Archäologie: "Können Sie etwas sehen?" - "Ja, wunderbare Dinge"
Howard Carter war besessen von einer Idee: das Grab des Tutanchamun zu finden. Jahrelang durchwühlte er den Sand im Tal der Könige. Selbst sein Finanzier bekam Zweifel. Doch Carter machte weiter – und nicht einmal der Fluch des Pharao hielt ihn auf. Vor 70 Jahren starb der Archäologe, der den größten Schatz aller Zeiten ausgrub.
Als Howard Carter am Morgen des 4. November 1922 sein Haus verlässt, einen hellbraunen Lehmziegelbau auf dem Westufer des Nils, ahnt er nicht, wie entscheidend dieser Tag für ihn wird. Die letzten fünf Jahre hat er daran gearbeitet, das Tal der Könige bis auf den blanken Fels abzugraben. Das heißt, er ist nicht allein, 275 Ägypter haben für ihn tagein, tagaus tausende Tonnen Geröll in Körben und mit Karren weggeschafft.
Das Tal der Könige. Allein der Name klingt schon wie ein Versprechen. Dabei handelt es sich um einen riesigen Friedhof. Dutzende Pharaonen wurden hier vor über 3000 Jahren begraben.
Sie herrschten über eine Kultur, die sich so intensiv wie keine sonst mit dem Jenseits beschäftigte. Und wenn die Ägypter ihre Könige zu Grabe trugen, dann mussten diese bereit sein für die Ewigkeit: einbalsamiert der Körper, dessen Unversehrtheit Unsterblichkeit versprach, das Grab ausgestattet mit Nahrung, Geschirr, Kleidung, Möbeln, Kosmetika, Waffen, Wagen und vor allem sehr viel Gold, dem "Fleisch der Götter", das die Unvergänglichkeit symbolisierte.
Deshalb verwundert es heute kaum, dass hier im Tal der größte Schatz gefunden wurde, den Archäologen jemals bargen. So strahlend, dass er, wenn er denn mal auf Reisen geht - was freilich kaum vorkommt - die Zuschauer zu Hunderttausenden anzieht, wie zuletzt im Jahr 2004 in Bonn. Und wahrscheinlich werden sie auch Schlange stehen, wenn im kommenden Monat in München nur eine Kopie des Grabs von Tutanchamun geöffnet wird, dem "lebenden Abbild des Sonnengottes Amun".
Kein Strauch spendet Schatten
Der Reisende, der das Tal der Könige betritt, spürt von dieser Faszination erst einmal wenig. Bis auf 550 Meter erheben sich fünf Kilometer westlich des Nils gegenüber der Stadt Luxor die schroffen Felsen über den Fluss. Kein Strauch spendet Schatten, wenn die Temperatur selbst im Winter tagsüber auf 38 Grad steigt, kein Grashalm durchbricht das Ocker und das Steingrau des Gerölls.
Howard Carter hat 30 seiner bisherigen 48 Lebensjahre in Ägypten verbracht. Der Engländer mit dem buschigen Schnauzbart, den man selbst in dieser Hitze zuweilen im Tweedjackett sieht, sucht, was noch keiner gefunden hat: ein unversehrtes Königsgrab. Und er weiß, wenn er in diesem Winter nicht fündig wird - nur dann kann im Tal gearbeitet werden, im Sommer brennt die Sonne mörderisch -, dann ist seine Jagd zu Ende.
Geld für noch eine Saison wird er nicht bekommen. Und es macht die Sache nicht besser, dass die meisten Experten glauben: Hier gibt es kein unentdecktes Königsgrab mehr. Doch Carter ist sich sicher: Bisherige Funde belegen, dass Tutanchamun hier begraben sein muss. Dessen Mumie war in keinem der bislang entdeckten 61 Gräber, von denen manche nur einfache Gruben sind, andere 70 unterirdische Kammern und mehr haben.
Dies ist die Ausgangslage, als Carter an diesem Novembermorgen das Tal erreicht. Aufgeregte Arbeiter zeigen ihm eine in den Fels gehauene Stufe, die sie vor einer halben Stunde freigelegt haben. Sofort lässt er weitergraben. Nach zwölf Stufen zeichnet sich eine Tür im Schutt ab, nach 16 Stufen endet die Treppe vor einem vermauerten Eingang. Das Siegel im Putz zeigte einen liegenden Schakal über neun knienden Gefangenen, ein Symbol, das Carter wohlbekannt ist. Es ist das Siegel der königlichen Totenstadt.
Er weiß, er wird warten müssen
Carter bohrt ein Guckloch unter den oberen Querbalken, groß genug, um eine Lampe einzuführen. Er sieht einen Gang, vom Boden bis zur Decke mit Schutt gefüllt. Für ihn ist das ein gutes Zeichen. Offenbar ist der Eingang gründlich geschützt worden. Carter schreibt später: "Alles, buchstäblich alles konnte hinter jenem Gang liegen, und es bedurfte meiner ganzen Selbstüberwindung, um nicht den Türeingang aufzubrechen und auf der Stelle weiterzusuchen."
Genau das tut er nicht. Er verschließt das Loch wieder und lässt seine Arbeiter die Grube zuschütten. Am nächsten Morgen begibt er sich zur Telegrafenstation in Luxor und sendet ein Telegramm nach England. Die Adresse lautet Highclere Castle, George Herbert, 5th Earl of Carnarvon. Carter schreibt: "Habe endlich wunderbare Entdeckung im Tal gemacht; ein großartiges Grab mit unbeschädigten Siegeln; bis zu ihrer Ankunft alles wieder zugedeckt. Gratuliere." Er weiß, er wird warten müssen. Denn allein der Dampfer von Liverpool nach Alexandria braucht gut zwei Wochen. Aber ohne seinen Partner und Geldgeber will er die Arbeit nicht fortsetzen.
Die Selbstbeherrschung, die er vor dieser verschlossenen Tür aufbringt, ist ungeheuer. Zumal, da Carter schon einmal in einer vergleichbaren Situation gewesen war, vor 22 Jahren. Im März 1900 hatte er den Eingang zu einer unterirdischen Grabkammer entdeckt. Alle kamen, dem Ereignis beizuwohnen, der britische Generalkonsul, der ägyptische Premierminister Mustafa Pascha und Gaston Maspero, Direktor der ägyptischen Altertümerverwaltung. Erst dann wurde die letzte versiegelte Tür aufgebrochen, und am Ende des Ganges, der sich dahinter auftat, standen sie in einem leeren Raum. Die Kammer war wie so viele Gräber aus pharaonischer Zeit längst geplündert.
Eine Entschuldigung? Carter weigert sich
Der Zwischenfall hat ihm nicht geschadet. Im Gegenteil. Carters Karriere in Ägypten ist bemerkenswert. Mit 17 ist er als Zeichner ins Land gekommen. Er kopiert Wandgemälde, die andere freilegen. Carter hat nie eine Universität besucht, aber er spricht fließend Arabisch und bewährt sich bei den großen Archäologen seiner Zeit, bringt es zum Oberinspektor bei der Altertümerverwaltung, erwirbt sich Verdienste. Als Ausgräber, aber auch durch seinen Pragmatismus: Carter sorgt für die Elektrifizierung der Pharaonengräber in Theben und vereinfacht damit nicht nur den Archäologen die Arbeit. Denn immer mehr Touristen strömen ins Land.
Touristen werden ihm 1904 zum Verhängnis, als er eine Gruppe betrunkener Franzosen des Geländes verweist und einer der ägyptischen Wächter dabei handgreiflich wird. Carter soll ihn dazu angehalten haben. Ägypter, die Hand an Europäer legen? Der französische Konsul verlangt eine Entschuldigung, Carter weigert sich. Standesdünkel sind dem Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich Zeit seines Lebens mit der Herablassung von Zöglingen aus Oxford und Cambridge auseinandersetzen muss, verhasst. Statt sich zu entschuldigen, quittiert er lieber den Dienst und schlägt sich fortan als Antiquitätenhändler durch. Drei Jahre lang, bis er Lord Carnarvon kennenlernt.
Der fünfte Earl of Carnarvon, genannt Porchy, ist ein Playboy, der nie in seinem Leben ernsthaft gearbeitet hat. Muss er auch nicht, denn erstens ist er selber reich und zweitens heiratet er eine leibliche Tochter des Barons Rothschild. Ihre Mitgift beträgt die sagenhafte Summe von einer Viertelmillion Pfund.
Hinter der Tür gleich noch eine
Das dritte in England zugelassene Auto gehört Porchy. Der Lord fährt gern selbst, und er fährt gern schnell. So auch 1903 auf einer Waldstraße beim hessischen Bad Schwalbach. Als hinter einer Hügelkuppe ein Ochsenkarren seinen Weg kreuzt, fährt Carnarvon in den Graben und überschlägt sich. Er wird so schwer verletzt, dass Trotman, sein Chauffeur, ihn wiederbeleben muss. Die Ärzte raten dem Lord dringend, den Winter künftig außerhalb Englands zu verbringen, eine Erkältung wäre nicht gut für die beschädigte Lunge.
So kommt Carnarvon nach Ägypten und versucht sich dort als Ausgräber. Außer einer mumifizierten Katze entdeckt er nicht viel. Bis ihn Gaston Maspero mit dem arbeitslosen Carter zusammenbringt. Der Archäologe und der Finanzier werden ein kongeniales Paar, das eine gemeinsame Leidenschaft verbindet. Seit 1907 arbeiten sie zusammen, seit 1914 hat Carnarvon endlich eine Konzession für das Tal der Könige. Ohne diese Lizenz darf niemand in Ägypten einen Spaten in den Boden stechen. Von 1917 an graben sie dort systematisch. Die Lizenz gilt bis November 1923, aber im Herbst 1922 will Carnarvon aufgeben. Er hat die ungeheure Summe von 45.000 britischen Pfund buchstäblich in den Sand gesetzt; heute entspräche das mindestens einer Million Euro. Carter überredet ihn: nur noch eine Saison.
So ist die Lage, als Carnarvon am 24. November 1922 mit seiner Tochter, der 21-jährigen Lady Evelyn, eintrifft. Carter hat für diesen Tag die Treppe ausgraben lassen, und erst jetzt wird das Siegel Tutanchamuns im Türputz entdeckt. Carter lässt die Tür aufbrechen, einen Tag und eine Nacht dauert es, den acht Meter langen Gang dahinter freizulegen. Am Nachmittag des 26. stehen sie erneut vor einer versiegelten Tür.
"Es hätte gestern sein können"
"Mit zitternden Händen machte ich eine kleine Öffnung in der linken oberen Ecke", schreibt Carter. Er führt eine Kerze in die Öffnung. Erkennen kann er erst einmal nichts, denn die ausströmende heiße Luft bringt das Licht zum Flackern. Hinter ihm stehen Lady Evelyn und der Lord. "Können Sie etwas sehen?", fragt Carnarvon, und erst nach einer Pause antwortet Carter: "Ja, wunderbare Dinge."
In seinem Grabungsbericht beschreibt er später den Anblick: "Als meine Augen sich an das Licht gewöhnten, tauchten Einzelheiten im Innern der Kammer auf, seltsame Tiere, Statuen und Gold." Ergriffen fährt er fort: "3000, vielleicht 4000 Jahre sind vergangen, seit eines Menschen Fuß diesen Boden zuletzt betreten hat, und doch bemerken wir die Spuren frischen Lebens rundumher - das halb gefüllte Gefäß mit Mörtel für die Tür, die geschwärzte Lampe, den Fingerabdruck auf der frisch gemalten Fläche, das auf der Schwelle zum Abschiedsgruß niedergelegte Blumengebinde; wir fühlen, es hätte erst gestern sein können."
Immer wieder haben Archäologen berichtet, wie sehr sie der Zustand fasziniert hat, in dem selbst vergängliche Materialien wie Stoffe, Farben, Hölzer in der Wüstenluft Ägyptens die Jahrtausende überdauert haben. Von Theodore Davis, der 1905 auf das Grab eines ägyptischen Adligen stieß, wird berichtet, er sei so sprachlos gewesen angesichts der Frische einer goldenen Statue, dass er meinte, irgendetwas müsse mit der Zeit nicht stimmen, denn das Stück könne doch nicht älter sein als zwei Jahre. Und der Italiener Giovanni Schiaparelli soll seinen Assistenten sogar verwirrt nach dem Schlüssel gefragt haben, als er den Bronzegriff auf einer hölzernen Tür so gut erhalten vorfand, dass sie sich von einer neuen kaum unterschied.
Carter erkennt, dass er Hilfe braucht
Die Vorkammer, vor der Carter und seine Begleiter jetzt stehen, ist vollgestopft mit Krügen aus Alabaster, mit Kisten und Möbeln, darunter drei vergoldete Bettgestelle, geschmückt mit geschnitzten Tieren. An der Nordwand halten zwei lebensgroße Figuren Wache, in der Hand Stab und Keule, bekleidet mit einem goldenen Schurz und goldenen Sandalen, davor bemalte Truhen, verziert mit Edelsteinen, schwarze Schreine aus Ebenholz, ein Thronsessel mit einer kunstvollen goldenen Einlegearbeit, die den jungen König und seine Frau zeigen.
Unter einer Bahre liegt ein Haufen eiförmiger Behälter, deren Inhalt sich später als Wegzehrung für den toten König herausstellt, Entenfleisch und Hammelkeulen, gleichfalls mumifiziert. Weinkrüge finden sie, 26 tragen sogar ein Etikett, darauf vermerkt die Lage, der Jahrgang, der Typ und der Name des Winzers: der älteste Weinkeller der Welt. Doch bei all dieser Fülle, Carter ist klar, dies ist erst der Anfang.
Er weiß, dass solch eine Entdeckung für die Wissenschaft nur von Wert ist, wenn er nicht den Fehler vieler seiner Vorgänger begeht und alles erst einmal abtransportiert. Er muss den Fundzusammenhang dokumentieren. Dazu muss jeder Gegenstand identifiziert, fotografiert und maßstabsgerecht gezeichnet werden. Carter bezeichnet jedes Stück mit einer Nummer oder einem Buchstaben, am Ende werden es Tausende sein.
Grabräuberei war im alten Ägypten verbreitet
Der Engländer erkennt auch sofort, dass er Hilfe braucht. Er telegrafiert an das Metropolitan Museum in New York. Ein Team von dort gräbt nicht weit entfernt. Die Amerikaner sagen zu, und bald gehören zu Carters Mannschaft nicht nur Archäologen, sondern auch ein Fotograf, ein Chemiker, ein Experte für alte Schriften, ein Zeichner, ein Architekt. Carters Vorgehen ist vorbildlich, hält auch noch heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen stand, erklärt die Ägyptologin Verena Lepper, seit 2008 Kuratorin am Ägyptischen Museum in Berlin und 2004 mit einer Carter-Ausstellung in Bonn befasst.
Carter und sein Team finden aber auch die Spuren von Einbrechern in der Vor- und der Seitenkammer, darunter deutlich erkennbar Fuß- und Fingerabdrücke. Es müssen zwei Diebesbanden gewesen sein, und sie sind offenbar nicht allzu lange nach dem Tod des Pharao ins Grab eingedrungen. Die eine Bande interessierte sich vornehmlich für Salben und Öle, was angesichts der sonstigen Schätze für den hohen Wert dieser Produkte in ägyptischer Zeit spricht. Die andere für Metalle und Schmuck. Offenbar wurden die Täter aber gestört: Im Eingangsbereich entdecken die Archäologen ein zusammengeknotetes Tuch, darin acht Schmuckstücke.
Grabräuberei war im alten Ägypten weit verbreitet. Berühmt geworden sind die Papyri, die 14 Prozessakten aus der Zeit von Ramses IX. und Ramses XI. wiedergeben. Akten also, die über 3000 Jahre alt sind und etwa vom Steinmetz Amun-pa-nefer und seiner Bande berichten. Amun-pa-nefer wurde erwischt, die von seiner Bande aufgebrochenen Gräber wurden neu versiegelt. Was aus den Dieben wurde, ist nicht überliefert. Nichts Gutes sicherlich. Die Ägypter kannten keine Haftstrafen, sie kannten nur die Verstümmelung oder den Tod durch Pfählen, bei dem dem Delinquenten ein Pfahl in den Leib gerammt wurde. Anschließend richtete man den Pfahl auf, und das Opfer war dazu verurteilt, sich langsam aufzuspießen.
Der Luft ausgesetzt, zerfallen die Stoffe
Die Tür zur Sargkammer findet Carter unbeschädigt. Vielleicht sind auch in diesem Fall die Räuber aufgegriffen worden, und das Grab geriet nach dem Wiederverschließen in Vergessenheit.
Mit dem Eindringen der Archäologen endet die 3300 Jahre währende Totenruhe des Pharao. Mit dramatischen Folgen. Carter ließ zu Beginn der Arbeit mikrobiologische Proben nehmen. Das Grab erweist sich als nahezu steril, selbst der Schimmelpilz ist tot. Nun ändern sich die Bedingungen.
Der Archäologe James Breasted erzählt später, wie er einmal allein im Halbdunkel der Vorkammer arbeitet und in der Stille all diese knisternden Geräusche um sich herum wahrnimmt. Schlimmer noch, plötzlich schaut er einer der lebensgroßen Wächterfiguren ins Gesicht und erkennt, dass sich deren Augen bewegen. Was Breasted gehört hat, ist das Ächzen der Hölzer, die sich der neuen Atmosphäre anpassen, das Aufspringen der Anstriche und der Gipsauflagen, die den Bewegungen des Holzes nicht folgen können. Und auch die Augen des Wächters sind Anzeichen des Verfalls: Die Farbe der Pupillen löst sich auf in flimmernde Blättchen.
Öffnen die Archäologen eine Truhe mit Gewändern, Handschuhen, Sandalen, zersetzen sich die Stoffe, plötzlich der Luft ausgesetzt, bei der geringsten Berührung. Mit geschmolzenem Paraffin, einer Art Wachs, versuchen sie, ihre Funde zu erhalten, aber das Auspacken einer einzigen Truhe dauert auf diese Weise drei Wochen oder länger.
Lenin interessiert auf einmal nicht mehr
Die andere Herausforderung ist der Wahnsinn, der sich vor dem Grab abspielt. Journalisten und Touristen umlagern den Eingang. Die großen Hotels in Luxor müssen Zelte aufstellen, und auf dem Nil ankern immer neue Schiffe. Die "New York Times" schreibt, neben Tutanchamuns Grab sei Ali Babas mit Juwelen gefüllte Räuberhöhle nur ein Trödelladen. Und die Aufregung wird nicht geringer, als Carter im Februar 1923 die Sargkammer öffnet. An die drei Särge allerdings, die ineinandergeschachtelt den toten Pharao bedecken, die äußeren beiden vergoldet, der innerste aus purem Gold, kommt er vorerst noch nicht heran.
Lord Carnarvon trägt auf tragische Weise dazu bei, dass sich die Hysterie weiter steigert. Kurz nach Öffnung der Grabkammer hat ihm ein Moskito in die Wange gestochen. Beim Rasieren kratzt er sich den Stich auf, die Wunde infiziert sich, und vier Wochen später stirbt George Herbert Earl of Carnarvon an den Folgen einer Blutvergiftung. In einer Zeit ohne Penicillin ist das kein ungewöhnlicher Tod.
Aber hat nicht die Mumie des Pharao an der gleichen Stelle eine Wunde? Ist nicht in der Todesstunde des Lords in Kairo das Licht ausgefallen? Hat nicht eine Kobra auf der Terrasse von Carters Haus dessen Kanarienvogel verschlungen? Die aufgerichtete Kobra ziert auch das Stirnband des Pharao, sie ist ein Symbol des altägyptischen Königtums. "Carnarvons Tod nährt die Theorie vom Fluch des Pharao", titelt die "New York Times". Die Schlagzeile verdrängt sogar die Meldung vom schwerkranken Lenin.
Zehn Jahre arbeitet Carter in dem Grab
Carter hat derweil andere Probleme. Ägypten ist seit 1922 kein Protektorat Großbritanniens mehr und betrachtet seine Schätze mit größerer Aufmerksamkeit. Galt bislang die Formel, eine Hälfte für den Ausgräber, die andere für Ägypten, beansprucht das Land nun den gesamten Fund. Im eskalierenden Streit wird Carter der Zutritt zum Grab untersagt. Ein Jahr dauert die Auseinandersetzung, dann ist ein Kompromiss gefunden: Carnarvons Witwe verzichtet auf alle Ansprüche, dafür darf Carter im Oktober 1925, nach anderthalbjähriger Unterbrechung, mit der Untersuchung des Grabs und der Mumie fortfahren.
Das Interesse in aller Welt ist ungebrochen. Bettelbriefe erreichen Carter, ob er nicht ein Stück Mumie schicken könne, dem toten Pharao wird eine sagenhafte Kraft nachgesagt. Im Patentamt der USA gehen unzählige Anträge ein von Leuten, die sich den Namen Tutanchamun als Warenzeichen schützen lassen wollen. Tutanchamun-Badeanzüge kommen in Mode, der Bubikopf wird nach Ägypterart geschnitten, Frauen ziehen sich den schwarzen Lidstrich lang, wie Anchesenamun, die Gemahlin des jungen Pharao, und die Herzogin von York lässt sich ein ägyptisches Gewand schneidern. Sir Arthur Conan Doyle, der Erfinder Sherlock Holmes, warnt derweil vor dem Fluch des Pharao, und jeder Todesfall eines Ägyptenreisenden, mag er auch noch so alt gewesen sein, macht Schlagzeilen.
Howard Carter arbeitet bis März 1932 im Grab, dann erst, zehn Jahre nach der Öffnung, ist alle Arbeit dort getan. Seinen Fund beschreibt er in einem dreibändigen Werk, das ausdrücklich als Vorabveröffentlichung gedacht ist. Die wissenschaftliche Publikation ist für einen Mann allein nicht zu leisten. Sie steht bis heute aus, ob sie je erfolgt, ist fraglich. Immerhin, im Internet kann man auf der Seite des Griffith-Institutes in Oxford unter www.ashmolean.org/gri/4tut.html die damals fotografierten Funde betrachten und Carters Tagebuch einsehen.
In den USA verlieh die Universität von Yale Carter die Ehrendoktorwürde. In Großbritannien blieben ihm solche Ehrungen verwehrt. Während Charles Woolley, der Entdecker von Ur in Mesopotamien, den Ritterschlag erhielt, wurde Carter nicht einmal vom englischen König empfangen. Er blieb der Emporkömmling, der nie in Eton war.
Howard Carter stirbt vor 70 Jahren, am 2. März 1939, nicht am Fluch, sondern an einem Tumor des Lymphsystems, er wird 64 Jahre alt. Lady Evelyn, die als dritte das Grab betreten hatte, stirbt übrigens erst 1980 mit immerhin 79 Jahren.
Der Schlussakkord für Carter kommt vom Armeetrompeter James Tappern. Die BBC lässt Tappern im April 1939 in Kairo in eine silberne Trompete aus dem Grab Tutanchamuns blasen. Ohrenzeugen beschreiben den Ton als laut und mächtig. Doch jäh zerspringt das Instrument in Tapperns Händen. Vielleicht war es der Fluch des Howard Carter.
Ausstellung in München
Die Originale aus dem Grab des Tutanchamun liegen heute fast alle im Museum in Kairo, eine Auswahl war zuletzt 2004/2005 in Deutschland. Doch nun schickt ein Entertainment-Veranstalter Kopien auf die Reise. Über 1000 Stücke wurden nach Fotovorlagen in ägyptischen Werkstätten aus Kunststoff reproduziert. Der Clou ist: Sie werden so arrangiert, bis sie dem Blick in die Grabkammer im Moment der Entdeckung durch Howard Carter entsprechen. Im vergangenen Jahr haben mehr als 250 000 Besucher die Ausstellung in Zürich gesehen, danach war sie im tschechischen Brünn. Vom 9. April an wird sie bis August in der Event-Arena im Olympiapark in München gezeigt.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität