Fontanes Effi Briest: Die echte Effi - Elisabeth von Plotho
In Fontanes Roman von 1895 stirbt die Ehebrecherin Effi Briest vor Einsamkeit. Das Vorbild für die Romanfigur war Elisabeth von Plotho - für die das Leben nach der Scheidung erst richtig begann.
Das Schießen in der Nachbarschaft sind die Anwohner der Hasenheide gewohnt. Selbst während der Mittagszeit hört man das Knattern der Gewehre von den Übungsständen der Armee am südlichen Stadtrand. „Schieße gut und schieße schnell / Schieß und triff wie Wilhelm Tell“, wirbt eine öffentliche Schießbude an der Hasenheide. Gleich nebenan bieten Steinmetze „Grabkreuze zu billigsten Preisen“ an. So schildert Theodor Fontane die Gegend in seinem Roman „Irrungen, Wirrungen“.
Im Morgengrauen des 27. November 1886 verhallen zwischen den kahlen Baumstämmen der Hasenheide zwei Schüsse. Ein Mann knickt zusammen und krümmt sich auf der herbstfeuchten Erde. Seine Sekundanten und ein Arzt eilen zu Hilfe. Mit einer Kutsche wird der Verwundete in die erwachende Innenstadt gefahren, man bringt ihn ins neue Universitätsklinikum an der Ziegelstraße, gleich um die Ecke vom Bahnhof Friedrichstraße.
Der Verletzte ist bei Bewusstsein, verweigert den Ärzten aber jegliche Auskunft. Eine Pistolenkugel hat ihm den Unterleib zerrissen, die Chirurgen operieren erfolglos. Am vierten Tag nach dem Duell stirbt der Amtsrichter Emil Hartwich aus Düsseldorf in der Berliner Klinik. Er hinterlässt eine Frau und drei Kinder.
Der Vorfall beschäftigt die Presse, ist Tagesgespräch in Offizierskreisen und unter den höheren Beamten der Hauptstadt. Denn Hartwichs Herausforderer, der Baron Armand von Ardenne, ist ein hohes Tier in der preußischen Militärbüro kratie. Seine Ehefrau Elisabeth soll ihn betrogen haben – der Adjudant des Kriegsministers hat gar keine andere Wahl, als ihren Geliebten zum Duell zu fordern. Seine Ehre gilt als verletzt. Ein Duell ist der einzige Weg, sie wiederherzustellen. Sonst wäre seine Karriere beendet.
Dabei ist das Duellieren verboten, wer es trotzdem tut, macht sich strafbar – egal, ob er sich hinterher vor einem Zivil- oder Militärgericht verantworten muss. Armand von Ardenne zeigt sich selbst an und wird schon drei Wochen nach dem Vorfall zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt.
Den Haftort darf er sich selber aussuchen, er entscheidet sich für die Magdeburger Zitadelle, weil er deren Kommandanten gut kennt. Zusammen mit zwei weiteren Duellanten und einem Förster, der einen Wilddieb erschossen hat, macht sich Ardenne die Haftzeit so angenehm wie möglich. Auf einem Ofen kochen sie „Karpfen blau, Hühner, Beefsteaks, Schnitzel, Pökelfleisch mit Sauerkraut und Erbsen, Suppen, Rührei, Kartoffeln“, schreibt Ardenne aus der Haft. „Wir vier Mörder sind aber eigentlich sehr harmlose Menschen.“
Das Kriegsministerium schickt Akten zum Bearbeiten nach Magdeburg, so zeigt man dem Sträfling, dass er unentbehrlich ist. Der Minister hat ihn wie einen Sohn verabschiedet: „Wenn ich Ardenne nicht schon als Adjudanten hätte, dann würde ich ihn mir jetzt nehmen.“ Am 22. Januar 1887 unterzeichnet der greise Kaiser Wilhelm I. den Gnadenerlass, Armand von Ardenne wird umgehend auf freien Fuß gesetzt. Von zwei Jahren Festungshaft hat er nur 18 Tage abgesessen. Umgehend befördert ihn Kaiser Wilhelm zum Major. Armand von Ardenne wird es bis zum Divisionsgeneral in Magdeburg bringen.
Noch vor seiner eigenen Verurteilung hatte er die Scheidungsklage eingereicht, samt Briefen Emil Hartwichs an seine Frau Elisabeth, die ihre Alleinschuld beweisen sollen. Sie „enthalten den unzweideutigen Beweis, dass die Ehefrau und Hartwich Geschlechtsverkehr gehabt, dass sie getrennt voneinander in der Fantasie die glühende Gemeinschaft fortgesetzt und die Scheidung von ihren beiderseitigen Ehegatten und Verheiratung miteinander geplant haben“, heißt es in der Anklage. Die wahre Beweiskraft der Briefe lässt sich nicht mehr überprüfen: Sie sind in den Mühlen der Justiz verloren gegangen. Vielleicht nicht ohne Absicht.
Theodor Fontane erfuhr von der ganzen Affäre durch Emma Lessing, die Frau des Verlegers der „Vossischen Zeitung“, für die er Theaterkritiken schrieb. Das Ehepaar von Ardenne und das Ehepaar Fontane verkehrten im selben Salon. Für Fontane war die Duellaffäre eine „Ehebruchsgeschichte wie hunderte andere mehr“, in „Effi Briest“ hat er sie zum Zeitroman und Sittenbild ausgemalt.
Effis Mann, der Baron Instetten, folgt wie Armand von Ardenne einem überkommenen Ehrenkodex: „Jenes, wenn Sie wollen, tyrannisierende Gesellschafts-Etwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und Verjährung. Ich habe keine Wahl. Ich muss“, lässt ihn Fontane sagen. Dabei hätte Instetten durchaus die Chance, großmütig Gras über die Affäre seiner jungen Frau mit dem windigen Verführer Crampas wachsen zu lassen. Die Liebelei liegt im Roman schon Jahre zurück, niemand ahnt etwas davon, und nur durch Zufall entdeckt Instetten in Effis Nähtisch einen Packen alter Briefe.
Romanhafte Züge trägt auch die wahre Geschichte zwischen den Ardennes und Hartwich. Der Nebenbuhler des Ehemanns war ein langjähriger Freund. Hartwich war drauf und dran, mit der Ge liebten durchzubrennen und ein neues Leben jenseits gesellschaftlicher Zwänge zu beginnen.
Sieben Jahre vor dem Duell hatten das Ehepaar Ardenne und Hartwich sich in Düsseldorf auf einem Künstlerfest kennengelernt. In Düsseldorf war Ardenne stationiert, ehe er den entscheidenden Karrieresprung ins Berliner Kriegsministerium machte. Beide Männer waren musisch begabt: Offizier Ardenne spielte hervorragend Klavier, Amtsrichter Hartwich malte. Er hinterließ ansehnliche Ölporträts von Elisabeth von Ardenne und ihrem Sohn. Auch den Ehemann, der ihn später erschoss, hat er gemalt.
Mit gemeinsamen Ausritten, Schießübungen, Wander- und Ruderpartien vertrieben sie sich die dienstfreien Stunden. Der Amtsrichter konnte mit dem strammen Offizier spielend mithalten: Hartwich war ein sportlicher Typ, ein Frischluftfanatiker, der in Streitschriften für eine mehr spielerische, körperbetonte Schulbildung warb. Der Kronprinz und spätere Kaiser Wilhelm II. war von Hartwichs Reformideen begeistert.
Zwischen dem leger auftretenden, quirligen Zivilisten Hartwich und der jungen Offiziersgattin Elisabeth von Ardenne muss es sofort gefunkt haben. Sie kam vom Land, hatte auf einem Gut in Zerben an der Elbe eine glückliche Kindheit verbracht. Als vierte und jüngste Tochter eines Gutsbesitzers war sie keine reiche Partie gewesen, entstammte aber einem alten märkischen Adelsgeschlecht mit einem klangvollen Namen: geborene Edle und Freifrau von Plotho. Ein halbes Kind war sie, als der sechs Jahre ältere, ehrgeizige Armand von Ardenne in Husarenuniform um sie zu werben begann.
Den hartnäckigen Verehrer lehnte Elisabeth ebenso entschieden ab, gegen den Druck der Mutter. Erst als der deutsch-französische Krieg von 1870/71 ausbrach und Armand eine Schussverletzung erlitt, gab Elisabeth nach. Vielleicht, weil sie wusste, dass es für ein adliges Mädchen wie sie ohnehin keine andere Perspektive gab als eine standesgemäße Verheiratung oder ein langweiliges Dasein als alte Jungfer im Elternhaus.
Als Offiziersgattin sah sie wenigstens etwas von der Welt. Sofort nach der Trauung am Neujahrstag 1873 zog das Ehepaar nach Berlin, wo Armand erst noch sein Studium an der Kriegsakademie abschließen musste, später nach Rathenow, dann ins von preußischen Truppen besetzte Metz in Lothringen, schließlich ins rheinisch-frohsinnige Düsseldorf. Dort liegt der jungen Frau bald ein ganzer Zirkel von Künstlern und Lebenskünstlern zu Füßen.
Armand von Ardenne entgeht es nicht, dass der malende Amtsrichter Hartwich in Elisabeth verliebt ist. So wie er spürt, dass sie ihm trotz Familiengründung, trotz der Geburt eines Sohnes und einer Tochter immer mit einer gewissen Kühle begegnet. Später behauptet er, was betrogene Ehemänner gern behaupten: Seine Frau habe ihn nie geliebt. Dabei gibt es sogar Hinweise in den erhaltenen Korrespondenzen, dass Armand die Affäre seiner Frau mit dem Freund stillschweigend geduldet haben könnte.
Kritisch für ihn wird die Lage, als er 1884 ins Kriegsministerium nach Berlin wechselt. Pedantischer als in Düsseldorf muss Armand von Ardenne darauf achten, dass seine Frau nicht ins Gerede kommt. Hartwich aber schickt verliebte Briefe nach Berlin, er kommt zu Besuchen und trifft Elisabeth alleine. „Trotz Abschied fahre ich mit List noch einmal zu ihm; er bringt mich wieder zurück, springt in der Burgstraße noch einmal halb betäubt aus dem Wagen, zieht mich noch einmal im Überschwang seiner Gefühle an seine Brust – das letzte Mal!“ notiert Elisabeth später über den 22. Oktober 1886, dem Tag, an dem sie Hartwich ein letztes Mal sieht.
Der Ehemann spürt, dass beide auf eine Trennung hinarbeiten, dass der gesellschaftliche Skandal nicht mehr zu vermeiden ist. Um wenigstens seine Karriere zu retten, muss er den Freund zum Duell fordern und sich in den Besitz der Briefe bringen, die im Scheidungsprozess ihre Schuld beweisen. Kaltblütig bricht er eine Kassette auf, in der Elisabeth die Briefe verwahrt.
Im März 1887 wird die Ehe geschieden, das Gericht spricht die beiden Kinder Margot und Egmont dem Vater zu, der jeglichen Umgang mit der Mutter unterbindet. In Fontanes Roman „Effi Briest“ ist es diese Grausamkeit, die Effi dahinsiechen und an gebrochenem Herzen sterben lässt. Der Tod der sympathischen Ehebrecherin rundet den Roman ab und verschärft die Anklage gegen die Tyrannei des „Gesellschafts-Etwas“.
Elisabeth von Ardenne ist 34 Jahre alt, als ihr Ehe-Albtraum ein Ende hat. Von da an lernt sie, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie reist ins württembergische Bad Boll zu einem Guru, von dem sie sich spirituelle Orientierung erhofft. Der Bußprediger Christoph Blumhardt steht im Ruf, ein Wunderheiler zu sein, später wird er Sozialist und SPD- Landtagsabgeordneter.
Blumhardt redet der Ehebrecherin ihre Schuldgefühle aus und ermutigt sie, eine Ausbildung zur Krankenpflegerin zu beginnen. Sie arbeitet in vielen Heilanstalten in Süddeutschland, der Schweiz, in Schlesien und in Berlin-Zehlendorf. Besonders gut kann sie mit Patienten umgehen, die unter psychischen Störungen leiden, die Ärzte schätzen die kluge Für sorglichkeit und Engelsgeduld der Krankenschwester.
Ab 1915 verdient sie ihren Lebens unterhalt als ständige Begleiterin der schwer nervenkranken Margarethe Weyersberg. Die wohlhabende Familie der Pflegetochter finanziert nicht nur die gemeinsame Wohnung, sondern auch Reisen der beiden Frauen nach Italien.
Kaum ein Jahr nach der Scheidung hat Armand von Ardenne eine ehemalige Sängerin geheiratet, was Gerüchte nährt, er sei schon vor dem Duell fremd gegangen. Elisabeth wartet darauf, dass er seine Versprechen einlöst und sie ihre Kinder wiedersehen darf, sobald sich die Emotionen beruhigt haben. Es dauert 16 Jahre, bis die erwachsene Tochter Margot den väterlichen Bann bricht und sich mit der Mutter trifft. 23 Jahre vergehen bis zum Wiedersehen mit dem Sohn, an den sie 1909 schreibt: „Ich habe es gelernt, über Zeit und Raum zu lieben und zu besitzen, dieses feste Hinstehen hilft mir auch jetzt, mit Mut und Dankbarkeit Eurer zu gedenken und mich sehr reich und glücklich zu fühlen.“
Die neue Verfilmung von Fontanes Roman, die am 12. Februar in die Kinos kommt, orientiert sich an der Geschichte Elisabeth von Ardennes. Julia Jentsch als Effi leidet zwar unter ihrer Ehe, zerbricht aber nicht daran. Ihr Liebhaber Crampas ist dem sportiven Hartwich nachgebildet, die Begegnung mit ihm als sexuelles Erweckungserlebnis inszeniert.
Zum ersten Mal hat mit Hermine Huntgeburth eine Frau bei einer „Effi“-Verfilmung Regie geführt. Sie hat eine andere Lösung gesucht als Fontane, der seine Figur opferte, um die Gesellschaft anzuklagen. Die Verlierer sind im Film ganz eindeutig die Männer.
Elisabeth von Ardenne lernte mit 60 das Skifahren und setzte sich mit 80 zum ersten Mal auf ein Fahrrad. Sie starb 99-jährig am 5. Februar 1952 in Lindau am Bodensee, ihr Urnengrab befindet sich in einem Waldstück auf dem Friedhof Stahnsdorf zwischen Potsdam und Berlin. Als nach der Wiedervereinigung die Pflegekosten für das Erbbegräbnis der Ardennes in die Höhe gingen, kündigte die Familie den Nutzungsvertrag und überführte den Grabstein Elisabeths 1996 auf den Familiensitz in Dresden. Nach Protesten von Fontane-Liebhabern holte ihn die Friedhofsverwaltung ein Jahr später wieder nach Stahnsdorf zurück. Die starke Frau hat noch immer viele Verehrer, die an ihrem Grab Blumen hinterlassen.
Ihrem Lieblingsenkel, dem Physiker und Tüftler Manfred von Ardenne, vertraute sie acht Jahre vor ihrem Tod das wenige an, was ihr von der Affäre mit Hartwich geblieben war: ein Bändchen mit seinen Vorträgen, wenige vergilbte Fotos und Briefe. „Lebenswarme, begeisternde, hinreißende Manneskraft“ habe der Geliebte ausgestrahlt, schwärmte die Greisin ihrem Enkel vor, und er habe „unendliches Leid, aber auch unendliches Glück“ in ihr Leben gebracht.
Mehr über das Gut, auf dem Elisabeth aufwuchs, lesen Sie im Reiseteil auf Seite R 3. Der Film „Effi Briest“ läuft am kommenden Donnerstag an. Vorab zeigt ihn die Berlinale englisch untertitelt am 9.2. um 21 Uhr im Friedrichstadtpalast und am 10.2. um 18 Uhr im Cubix 8.
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