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Eric Kandel, amerikanischer Neurowissenschaftler österreichischer Herkunft. Er wurde im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet.
© Mike Wolff

Nobelpreisträger Eric Kandel im Interview: „Gehen Sie auf keinen Fall in den Ruhestand!“

Erinnerungen, sagt Eric Kandel, sind der Kitt des Lebens. Gegen das Vergessen rät er: Gewicht halten, Blutdruck senken, Bewegung – und bitte keine Angst vorm Hörgerät.

Eric Kandel, 85, bekam 2000 den Nobelpreis für Medizin verliehen. Ausgezeichnet wurde der Neurowissenschaftler für seine Forschung auf dem Gebiet des Gedächtnisses. Als Kind floh er mit seinen Eltern aus Österreich,
Kandel lebt in den USA. Zuletzt erschien von ihm „Das Zeitalter der Erkenntnis“

Professor Kandel, wir treffen Sie hier in Berlin in der American Academy. Was ist der Anlass für Ihren Besuch in Deutschland?

Ein Gymnasium in Ahrensburg wurde nach mir benannt! So ganz genau weiß ich auch nicht, wie sie auf mich gekommen sind. Sie wollten wohl jemanden, der Kunst und Naturwissenschaften verbindet. Meine Philosophie in puncto Auszeichnungen ist: Frag nicht, sag einfach vielen Dank!

Haben Sie das im Jahr 2000 auch so gesehen, als das Nobelpreiskomitee bei Ihnen anrief?

Das war mitten in der Nacht und meine Frau Denise hat danach erst mal gesagt, schlaf noch eine Runde. Sie hätten erleben müssen, wie sie vorher reagiert hat, als bereits das Gerücht aufkam, ich könnte ein Kandidat sein. Sie sagte, es gäbe eine Studie, nach der Nobelpreisgewinner anschließend nicht mehr forschen würden. Wofür es bei mir doch noch zu früh sei.

Sie hat sich nicht gefreut?

Natürlich hat sie das. Es war ganz unglaublich, und der Nobelpreis hat mein Leben enorm verändert. Es ist eine große Ehre, wie auch die Tatsache, dass in Deutschland eine Schule nach mir benannt wird.

Sie sprechen sehr gut Deutsch, oder Österreichisch …

… danke, nett von Ihnen. Trotzdem würde ich dieses Interview lieber weiter auf Englisch führen. Mein Deutsch ist naturgemäß auf dem Stand eines Neunjährigen stehengeblieben.

Mit neun mussten Sie mit Ihrem Bruder aus Wien nach Amerika fliehen. Zurück blieben Ihre Eltern – und deren Spielzeugladen. Ein deprimierendes Erlebnis für einen Neunjährigen.

Wirklich deprimierend war für mich die Pogromnacht, und alles, was uns dann widerfahren ist. Aber als mein Bruder und ich dann zum Bahnhof gingen – ich erinnere mich noch sehr lebhaft daran –, war meine Mutter so zuversichtlich, dass sich für uns alles fügen würde. Wir hätten auch mit dem Kindertransport nach England gehen können, das hat mich nervöser gemacht als die Aussicht, in die USA geschickt zu werden, wo schon meine Großeltern lebten. Tatsächlich kamen ja auch meine Eltern einige Monate später in den USA an.

Sie sagen das mit einem lauten Lachen, Ihr Markenzeichen, wie wir wissen.

Ich kann nicht anders. Wenn Sie sich allerdings Fotos aus meinen frühen Jahren anschauen, da sehe ich ängstlich aus. Ich bin in den USA viel glücklicher geworden, als ich es in Wien selbst vor der Hitlerzeit je war. Meine frühe Kindheit habe ich als nicht besonders vergnüglich in Erinnerung.

Was umso dramatischer ist, als unsere frühen Eindrücke besonders hartnäckig im Gedächtnis bleiben.

„Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. SA marschiert in einem festen Schritt!“ Wann habe ich dieses Lied das letzte Mal gehört? 1938. Es gibt Dinge, die prägen sich einem ein.

Sie sind einer der berühmtesten Hirnforscher der Welt ...

... Fest gemauert in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muss die Glocke werden ... Schillers Glocke, kann ich auch noch!

Schön, aber erklären Sie uns doch, warum?

Ich denke, dass diese Sachen eine große Bedeutung für einen haben müssen. Als ich die SA marschieren hörte, bin ich fast gestorben vor Angst.

Und die Glocke?

Schiller ist so einfach – die Musik seiner Worte so wunderbar. Wir sind uns nicht sicher, warum frühe Erinnerungen oft eine größere Intensität haben. Es mag sein, dass die Erfahrungen in jungen Jahren für einen emotional bedeutsamer sind. Wenn Sie zum ersten Mal ein Geschenk bekommen, ist das beeindruckender, als wenn es das achte Mal ist. Außerdem hatte man ein jüngeres Gehirn, das jedes Stückchen Mist aufsaugt, das einem begegnet.

Das Kindermädchen knöpfte die Bluse auf

Eric Kandel, amerikanischer Neurowissenschaftler österreichischer Herkunft. Er wurde im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet.
Eric Kandel, amerikanischer Neurowissenschaftler österreichischer Herkunft. Er wurde im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet.
© Mike Wolff

Nehmen wir mal die Stelle in Ihrer Autobiografie, in der Mitzi, Ihr Kindermädchen, an Ihrem Krankenbett sitzt und sich die Bluse aufknöpft.

Ach, wie könnte man Mitzi je vergessen.

Weil Ihr Hirn so jung war oder weil es eine emotionale Situation war?

Beides! Aber ich war viel zu jung dafür.

Ihr Bruder war 14 und Sie neun, haben Sie mit ihm darüber gesprochen?

Mit Louis? Ich glaube nicht, er hätte ihr wahrscheinlich nachgestellt. Ich habe später mit meinem Psychoanalytiker darüber gesprochen.

Was hat er zu Mitzi gesagt?

Nun, er war froh, dass es ein angenehmes Erlebnis war. Ich habe eine Analyse gemacht und eine psychiatrische Ausbildung abgeschlossen. Alles, was ich danach als Naturwissenschaftler getan habe, ist davon beeinflusst. Ich bin Hirnforscher geworden, weil ich mich gefragt habe, was das Wichtigste in der Psychoanalyse ist. Das sind die Erinnerungen. Sie sind der Kitt, der dein Leben zusammenhält. Die Analyse ist der Versuch, auch schmerzhafte Erfahrungen in einer geschützten Umgebung noch einmal zu erleben.

Was haben Sie dabei über sich erfahren?

Ich wurde weniger unausstehlich. Ich glaube, ich bin in meinem Labor nicht nur als Mentor nützlich, sondern als jemand, der Menschen ein wenig besser versteht als der Durchschnitt. Das hat mit der Analyse und meiner Psychiatrieerfahrung zu tun.

Entschieden haben Sie sich dann jedoch für die Hirnforschung.

In einem Labor zu arbeiten, ist etwas ganz anderes, als ein Lehrbuch zu lesen. Du arbeitest mit deinen Händen, du hast Ideen, die du im Experiment verbesserst, das ist aufregend. Ich sagte zu meiner Frau, das will ich bis an mein Lebensende machen. Nur, was würde ich da verdienen? Deutlich weniger als ein Psychiater in der Park Avenue. Da sagte meine Frau: Geld hat überhaupt keine Bedeutung!

Ihre Frau Denise Bystryn hat als jüdisches Mädchen die Nazizeit in Frankreich überlebt, Nonnen versteckten sie im Kloster. Später wurde sie Forscherin.

Denise ist Soziologin. Sie untersucht, warum Kids sich auf Drogen einlassen. Bis vor ein paar Jahren arbeiteten wir unabhängig voneinander, heute kooperieren wir. Wir haben gerade eine Studie eingereicht, in der wir nachweisen, dass es die Wirkung des Kokains bei Mäusen dramatisch verstärkt, wenn man ihnen zuerst Nikotin gibt. Der Hintergrund ist der, dass Jugendliche mit dem Rauchen beginnen, bevor sie zu härteren Drogen greifen.

Sie gelten unter Ihren Studenten als Rockstar der Hirnforschung.

Mir macht das Unterrichten Spaß. Und ich versuche, mich verständlich zu machen. Viele Wissenschaftler tun das nicht. Als ich jung war, hatte ich einen sehr guten Studienfreund und oft große Schwierigkeiten, ihn zu verstehen. Ich fragte, Jimmy, warum machst du deine Vorträge so kompliziert? Er sagte: An der Rockefeller University haben sie uns beigebracht, wenn dein Referat zu simpel ist, werden die anderen denken, du bist simpel. Nein! Unser Job ist es zu kommunizieren.

Stehen Sie gern auf der Bühne?

Ich kommuniziere gern, finde es enorm wichtig. In unserem Labor treffen wir uns regelmäßig zur Konferenz. Und die beginnt damit, ein Problem in einen größeren Kontext zu stellen. Um den anderen zu zeigen, wie man verallgemeinert. Und ich habe Bücher für ein breites Publikum geschrieben. Das macht mich aber nicht zum Rockstar.

Können Sie uns ganz einfach erklären, wofür Sie den Nobelpreis bekommen haben?

Natürlich. Für meine Arbeit zum Gedächtnis. Andere hatten gezeigt, dass der Hippocampus zentral für das Speichern von Erinnerungen ist. Wenn man jedoch jede Nervenzelle für sich erforscht, findet man nichts über das Gedächtnis heraus.

Sie wollten dem Menschen beim Denken zugucken.

Wie funktioniert der Sinnesinput in den Hippocampus? Dafür suchten wir das einfachstmögliche Beispiel im Tierreich und fanden es in Aplysia, einer Meeresschnecke mit Zellen, so groß, dass man sie mit bloßem Auge sieht. Wir konnten beobachten, was passiert, wenn das Tier etwas lernt. Wenn man eine Kurzzeiterinnerung kreiert, schafft man einen funktionalen Wandel in der Art und Weise, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren. Und bei Langzeiterinnerungen schafft man eine Veränderung der Genexpression und einen Anstieg synaptischer Verbindungen.

Sie haben die Chemie des Gedächtnisses gesehen.

Und die Anatomie.

Wie Sie vorhin erklärten, sind doch beim Lernen auch Emotionen beteiligt.

Wir haben ein System erforscht, bei dem Emotionen beteiligt sind. Angst: Wir haben dem Tier am Schwanz einen Schock versetzt. Wenn wir das wiederholten, verdoppelte sich die Zahl der Synapsen. Das ist eine bleibende anatomische Veränderung.

Glauben Sie, dass unser Gespräch ebenfalls unser Gehirn verändert?

Das hoffe ich. Wenn Sie sich morgen noch an irgendetwas von unserem Gespräch erinnern, dann, weil Ihr Gehirn nicht mehr dasselbe ist.

Diese Schnecke hat 20 000 Hirnzellen, und wir …

… haben Millionen und Abermillionen.

Wie kann eine Schnecke mit uns vergleichbar sein?

In welchem Bereich der Biologie wurden in den letzten 100 Jahren die wichtigsten Erkenntnisse gewonnen? In der Genetik. Und wer hat als Erster gezeigt, dass die Gene in Chromosomen verortet sind? Thomas Hunt Morgan – und zwar am Beispiel der Fruchtfliege. Schauen Sie, was man alles an simplen Organismen herausgefunden hat!

Sie konnten Mäusen, die an Alzheimer erkrankt waren, helfen. Bei Menschen hat das nicht funktioniert.

Nicht jedes Tiermodell ist erfolgreich. Das ist eine der Komplexitäten bei der Entwicklung von Medikamenten.

Vor zehn Jahren noch waren Sie optimistisch, dass es in fünf Jahren ein Medikament gegen Alzheimer geben würde.

Gibt es Hoffnung für Alzheimer-Patienten?

Eric Kandel, amerikanischer Neurowissenschaftler österreichischer Herkunft. Er wurde im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet.
Eric Kandel, amerikanischer Neurowissenschaftler österreichischer Herkunft. Er wurde im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet.
© Mike Wolff

Ich bin ein wahnhafter Optimist, wie die meisten Naturwissenschaftler. Weil wir erleben, dass man Probleme lösen kann. Bei Alzheimer lag ich falsch. Es gibt eine seltene genetische Form dieser Krankheit, die viel früher auftaucht, und wir wissen, was sie auslöst. Das ist ein wichtiger Schritt für eine Behandlung. Und wir haben bereits vor zehn Jahren damit begonnen, entsprechende Medikamente zu entwickeln, aber sie helfen nicht.

Warum?

Wir glauben inzwischen, dass wenn ein Patient mit Alzheimer-Symptomen einen Arzt aufsucht, er diese Krankheit bereits seit zehn Jahren hat. Wenn Sie seit zehn Jahren Krebs haben, lässt sich der auch nicht mehr effektiv behandeln. Ich mag mich wieder irren, doch im Moment liegt der Fokus auf einer möglichst frühen Diagnose. Es ist eine schreckliche Krankheit. Schrecklich.

Es gibt keinen Trost für die Betroffenen?

Man sollte nicht so sehr darüber nachdenken, wie sich die Patienten wieder erinnern, sie werden es nicht. Wichtiger ist, sich darum zu kümmern, wie man ihnen das Leben schöner machen kann. Sie zu akzeptieren, wie sie sind, ist das Beste, was man tun kann. Wenn die Patienten aus bestimmten Dingen, wie Musik, Vergnügen schöpfen können, lasst uns diese Situationen maximieren.

Ist Ihnen das schon mal passiert, dass Sie sich nicht mehr an einen Namen erinnern oder nicht mehr wissen, warum Sie gerade in den Keller gegangen sind?

Natürlich. Das gefällt mir nicht, aber es macht mir keine Angst. Das ist völlig normal, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat. Das beginnt mit Ende 40. Und es ist etwas ganz anderes als Alzheimer. Es handelt sich um altersbedingten Gedächtnisverlust. Viele Forscher haben inzwischen überzeugend nachgewiesen, dass der einen anderen Teil des Gehirns betrifft.

Sie arbeiten an einer Gedächtnispille. Würde die auch Ihren Studenten beim Examen helfen?

Der Gedanke gefällt mir nicht. Meiner Ansicht nach ist die beste Methode das Gedächtnis zu verbessern, das Lernen. Doch wenn Sie mich fragen, was hilft, das Gedächtnis zu erhalten: Vermeiden Sie Übergewicht, ernähren Sie sich gesund, versuchen Sie, Ihren Blutdruck unter Kontrolle zu behalten. Außerdem sollten Sie auf körperliche Aktivität achten. Ich zum Beispiel schwimme beinahe jeden Tag. Ich bin langsam, aber ich tu es gern.

Was ist mit geistiger Aktivität?

Moment, das ist jetzt sehr wichtig: Niemand geniert sich, dass er eine Brille trägt, warum soll man sich für Hörgeräte schämen? Viele Ältere tun das leider, doch wenn man Hörprobleme hat, schließt einen das aus Gesprächen aus und zwingt einen dazu, sich in sich selbst zurückzuziehen. Das ist sehr schlecht.

Arbeiten Sie noch oft an der Universität?

Gehen Sie auf keinen Fall in den Ruhestand! Ich bin immer noch beinahe jeden Tag im Labor. Da fällt mir die Geschichte von den Londoner Taxifahrern ein. Man muss dort eine Prüfung absolvieren und nachweisen, dass man sich wirklich auskennt. Nun haben Untersuchungen ergeben, dass deren Hirn in bestimmten Regionen tatsächlich größer ist, und zwar je länger sie Taxi fahren.

In Berlin haben immer mehr Taxifahrer ein Navigationsgerät.

Nicht gut. Wenn nämlich Londoner Taxifahrer in den Ruhestand gehen, dann schrumpft ihr Hirn wieder. Ein Navi ist, als würde man ein Buch nicht auswendig lernen, sondern es nur lesen. Das ist das generelle Problem mit Computern.

Sie sind dagegen?

So weit gehe ich nicht. Aber es verändert unser Denken. Die Fähigkeit zur Konzentration nimmt ab. Wir werden dafür andere Formen der Intelligenz bekommen. Vielleicht nimmt die Fähigkeit zum Multitasking zu, da ist meine Generation nicht gut.

Sie konzentrieren sich auch nicht nur auf Naturwissenschaften. Wie Sie vorhin sagten, hat die Ahrensburger Schule Sie wegen der Verbindung aus Kunst und Wissenschaft als Namenspatron ausgewählt.

Ich liebe Kunst. Haben Sie diese fantastische Ausstellung „Impressionisten–Expressionisten“ hier in Berlin gesehen? Sagenhaft!

Das Betrachten von Bildern verändert unser Gehirn so wie ein Gespräch?

Absolut. Schauen Sie, dieses Bild von Max Beckmann hier in meinem Buch. Was bedeutet das? Jeder rekonstruiert das in seinem Hirn auf unterschiedliche Weise. Das heißt, auch der Betrachter macht einen kreativen Prozess durch.

Sie sammeln selbst und interessieren sich besonders für Wiener Kunst um 1900. Ist das ein Teil Ihres österreichischen Erbes?

Vielleicht ist das ein Versuch, meine verlorene Jugend zu kompensieren. Ich bin inzwischen Ehrenbürger von Wien, schätze den Bundespräsidenten Heinz Fischer. Aber als Österreich mich als Landsmann betrachtete, nachdem ich den Nobelpreis bekam, habe ich klar erklärt: Der wurde mir als Amerikaner verliehen. In Teilen Österreichs gibt es noch spürbaren Antisemitismus. Deutschland ist da viel weiter.

Inwiefern?

Als ich in Wien lebte, umfasste die jüdische Gemeinde dort 200 000 Juden, heute sind es 7000. Sie haben keinen Versuch unternommen, diese Gemeinde wieder zu vergrößern. In Berlin ist das anders. Das Land hat sich viel stärker seiner Vergangenheit gestellt als Österreich, das sich lange selbst als Opfer dargestellt hat. Ich weiß, so etwas dauert. In den USA hatten wir die Sklaverei, und wir sind immer noch dabei, uns davon zu erholen.

Sie wurden in den USA glücklicher, als Sie es in Wien je waren.

Wegen der Freiheit! Ein kleines bisschen hatte es auch mit meinem Bruder zu tun, den ich ansonsten sehr liebte, der aber einfach sehr begabt war. In Wien hieß es immer, ah, da kommt der kleine Bruder vom Ludwig. Ich habe es so oft gehört, es hing mir zu den Ohren raus.

Sie lachen schon wieder!

Ich weine auch oft. Die High School, die habe ich als große Befreiung erlebt. Ich war gut, ich hatte Freundinnen, ein soziales Leben, ich habe geweint, als die Schulzeit vorbei war. Ich dachte, ich würde nie wieder so glücklich sein.

Professor Kandel, Sie sind jetzt 85, wovor fürchten Sie sich mehr: zu sterben oder das Gedächtnis zu verlieren?

Über beides denke ich nicht besonders viel nach. Oliver Sacks hat vor seinem Tod gesagt, ich habe ein sehr privilegiertes Leben geführt, ich habe einige nützliche Dinge getan – so ähnlich sehe ich das auch. Was mir Sorgen macht, und da bin ich ein wenig egoistisch: Ich würde gern vor meiner Frau sterben. Wir sind uns sehr nah.

Was ist das Geheimnis einer fast 60 Jahre langen glücklichen Ehe?

Wir mögen einander. Und wir streiten, zum Beispiel, welche Bilder wo hängen sollen. Aber wir lösen das auf eine sehr sachliche, unkomplizierte Art.

Und wie sollen sich die Menschen an Sie erinnern?

Ich wünsche mir, dass meine Kinder und Enkel sich daran erinnern, dass ich ein anständiger Mensch war und dass es Spaß gemacht hat, mit mir zusammen zu sein.

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