Die alten Wunden schmerzen noch. Die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs löst auch in Kanada bis heute öffentliche Debatten aus. Bei der jüngsten Kontroverse ging es um eine Schautafel im Kriegsmuseum der Hauptstadt Ottawa. Die Beteiligung kanadischer Truppen an der Bombenoffensive gegen Deutschland 1944/45 war darauf als strategisch sinnlos und moralisch fragwürdig dargestellt worden. Nach massivem Einspruch von ehemaligen Soldaten der kanadischen Armee lenkte das Museum ein. In einem neuen Text wird die Bombardierung deutscher Großstädte als wichtiger Teil des alliierten Kampfes beschrieben, der für den Sieg über Deutschland nötig war. Gleichzeitig wird auf die andauernde Kontroverse über die Bewertung verwiesen.
Der Vorgang diente als aktueller Aufhänger einer internationalen Konferenz zum deutschen Umgang mit Krieg und Nachkriegsleiden, die vor kurzem unter dem Titel „Theorizing German Suffering“ an der Universität Toronto stattfand. Dabei wurde deutlich, wie umstritten der Umgang mit der von Deutschen im und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erlittenen Gewalt – Bombardierung, Vertreibung, Vergewaltigungen – auch 60 Jahre später ist. Und das weit über die deutsche Debatte hinaus, die in den vergangenen Jahren durch Bücher wie „Der Brand“ von Jörg Friedrich (über die Opfer des Luftkrieges) oder „Im Krebsgang“ von Günter Grass (über das Leid der Vertriebenen) neuen Schwung erhalten hat.
Wie viel Provokationspotenzial nach wie vor in der Einordnung des alliierten Bombenkrieges steckt, machte vor allem Randall Hansen deutlich, profilierter Politikprofessor an der Universität Toronto, Veranstalter der Tagung und Autor einer demnächst als Buch erscheinenden Studie über die Bombenangriffe auf deutsche Großstädte. Er beurteilt die Angriffe auf Städte wie Hamburg oder Dresden durch die britische Royal Air Force (RAF) als aus alliierter Sicht strategisch unnötig, da statt kriegswichtiger Ziele vor allem Zivilisten die Opfer waren. „Wenn das Flächenbombardement mutwillige Zerstörung darstellte, dann waren die Bombenangriffe der RAF ein Kriegsverbrechen“, sagte Hansen. Dafür erntete er kräftigen Widerspruch, unter anderem von Oxford-Historiker Peter Pulzer. Angesichts des von den Nazis propagierten „totalen Krieges“ seien militärische und zivile Ziele in Deutschland nur schwer zu trennen gewesen. Auch sei 1944/45 nicht klar gewesen, wie weit der deutsche Widerstand schon gebrochen war, verteidigte Pulzer die Bombardements.
Über die Aufarbeitung von Flucht und Vertreibung waren sich die Historiker, Politik- und Kulturwissenschaftler auf der Tagung dagegen weitgehend einig. Sie stimmten der aus Konstanz angereisten Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann zu, die die kognitive Dissonanz zwischen persönlicher Leidenserfahrung und historischer Aufarbeitung der Vertreibung analysierte. „Geschichte und persönliche Erinnerung werden wohl nie ganz versöhnlich sein, sondern wie in einem Lexikon und einem Familienalbum in zwei unterschiedlichen Büchern beschrieben bleiben“, sagte Jennifer Jenkins, Deutschland-Forscherin an der Uni Toronto.
Die Meinungen über eine Zukunftsprognose gingen wiederum weit auseinander. Anne Fuchs, Literaturprofessorin am University College Dublin, bezweifelt, dass die Debatte über deutsche Schuld und in der Folge erlittenes Leid noch länger als zehn Jahre andauert: „Die junge Generation hat ein neues, unkompliziertes Verhältnis zu ihrem Deutschsein“, hat sie beobachtet. Historiker Pulzer hingegen prophezeit den Deutschen, dass sie sich auch weiterhin am Umgang mit NS-Geschichte und Kriegserfahrung reiben werden, auch nach dem Aussterben der Generation, die Krieg und Nachkriegszeit noch selbst erlebte. „Das moralische und psychologische Leiden wird das physische überleben“, sagt Pulzer vorher. „Die Last der deutschen Geschichte schließt eine Freisprechung wegen guter Führung aus.“ Lars von Törne, Toronto
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