Erik Reger und die USA: "Stellen Sie sich das bitte in Deutschland vor"
Tagesspiegel-Gründer Erik Reger und die Amerikaner: Eine Leseprobe aus dem neuen Buch "Politische Presse im Nachkriegsberlin 1945 - 1953".
Die enge Beziehung Erik Regers zu den USA nach dem Krieg beruhte auf gemeinsamen politischen Überzeugungen und persönlichen Erfahrungen mit seinen Vorgesetzten vor Ort. Für die allermeisten Deutschen war zu jener Zeit eine Reise in die USA außerhalb jeder Vorstellung. Erik Reger hatte durch sein Engagement für die demokratische Sache viel Ansehen unter den US-Besatzungsoffizieren gewonnen. So entschieden sie, Erik Reger als einen der ersten deutschen Journalisten in die USA reisen zu lassen. In einer Mitteilung des amerikanischen Kontrolloffiziers Bernt Fielden an den Chef der Berliner Informationskontrolle vom 21.2.1947 hieß es zur Begründung:
„For the prestige of not only DER TAGESSPIEGEL as leading German newspaper, but also especially for the prestige of Mr. Erik Reger who, as you know, has been subject to very strong attacks in the various papers, it is considered of extreme importance that he be included in the first group of German newspapermen to visit the USA.”
Im Jahr 1948 verbrachte Erik Reger vom 15. März bis 29. April fast sechs Wochen in den USA. Eine Reise, die er handschriftlich genau dokumentierte. Ziel war es, die Medienlandschaft der USA und die redaktionelle Arbeit der dortigen Zeitungen kennenzulernen. Tag für Tag besuchte er Radiostationen bzw. Zeitungsredaktionen. Er hielt Vorträge an der School for Journalism und gab Interviews. Von dem Besuch sollten beide Seiten profitieren: So wie Reger seine in den USA gemachten Erfahrungen zum Ausbau einer freien demokratischen Presse in Deutschland einsetzen sollte, verkörperte Reger für die US-Administration das Idealbild eines demokratischen Deutschen und sollte quasi den „eigenen“ Erfolg in der Heimat dokumentieren. Reger fuhr regelmäßig bis 1951 in die USA und wurde bei seinen Besuchen hofiert. So residierte er am 16. September 1950 im „Little White House“ in Warm Springs, Georgia, Rückzugsstätte von und Gedenkstätte für Franklin D. Roosevelt. Am 27. September 1950 wurde Reger zum Ehrenbürger der Stadt Chicago ernannt. Aufschlussreich sind seine Radioreportagen aus den USA aus dem Jahr 1948 für den RIAS, in denen er aktuelle politische Berichterstattung mit Ausführungen über die Funktionsweise der US-amerikanischen Institutionen und die US-Kultur mischte. In Hinblick auf die noch ganz frischen Erfahrungen aus der NS-Diktatur wirkt seine aufrichtige Bewunderung für die unaufgeregte Bürgernähe des demokratischen Systems in den USA verständlich. So schilderte Reger in einer Radioansprache vom 26. März 1948 seinen Berlinern Hörern den Besuch des Weißen Hauses folgendermaßen:
„Eine Pressekonferenz des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika (…) fügt sich in die unzähligen kleineren Bilder des täglichen Lebens, die hier immer wieder, in hundert Einzelheiten, die Selbstverständlichkeit, die Zwanglosigkeit, die Unabhängigkeit und die Freimütigkeit erkennen lassen, womit sich der einzelne nicht nur in seinem Umkreis, sondern auch in ungewohnteren Situationen bewegt. Niemand von den Teilnehmern ändert seine menschliche Haltung, wenn er durch das Gartentor beim Weißen Haus schreitet. Dort steht ein Beamter mit einer Liste. Ich habe mich bemüht, an ihm ein Zeichen dafür zu entdecken, dass ihm irgendwann einmal der Gedanke kommen könnte, er sei ein Vorgesetzter seiner Mitbürger. Stellen Sie sich das bitte in Deutschland vor. (…) Wie unformell alles zugeht, erlebte ich selbst, als ich dem Präsidenten durch seinen Sekretär, Mr. Ross, vorgestellt wurde. Präsident Truman interessierte sich für das Leben in Deutschland. Ich sprach auch von Berlin. Der Präsident versicherte, dass die amerikanische Besatzungspolitik in Berlin fortgeführt wird.“
Immer wieder zeigte sich Reger beeindruckt von dem unbeschwerten Leben in den USA, das er mit materiellem Überfluss in Verbindung brachte, aber vor allem mit nationalem Freiheitssinn identifizierte. Dabei kokettierte er durchaus mit dem damals unter europäischen Intellektuellen gängigen Stereotypen vom kulturlosen US-Amerikaner:
„Wenn man selbst hier weilt, sogar nach wenigen Tagen schon, bemerkt man an sich selbst, wie entrückt die europäischen Dinge zu werden drohen (…). (der Hafen) gehört immer noch zu einem anderen Kontinent, dessen innere Entfernung sich nicht mit technischen Mitteln überwinden läßt. Das Merkmal dieses anderen Kontinents ist nicht bloß der sowohl der Weiträumigkeit des Landes wie der ungeheueren Geschäftigkeit angepaßte Lebensstil. Es ist auch nicht bloß das gewaltige Potential und die vitale Energie, die einem überall begegnet (…) in den Straßen der Städte, entlang den Bahnlinien, aber auch auf dem Lande – eine Landfrau unterscheidet sich äußerlich wenig von der Frau in der Stadt, – und die Zahl der schnellen, meist funkelnd neuen Autos ist fast überall gleich. Nein, das wirklich entscheidende Merkmal ist das Beharren auf einem erstaunlichen Maß an persönlicher Freiheit, das sich niemand rauben lässt, und das seinen Niederschlag auch im politisch-parlamentarischen Leben findet. (…) Der Washingtoner Bezirk mit den riesigen Regierungsgebäuden mit dem Kapitol, dem Tagungsort des Parlaments, mit dem Weißen Haus des Präsidenten, dem gigantischen Washington-Obelisk, dem Lincolndenkmal, der Kunstgalerie, in der jetzt die aus Deutschland geretteten Gemälde ausgestellt sind. (…) Noch denken wenige von den vielen Besuchern des Washingtoner Regierungsviertels daran, dass hier mehr als eine Sehenswürdigkeit ist, nämlich das Zentrum der gesamten alten und neuen Welt. Wer als Europäer durch die Gänge und Säle des Kapitols wandert, die voll mit historischen Gemälden und Statuen – nicht immer sehr geschmackvoll nach unseren Begriffen, aber eine Atmosphäre erzeugend, die die Kraft der Nation widerspiegelt – dem drängen sich zwei Erkenntnisse auf. Einmal, dass diese Nation 150 Jahre in sich geruht und in die Geschicke der übrigen Welt wenig eingegriffen hat. (…) Hier in Washington spürt man, welche Sicherheit und welche Macht 150 Jahre geben, in denen eine Nation niemals den Sinn für die Freiheit und niemals den Inhalt der Freiheit verloren hat.“
Man muss die katastrophale Situation Berlins in diesen Monaten vor Augen haben, um Regers heute etwas naiv anmutende Faszination für ein Land zu verstehen, das alles zu haben schien, was er politisch erträumte: Freiheit, gleichberechtigte Mitbestimmung und auch Sicherheit. Die Reise bestärkte Reger in seinem Glauben an die freiheitlich-demokratische Mission der USA. Noch mehr als vorher war er jedem „Amerikanischen“ von vornherein sehr positiv voreingenommen – selbst Wohlgesonnene wurden zitiert, von Reger noch nie etwas Schlechtes über die US-Amerikaner gehört zu haben. Auch westliche Zeitungen sahen in Reger, sicher nicht ohne eine Portion Eifersucht, vor allem ein Sprachrohr der US-amerikanischen Besatzungspolitik. Denn wer immer aus den Westzonen gegen die US-amerikanische Oberaufsicht bei der bundesrepublikanischen Staatenbildung agierte und etwa gegen den Besatzungsstatus als „Kolonialstatus“ polemisierte, wurde von Reger scharf abgekanzelt. Nicht zuletzt aufgrund der eigenen Erfahrungen in Berlin war die Freiheitssicherung für Reger untrennbar mit der US-Militärpräsenz verbunden. Aus dieser Verbindung darf nicht blind gefolgert werden, dass Reger einfach die US-amerikanischen Verhältnisse Eins zu Eins in Deutschland umsetzen wollte. Er betrachtete die US-Präsenz als Schutzschild gegen den sowjetischen Totalitarismus und als notwendige Voraussetzung, eigene deutsche demokratische Strukturen schaffen zu können. Nie empfand er sich als Befehlsempfänger der US-amerikanischen Militärregierung. Reger vertraute vor allem seinen eigenen Überlegungen, die am meisten mit seiner Persönlichkeit, und wenn kollektiv, dann mit deutscher Kultur? und Politsozialisation zu tun hatten. Schon ganz am Anfang, bei der Wahl des Titels der ihm anvertrauten Zeitung, widersetzte er sich den US-amerikanischen Vorschlägen und setzte sich durch – mit dem Tagesspiegel. Auch bei seiner Entscheidung für die Intervention des Tagesspiegel im Zuge der Vereinigungsbestrebungen von SPD und KPD im Frühjahr 1946 hatte er gegen Bedenken linksgerichteter US-Offiziere anzukämpfen. Immer fühlte er sich auf Augenhöhe mit US-Autoritäten wie etwa General Lucius Clay, mit dem er regelmäßig schriftlich in Kontakt stand. Immer selbstbewusst und mit eigenen Vorstellungen brachte er sich in politische Diskussionen ein. Das US-amerikanische Politiksystem betrachtete Reger in keiner Weise in allen Punkten als vorbildlich. Eine Republik mit einem starken Präsidenten an der Spitze war für ihn nicht zuletzt wegen der frischen Erfahrungen mit einem „Führertum“ jenseits aller Vorstellungskraft. Als Deutscher und gerade als Berliner begriff Reger aber schnell, dass der Spielraum für deutsche Politik abhängig von deren Stellenwert im Kontext der Globalinteressen der beiden neuen Weltmächte war. Nur als Teil der größeren westlichen „freien Welt“ könne ein einiges freies Deutschland entstehen. Er sah sich als deutscher Weltbürger und dachte immer in diesen großen ideologischen Lagerkategorien. Dabei sah Reger wohl bereits im Jahr 1948 die Monarchie als ideale Staatsform an, um die Demokratie vor der vermeintlichen kommunistischen Aggression zu schützen. „Ist die Monarchie eine wirkliche Hilfe bei Festigung der Demokratie?“ Gerade Monarchie im Westen würde magnetische Kraft für die sowjetische beherrschte Zone haben“, lauteten Stichpunkte für eine Rede während seiner ersten US-Reise. Reaktionen waren nicht zu finden. Die Präferenz für monarchistische Staatsformen muss in einem erzrepublikanischen Staatswesen wie der USA allerdings vor allem Befremden ausgelöst haben.
Auf östlicher Seite waren die öffentlich bekannten USA-Reisen Erik Regers natürlich ein gefundenes Fressen. Für die Ost-Presse war es die Bestätigung dessen, was sie ideologisch schon immer wusste: dass Reger ein US-Agent und der TS keine deutsche, sondern eine US-amerikanische Zeitung war. Wenn es um den Tagesspiegel ging, war, je nach Laune des jeweiligen Redakteurs, vom gekauften Chefredakteur oder gleich von einem „Kolonialblatt“ die Rede. Die Ost-Presse nahm die konkrete Ankündigung der USA-Reise Regers auch zum Anlass, ein paar spöttische Zeilen zu formulieren. „Wörtlich also: Zur ‚Berichterstattung‘. Zur Berichterstattung in die USA befohlen. Ist das nicht köstlich“, hieß es etwa in der Berliner Zeitung am 21. März 1948. Jenseits der propagandistischen immer gleichen Beschimpfungen wurde auch wieder Satire als Kampfmittel eingesetzt, indem Regers schwärmerischer Zug von Amerika ironisiert und auch sein weltpolitisches Pathos ins Lächerliche gezogen wurden. In dem 1946 von den Sowjets lizenzierten Satiremagazin Der freie Wind, das zunächst vom ersten ND-Chefredakteur Ende verantwortet wurde und später 1954 in den noch heute erscheinenden Eulenspiegel überging, hieß es unter der Überschrift „Die Entdeckung Amerikas durch Erik Reger bzw. Erik Regers durch Amerika“ am 16. August 1947 wörtlich:
„Damit Erik Reger Amerika entdecken konnte, musste Hitler kommen – und gegangen werden, mussten ganze Armeen aus Amerika nach Deutschland mühselig verfrachtet werden. Der Vorgang war also gerade umgekehrt wie der bei Columbus; für die Amerikaner komplizierter, für Reger einfacher. Dieser saß jahrelang still und wartete darauf, von Amerika zufällig entdeckt zu werden. Der Schlaukopf. […] „Sieh da, Amerika!“, rief eines Morgens der rege Erik verzückt aus, „Look on, Mister Reger!“, tönte es dem neuen Columbus entgegen. Es war eine historische Stunde. Die gegenseitige Entdeckung war gemacht. Nun ging alles wie am Schnürchen. In den Annalen des ‚Tagesspiegel‘ sind die Etappen der Entdeckungen nachzulesen, die der Karl May der Politik mit dem irreführenden Wikinger-Namen nunmehr Tag für Tag in rascher Aufeinanderfolge gewissermaßen an seine föderalistische Fahne heften konnte. Seitdem wird für ihn die neue Welt schöner mit jedem Tag. Man weiß nicht, was noch kommen mag. An allem vergangenen und kommenden Elend in dieser Welt Regers ist die deutsche Einheit schuld. (…) Die sich nach Reger irrten‚ waren Stalin, Truman und Bevin 1945 in Potsdam, weil sie den deutschen Staat nicht zerschlugen. Sie verabsäumten es, damals Herrn Reger als deutschen Experten um seine Meinung zu befragen. Er war um diese frühe Stunden wohl noch nicht auffindbar und sich nicht ganz im klaren, ob er von nun an mit Romanen oder mit politischen Artikeln handeln soll. Inzwischen stehen seine Segel im prallen Westwind, je tiefer er in die neue Welt vordringt, auf neue Ideen kommt, wie man als erstes Deutschland von der Landkarte der alten Welt wegwischen könnte. Um ihn herum gruppieren sich die ewigen deutschen Esel mit ihren langen Ohren und lobpreisen den Kühnen, der Deutschland zerschlagen will – im Namen der so reizvollen westlichen Demokratie, einer aufflammenden Weltbürgerei und des amerikanischen Monopolkapitals, das mit Care-Pakten füttert.“
Nach den totalitären Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs wurden die USA für Erik Reger zu einem demokratietheoretischen Fixstern, ohne dass er in seinem politischen Denken die speziellen deutschen Bedingungen aus den Augen verlor. Die USA blieben für Reger ein fremder Kontinent, der praktisch Schutz und theoretisch entscheidende demokratische Impulse und Aufbauhilfen für Deutschland geben konnte – mehr aber auch nicht.
Der Text ist eine Leseprobe aus dem soeben erschienenen Buch "Politische Presse im Nachkriegsberlin 1945 - 1953. Erik Reger und Rudolf Herrnstadt" von Christoph Marx, die wir mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlichen. Das Buch ist im Ibidem-Verlag erschienen und kann hier bestellt werden. Christoph Marx bloggt zu den Themen Redaktion, Lektorat, Wissenschaft, Geschichte, Kultur und Sport aus Berlin. Im Blog finden Sie mehr Informationen zum Buch und eine weitere Leseprobe.
Christoph Marx