FRANKFURTER GRÜNE SOSSE: Ganz leicht mit griechischem Joghurt Grüner wird’s nicht
Da versteht man am Main keinen Spaß: Sieben Kräuter gehören in die grüne Soße – und sie müssen alle aus Frankfurt sein. Ein Hintergrundbericht zum aktuellen Rezepturstreit
So geht eine moderne, kaloriengemäßigte Variante des Klassikers:
Zutaten: 2 Eier, 2 EL Öl, 3 EL Dijon-Senf, 2 Schalotten, 1 Bund Grüne-Soße-Kräuter. 200 g griechischer Joghurt, 200 g Magerquark. 2 EL Mineralwasser, 1 EL Weißweinessig, Salz, Pfeffer.
Zubereitung: Eier zehn Minuten kochen, pellen, halbieren, Eigelb herauslösen, mit einer Gabel zerdrücken und mit Öl und Senf glattrühren. Eiweiß fein hacken, Schalotten schälen und fein hacken, Kräuter abwaschen, trocken schleudern und fein hacken. Alles miteinander verrühren.
Die grüne Soße passt traditionell zu Pellkartoffeln, kann aber auch zu Spargel , als Dip für verschiedene Gemüse oder zu gebratenem oder gedünsteten Fisch serviert werden.bm
Am schlimmsten ist es natürlich, wenn irgendein dahergelaufener Amateur Dill nimmt oder Estragon. Oder am Ende sogar Liebstöckel untermengt und das Resultat trotzdem noch „Frankfurter grüne Soße“ nennt. Dann gibt es Ärger mit dem Frankfurter Verein, der sich den Schutz dieser hessischen Spezialität zum Ziel gesetzt hat, notfalls sogar mit juristischen Mitteln. Er geht gegenwärtig vor dem Bundespatentgericht gegen einen Berliner Hersteller von Tiefkühlprodukten vor, der seine GrüneSoße-Kräuter aus Rheinland-Pfalz bezieht statt aus Frankfurt-Niederrad.
Massive Unterstützung erfährt das Ansinnen durch Bürgermeisterin Petra Roth, die schon dekretiert hat, dass es nicht um Kleinkram geht: „Die grüne Soße gehört zu Frankfurt wie Goethe, die Paulskirche und der Handkäs.“ Was den Handkäs angeht, so hat die Soße ihm sogar ein Denkmal voraus. Es steht in Oberrad und besteht aus sieben stilisierten Gewächshäusern in verschiedenen Grüntönen, die die sieben Kräuter symbolisieren.
Es geht um die authentischen Regionalprodukte. Die europäischen Erzeuger kämpfen um ihre Etiketten, das ist verständlich, denn der Kunde zahlt Geld dafür, dass er nicht irgendwas bekommt, sondern Champagner aus der Champagne, Parmesan aus der Parma-Region oder Most aus dem Mostviertel – nur ein paar Beispiele für Produkte mit geschützter Herkunftsbezeichnung.
Bei der Frankfurter grünen Soße, der grie Soß, liegen die Dinge etwas anders. Denn hinter diesem Namen steckt ja kein einheitliches Lebensmittel, das nachzuahmen wäre. Es sind einfach frische Kräuter, deren Nutzung im Belieben des Kunden steht. Er kann sie auch trocknen, in Fischsuppe streuen oder ans Kaninchen verfüttern. Die 15 Frankfurter Gärtner vom Schutzverein heben sich von allen anderen auf der Welt allein dadurch ab, dass sie die fertige traditionelle Mischung, in Papier gewickelt, auf den Markt bringen und sich dieses Vorgehen schützen lassen wollen, beispielsweise gegen landesweit agierende Tiefkühlhersteller wie die Berliner Firma Grötsch.
„Frankfurt hat nicht viele Sachen wie die grüne Soße“, sagt der Gärtnermeister Rainer Schecker, „um so mehr müssen wir darauf aufpassen“. Die Entscheidung wurde am vorletzten Mittwoch vertagt, offenbar ein Zeichen dafür, dass sich das Gericht lieber heraushalten und einen Vergleich zwischen den Parteien erreichen möchte.
Sieben Kräuter gehören angeblich so und nicht anders in eine echte Frankfurter grüne Soße: Borretsch, Kerbel, Kresse, krause Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch. Aus dem Frankfurter Raum! Punkt. Und selbstverständlich handelt es sich um eine kalte Soße, keine erhitzte oder gekochte. Seltsamerweise weicht diese stringente Festlegung einer großen Nachsicht, wenn es um die genaue Mischung dieser Kräuter und um die Soßengrundlage selbst geht, Faktoren also, die den Geschmack vermutlich stärker beeinflussen als ein paar Blättchen Estragon.
Aber nein: Hartgekochtes Eigelb und saure Sahne sollten dabei sein, und jedes der sieben Kräutlein darf maximal 30 Prozent der Gesamtmenge ausmachen, das sind die Grundregeln. Aber die erlauben inzwischen auch Quark und Buttermilch, griechischer Joghurt ist ein aktueller Trend, Senf ein unerlässliches Gewürz; Knoblauch, Zwiebel und Gewürzgurke gelten dagegen als komplett abwegig. Eine Mehlschwitze oder Bouillon haben nichts drin zu suchen und auch keine Büchsenmilch, die in manchen Rezepten auftaucht, vermutlich, weil sich manche Notmaßnahme aus kargen Zeiten im Geschmacksgedächtnis festgesetzt hat.
Wenig Essig! Und Mayonnaise? Unbedingt!, sagen die einen, bloß nicht! die anderen. Zu ihnen gehört der Küchenchef der Frankfurter „Gerbermühle“, Jörg Ludwig, der mit seinem geheimen Spezialrezept 2010 den jährlichen Grie-Soß-Wettbewerb gewonnen hat; damit hat er eine starke Position, aber keineswegs die historische Wahrheit gepachtet. Und das Eigelb, nun ja, mal wird es als Bindung durchpassiert, mal anschließend gewürfelt mitsamt Eiweiß hinzugegeben – typisch für die kaum überschaubare Rezeptlage ist, dass das, was in einem Rezept als unerlässlich gilt, im nächsten als Sakrileg verdammt wird.
Wer sich die Sache einfach macht und die Zutaten im Mixer schreddert, der erreicht allenfalls die Basisqualifikation. Denn überwiegend meinen die Experten, dass die Kräuter grob mit der Hand gehackt werden müssen. Es soll kein homogener Kräuterbrei entstehen, sondern ein differenziertes Bild, das es dem Kenner erlaubt, möglichst viele Nuancen herauszuschmecken. Petersilie und Schnittlauch sollten eher großzügig, dominante Zutaten wie Sauerampfer und Borretsch eher dezent eingesetzt werden. Ratschlag für Vorsichtige: Das Selbstgerührte immer als Kasseler grüne Soße deklarieren, denn deren Ausführungsbestimmungen sind wesentlich liberaler formuliert, da geht sogar Dill.
Generell gilt aber, dass die Welt der echten Frankfurter grünen Soße „so vielfältig, geheimnisvoll und abgründig ist wie die Seele eines Frankfurters“ – so hat es Anton Le Goff alias Maja Wolff formuliert, der/die als Erfinder und Moderator des alljährlichen stattfindenden Wettbewerbs zu jenen gehört, die die Richtlinien der Soßenpolitik bestimmen. Im Zentrum dieser Seele sitzt der Geheime Rat Johann Wolfgang von Goethe, der als wichtigster und berühmtester Liebhaber der grünen Soße gilt. Es heißt, er habe sie sich von seiner Mutter später sogar nach Weimar nachsenden lassen.
Das brachte ihr den Ruf ein, auch die Erfinderin zu sein, eine Legende, wie man längst weiß, denn Kräutersoßen dieses Stils sind seit Jahrtausenden bekannt. Die Römer hatten ihre Version wohl aus dem vorderen Orient mitgebracht, die modernen Italiener pflegen sie als „Salsa Verde alla Genovese“, die Franzosen als „Sauce Verte“, und eine dieser Varianten wird wohl einst auch nach Frankfurt vorgedrungen sein, entweder im Gepäck der Hugenotten oder als Mitbringsel italienischer Handelsherren. Ein erstes gedrucktes Rezept stammt von 1860.
Aus der damals dokumentierten Übung ergibt sich allerdings wenig Munition für die heutigen Rezeptur-Fundamentalisten. Denn es wurde hineingehackt, was grün war, Spinat vorneweg, aber auch Portulak, Majoran, Estragon, sogar Fette Henne, Geißfuß und Zichorie – es gab eben noch keine Profigärtner, die alle wichtigen Kräuter rund ums Jahr liefern konnten. Daraus leiten die renommierten Kochbuchautoren Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer ihre Erkenntnis ab, es handele sich einfach „um die ersten Kräuter, die im Frühjahr in einem anständig gepflegten Beet zu finden sind“. Und erlauben ungerührt auch Dill, Bärlauch und Rucola, was ihnen unter den Frankfurter Traditionalisten keine Freunde machen wird.
Die Soße wird gegessen, so lange die Kräuter draußen wachsen, traditionell ab Gründonnerstag, jenem Tag, an dem in vielen mitteleuropäischen Regionen der Frühlingsbeginn mit einem grünen Essen gefeiert wird. Ein Hinweis fürs Patentgericht: Die Möglichkeit, die Kräuter einzufrieren und im Winter aufzutauen, ist in keiner Überlieferung vorgesehen.
Bernd Matthies
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