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Zwei mit Geschmack: Doritt Körzel und ihre Kleiderpuppe im Schaufenster von Uko-Fashion.
© Thilo Rückeis

Kreuzberg im Wandel: Gentrifizierung im Schaufenster

Von Second Hand über Second Season zum edlen Chic von heute: Wie sich ein Kreuzberger Laden –  parallel zum ganzen Bezirk – verwandelte.

Gelegenheit macht Mode – manchmal auch mit langfristigen Folgen. Doritt Körzel bekam ein Kind, konnte darum in ihrem unsteten Job als Filmstylistin nicht weitermachen, suchte also etwas Neues, und da war in der stillen Kreuzberger Fichtestraße, in der sie wohnte, ein kleiner Laden frei.

Sie hat kurz überlegt und dann Ernst gemacht: einen Second-Hand-Laden wollte sie eröffnen. Sie rief alle Freundinnen und viele Filmleute an und dazu auf, ihr ungenutzte Kleidung zu bringen. Die würde sie auf Kommission verkaufen. Ihre ersten Kunden? „Freundinnen und Filmleute“, sagt sie. Das war 1996.

In den folgenden 20 Jahren verwandelte sich der kleine Laden, der Uko heißt – und zwar annähernd spiegelbildlich zu seinem Bezirk. Während Kreuzberg von einem halb schäbigen Randbezirk zur teuren In-Gegend wurde, machten bei Uko die Second-Hand-Sachen allmählich den Neuwaren Platz. Erst hieß der Mix „Second Hand, Second Season“, dann war die Gebrauchtware ganz weg, und heute verkauft Doritt Körzel nur noch Aktuelles.

Gerade ist sie in ihrem Laden, der im fünften Jahr des Bestehens umzog in die Oranienstraße 201, weil dort mehr Platz war. Sie flippt durch die hängenden Waren und schubst Vorstehendes zurück in die Reihe. Kleidung braucht Platz, das war ihr schnell klar – denn Kunden wollen Auswahl. 2001 feierte sie Eröffnung in ihrem knallrot angemalten Geschäft, in dem bis heute ihre schwarzen Anziehpuppen mit wilden Afrohaaren auffallen, Flohmarktfunde, die alle Flyer zieren.

Naketano statt Only, Please statt Khujo

Im Sortiment wird es exklusiver, nicht zu teuer, aber auch nicht mehr so preisfixiert. Naketano statt Only. Khujo ist rausgeflogen, Fever neu dazugekommen, Tigha, Please, Imperial, Minimum. Fornarina ist sie treu geblieben. Rock-Chic nennt sie das, den trägt sie auch selbst.

Die Methode ist die geblieben, mit der sie angefangen hat: mal ausprobieren, was geht. Funktioniert ein Second-Hand- Laden in einer Gegend, in der sonst nichts ist? Denn 1996 war in der Fichtestraße, heute Ausläufer des quirligen Graefekiezes, nichts los. Kauft jemand im Second-Hand-Laden Neuware? Kauft jemand aktuelle Mode? Gibt jemand Geld aus?

Die Angst der Kreuzberger vor dem Mitte-Elend

Zwei mit Geschmack: Doritt Körzel und ihre Kleiderpuppe im Schaufenster von Uko-Fashion.
Zwei mit Geschmack: Doritt Körzel und ihre Kleiderpuppe im Schaufenster von Uko-Fashion.
© Thilo Rückeis

Mit jedem Ja wurde Doritt Körzel mutiger, sodass heute das Ordern auf Messen reine Freude ist und die Sorge um die Rechnungen verblasst. Schuhe kauft die 51-Jährige seit ein paar Jahren in Mailand und viel vom anderen bei der Berliner Fashion Week, die am 19. Januar beginnt. Eine Frage, die sie gerade bewegt: Werden sich weite Hosen wirklich durchsetzen, oder tragen doch alle weiter eng?

Zwischen Weihnachten und Neujahr war wieder viel los bei Uko. Die immer zahlreicheren Citytouristen gaben bei mildem Wetter ihr Geld aus. Gern beim Bummel durch Kreuzberg und gerne in Läden, die es zu Hause in Wuppertal oder Barcelona nicht gibt. Für sie gibt es bei Uko jetzt auch Schnickschnack wie Seifen in Fernsehturmform.

Mehr Touristen, mehr Menschen mit Geld

Dass viele Urlauber und Neuberliner in der Stadt sind und vor allem Leute mit Geld, macht sich auch im Schaufenster bemerkbar. Bei Uko werden inzwischen Stiefel für 400 Euro verkauft. Nicht gleich Dutzende, aber dennoch: Vor 15, 20 Jahren wäre das nicht gegangen – vielleicht am Kurfürstendamm, aber nicht in Kreuzberg. Doch der Wandel in Berlin, das große Umsortieren nach Finanzkraft, ist für die Uko-Macherin nicht ausschließlich Grund zur Freude.

Im Nachbarbezirk Mitte war in den vergangenen Jahren zu besichtigen, was passiert, wenn zu viel „dem Markt“ überlassen wird. Rund um den Hackeschen Markt zogen serienweise die kleinen Geschäfte weg und Modeketten ein, die ums Zehnfache erhöhte Mieten zahlen konnten. Derartige Ladenpreise würden auch in der Oranienstraße Genicke brechen, da ist sie sicher. „Die Geschäfte laufen okay, aber es regnet kein Geld“, sagt sie.

Noch gibt es hier kein McDonald's, kein Mango

Bisher ist die Oranienstraße frei von Ablegern der Megaseller, von McDonald’s und Mango, und die Hoffnung ist, dass das noch lange so bleibt. Dass die Hausbesitzer und Vermieter, und seien sie noch so berlinfern, den Wert der Gegend als Oase der Individualität erkennen und sie erhalten. Sonst würde es wohl schlecht aussehen für ihre ideale Zukunftsvorstellung: noch 15 Jahre so weitermachen im selben Kiez und dann – sie lacht: „hier in Rente gehen“.

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