdem geht irgendetwas schief: Er kommt über die Fingerkuppen in Kontakt mit der Substanz, und plötzlich stören ihn „ungewöhnliche Empfindungen“.
In sein Protokoll notiert er: „Mitten am Nachmittag (musste ich) meine Arbeit im Laboratorium unterbrechen und mich nach Hause begeben, da ich von einer merkwürdigen Unruhe, verbunden mit einem leichten Schwindelgefühl, befallen wurde. Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen rauschartigen Zustand, der sich durch eine äußerst angeregte Phantasie kennzeichnete... Phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel.“
Albert Hofmann wird am Wochenende klar, dass sein Zustand auf das LSD-25 zurückzuführen ist. Er entschließt sich zu einem Selbstversuch. Der 19. April ist ein Montag und gut gewählt. Hofmanns Ehefrau Anita ist mit den drei Kindern nach Luzern gefahren. Sollte es zu einem Zwischenfall kommen, und das ist zu jenem Zeitpunkt eben nicht absehbar, will er die Familie in sicherer Entfernung wissen. „Ich wollte vorsichtig sein und begann deshalb die geplante Versuchsreihe mit der kleinsten Menge.“ Was er noch nicht weiß: Jene 0,25 Milligramm sind eine verdammt hohe Dosis. Bereits ab zehn Prozent dieser Menge wirkt LSD.
Albert Hofmann sitzt vormittags im Labor, nachmittags will er zum ersten Mal bewusst jenes Alkaloid probieren. Er bittet eine Assistentin, die 21-jährige Susi Ramstein, ihn dabei zu überwachen. Mit Taxi oder Chauffeur kann er nicht nach Hause. Autos „waren während der Kriegszeit nur wenigen Privilegierten vorbehalten“, schreibt Hofmann. Um 16.20 Uhr nimmt er mit 10 Milliliter Wasser das LSD ein, „verdünnt geschmacklos“. 40 Minuten später schreibt er in sein Laborjournal: „Beginnender Schwindel, Angstgefühl. Sehstörungen. Lähmungen, Lachreiz.“ Zwei Tage später ergänzt er: „Mit Velo nach Hause. Von 18 bis ca. 20 Uhr schwerste Krise.“
Da liegt er zu Hause, hat Angst. „Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem verkrümmten Spiegel.“ Er ist gerade noch fähig, seine Begleiterin zu bitten, den Hausarzt zu rufen und bei der Nachbarin nach Milch zu fragen. „Die Nachbarsfrau, die mir Milch brachte... erkannte ich kaum mehr. Das war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze.“ Er fürchtet sich. „Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinen Sinnen Besitz ergriffen.“ Hofmann schreit, springt vom Sofa auf und fällt sofort wieder ermattet nieder. „Lag ich im Sterben?“
Nach 20 Uhr trifft der Arzt ein. Albert Hofmann bekommt zu dem Zeitpunkt keinen zusammenhängenden Satz mehr hin. Die Laborantin erklärt die Situation, doch der Mediziner findet außer erweiterten Pupillen keine abnormen Symptome. Puls, Blutdruck und Atmung, alles normal. „Der Schrecken wich und machte einem Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit Platz, je mehr normales Fühlen und Denken zurückkehrten und die Gewißheit wuchs, dass ich der Gefahr des Wahnsinns endgültig entronnen war.“
Hofmann liegt auf dem Bett im Schlafzimmer und genießt mit einem Mal das ungewöhnliche Farbenspiel und jede akustische Wahrnehmung, die ein neues Bild in seinem Kopf erzeugt: „etwa das Geräusch einer Türklinke oder eines vorbeifahrenden Autos“. Seine Frau Anita kommt nachts zurück, er schläft tief und „ein Gefühl von Wohlbehagen und neuem Leben“ durchströmt ihn nach dem Frühstück. Als er in den Garten hinausgeht, erscheint dieser ihm nach dem Regen wie in einem magischen Licht.
Plötzlich fühlt sich der beinahe 40-Jährige an den Bub erinnert. An den kleinen Albert, der durch den Martinswald nahe der Heimatstadt Baden geht. Dieter Hagenbach und Lucius Werthmüller schreiben in ihrem Buch „Albert Hofmann und sein LSD“ etwas großspurig: „Wie viele Kinder beschäftigen ihn schon in jungen Jahren philosophische Fragen.“ Jedenfalls denkt Hofmann an jenen Maimorgen zurück, er vollzieht jeden Schritt auf dem Waldweg nach und erlebt den naturmystischen Frühlingswald wieder: „Er erstrahlte im Glanz einer eigenartig zu Herzen gehenden, sprechenden Schönheit, als ob er mich einbeziehen wollte in seine Herrlichkeit. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl der Zugehörigkeit und seligen Geborgenheit durchströmte mich.“
LSD-25 ist ein psychoaktiver Stoff mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, das wird Albert Hofmann nun klar. Er schreibt einen Bericht an seinen Vorgesetzten. Arthur Stoll ruft ihn sofort nach der Lektüre zurück: „Sind Sie sicher, dass Sie bei der Einwaage keinen Fehler gemacht haben? Stimmt die Dosierung?“ Er ordnet die Wiederholung des Experiments an. Drei andere Sandoz-Mitarbeiter begeben sich auf einen von oben verordneten LSD-Trip, diesmal mit einem Drittel der Dosis – aber immer noch mit der eindrucksvollen Wirkung. Ratten, Kaninchen, sogar einem Elefant werden die Substanzen beigemischt, um die Giftigkeit zu testen. Der Dickhäuter stirbt nach knapp 300 Milligramm LSD – ein „Einzelfall“, wie Hofmann schreibt.
Susi Ramstein, die Assistentin, nimmt am 12. Juni 1943 auch 100 Mikrogramm ein, wie zur Belohnung, weil sie im April ihrem Chef geholfen hat. Sie ist die jüngste Person der Versuchsreihe und die erste Frau, die je LSD probiert. Auch sie erlebt „schöne Visionen“ (laut Hagenbach und Werthmüller). Als sie die Tram nach Hause nimmt, kommt ihr nur die Nase des Schaffners „ziemlich lang“ vor. Sie wiederholt das Experiment zwei Mal – „im Bestreben mitzuhelfen, Standards für den medizinischen Gebrauch von LSD zu etablieren“.
Vor allen Dingen in der tiefenpsychologischen Forschung. Zur Förderung „seelischer Entspannung“, wie es ab 1949 im Beipackzettel des Präparats Delysid heißt, unter dem LSD in den Handel gelangt. Die „Süddeutsche Zeitung“ beschreibt die Zielgruppe so: „Psychoanalytiker, die verstockte Patienten zum Reden bringen wollten.“
Ausdrücklich empfiehlt Hofmann Psychiatern die Einnahme, um sich in die Gefühlswelt ihrer Patienten zu begeben. Werner A. Stoll, ein Sohn des Sandoz-Chemikers, arbeitet an der psychiatrischen Klinik der Zürcher Universität und unternimmt 1947 so einen Selbstversuch. Er verdunkelt sein Zimmer und sieht vor seinem inneren Auge: „Strahlen, Strahlenbüschel, Regen, Ringe, Strudel, Streifen... Eine Flucht hochragender gotischer Bogen, ein unendlicher Chor, ohne dass ich die unteren Partien mitgesehen hätte.“
Im Briefwechsel zwischen zwei Briten, dem Schriftsteller Aldous Huxley und dem Psychiater Humphry Osmond, prägt der Arzt 1956 das Wort „psychedelisch“ – die Seele öffnend. Huxley nimmt unter Osmonds Aufsicht Meskalin und LSD ein. Auch der deutsche Literat Ernst Jünger begibt sich auf kontrollierte Drogentrips – zusammen mit LSD-Entdecker Albert Hofmann.Anita Hofmann mag diese Wochenenden nicht und fährt lieber mit den Kindern weg. „Natürlich nicht, ohne den Experimentalreisenden fürsorglich eine Schale selbstgebackener Kekse auf dem Küchentisch zu hinterlassen“, so die „Neue Zürcher Zeitung“.
Spätestens ab Ende der 50er Jahre lief der Konsum von LSD aus dem Ruder. Geheimdienste interessierten sich für den Stoff als mögliches Wahrheitsserum. Hollywoodstar Cary Grant sprach 1959 in einem Interview mit der Zeitschrift „Look“ über das fantastische Präparat. Timothy Leary, Psychologie-Assistent an der Harvard Universität, wollte das Medikament massenhaft verbreiten und bestellte 1963 bei Sandoz 100 Gramm LSD-25 – das entsprach etwa einer Million LSD-Dosen. Basel verweigerte die Lieferung.
Den Aufstieg als zunächst legale Hippie-Droge konnte Hofmann nicht aufhalten. Er warnte, längst nicht alle Erfahrungen seien positiv. Das LSD sei am besten unter Aufsicht von geschultem Personal einzunehmen. Seine Worte verhallten ungehört. Schließlich verboten die USA 1966 die Droge, 1971 wurde sie als nicht verkehrsfähiger Stoff in Deutschland eingestuft. Sie verkam zu einem Synonym für vernebelte Aussteiger.
Bis zu seinem Tod 2008 setzte sich Albert Hofmann für die medizinische Verwendung seines „Sorgenkindes“ ein. Erstmals erlaubten die Schweizer Behörden wieder 2007 dem Psychiater Peter Gasser, LSD-25 an Patienten mit Krebs im Endstadium zu verabreichen. Hofmann zeigte sich begeistert: „Mein Wunsch ist wahr geworden.“ Zeit seines Lebens hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, LSD eines Tages von seinem negativen Image zu befreien. So hat die verunglückte Fahrradtour im April 1943 doch noch eine neue Wendung genommen.
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