Schauspielerin Hannelore Hoger: „Früher mochte ich mich lieber leiden“
Sie wollte nie abhängig von einem Mann sein: Wie die erfolgreichste deutsche TV-Kommissarin es mit der Wahrheit hält. Und welche Fragen Hannelore Hoger eigentlich nicht beantworten mag (hat sie trotzdem).
Frau Hoger, es heißt, Sie seien aggressiv. Muss ich Angst haben?
Ich kratze und beiße ja nicht. Was ein Mensch über einen anderen sagt, hat im Wesentlichen mit ihm selbst zu tun. Ich kann mich nicht um jede Meinung kümmern, die man von mir hat, aber es stimmt: Ich kann mich leicht ärgern.
„Sie ist rigide, selbstbewusst, schwer zu haben fürs Attraktive“ steht in einem Jahrbuch von „Theater heute“ über Sie.
Da müssen Sie die dort mal fragen, was die sich dabei gedacht haben!
Schimpfen Sie beim Autofahren?
Na, wenn mich jemand schneidet! Aber nein, wenig, und eher mit mir selbst. Wenn ich ausgeschlafen bin und nicht in Eile, bin ich entspannter. Ich bin aber oft in Eile.
Gerade drehen Sie das Finale der ZDF-Krimiserie „Bella Block“. Nach 22 Jahren und 37 Filmen, viele davon ziemlich hart – Gewalt unter Kindern, Rassismus, Vergewaltigung –, nach Goldener Kamera, Bayerischem Fernsehpreis und Grimme-Preis werden Sie das letzte Mal die Hauptkommissarin geben. Erleichterung oder Trennungsschmerz?
Ich spüre beides. Es ist sehr anstrengend diesmal, die Arbeitstage sind lang und der Stoff ist schwer. Wir drehen nun schon viele Jahre, und ich finde, wir alle sind Trennungen gewohnt und müssen mit ihnen klarkommen.
Bella Block ist unkonventionell, ruppig, streitbar. Ihre Erfinderin, Doris Gercke, sagt in der „FAZ“, im Fernsehen sehe sie nicht die Romanfigur, sondern Sie, Frau Hoger. Sind Sie über die Jahre ein bisschen mit der Rolle verwachsen?
Wir haben ja nur eine oder zwei Folgen im Jahr gedreht, da ist das mit der Verwachsung nicht so innig. Und grundsätzlich lasse ich jede Rolle auch wieder aus mir heraus.
Was kommt danach?
Ich habe keine Pläne, außer, dass ich mich ausruhen möchte. Längere Zeit.
Nicht, dass Sie in eines dieser Löcher fallen, wie es Rentnern nachgesagt wird, wenn sie nach etlichen Dienstjahren in den Ruhestand gehen.
Ich habe keine Angst vor einem Loch, außer, dass ich stolpere und in eines falle. Ich muss mal länger ausschlafen, mich erholen vom Leben, beziehungsweise von der Arbeit. Bis jetzt lebe ich ja vor allem, um zu arbeiten, dabei sollte es umgekehrt sein. Das Leben ist ein bisschen zu kurz gekommen in den letzten Jahren. Ich trete nicht in den Ruhestand, da bin ich schon lange, aber ich möchte ohne diesen ständigen Druck leben, Freizeit genießen.
Kein Wunder, Sie haben permanent gearbeitet: Die Rolle der Leni Pickert in „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ brachte Ihnen 1968 den Durchbruch als Filmschauspielerin. Sie zählen zu den wichtigsten Bühnenkünstlerinnen der 70er und 80er Jahre, und spätestens seit „Rossini“, wo Sie die sexhungrige Klatschreporterin mimen, weiß man, dass Sie auch ziemlich komisch sein können. Jetzt veröffentlichen Sie ein Buch, in dem recht viel Privates drinsteht. Warum?
Ich kann ja keine leeren Seiten abgeben, ein bisschen was muss ich also von mir preisgeben. Ich habe nicht damit angefangen, um daraus ein Buch zu machen, sondern weil ich ermuntert wurde, mal was zu schreiben. Es hat mir Spaß gemacht. Ich bedaure, dass ich früher kein Tagebuch geschrieben habe. Ich hatte aber nicht die Absicht, einen ewig langen Roman zu verfassen, ich wollte Einblicke geben. Wen interessiert schon so ein ganzes ausgebreitetes Leben. Also mich nicht. Sind auch so fast 300 Seiten, reicht.
„Ohne Liebe trauern die Sterne“ lautet der Titel. Was sind die Sterne für Sie?
Viele Menschen glauben ja, dass sie da oben im All nach ihrem Tod irgendwie rumschwirren. Das Universum ist für uns unbegreiflich, aber der Himmel ist mir ein Gegenüber. Himmel, Sonne, Mond, Sterne – die sind für uns alltäglich. Für mich sind das Freunde. Auch der Mond, obwohl er kalt ist. Aber er scheint und ist wunderschön. Haben Sie neulich den großen Mond gesehen?
Den Erdbeermond, der ja ein Honigmond war?
Eine Sensation! Ich konnte mich nicht sattsehen. Das war unglaublich, ein Ereignis! Am liebsten hätte man ihn umarmt und gesagt: „Hallo, da bist du ja, komm mal her, lass dich mal angucken!“ Mond, Sternenhimmel – ich liebe das alles einfach, sie machen mich glücklich.
Und die Liebe, glauben Sie an die?
Liebe ist ja zunächst einmal ein Begriff, von dem keiner genau weiß, was es ist. Aber jeder hat eine Vorstellung davon, dass es zumindest etwas mit Zuneigung zu tun hat, mit Wärme, Achtung. Ich glaube, dass ohne diese Dinge, ohne Liebe im weiteren Sinne, nichts möglich ist auf der Welt. Ohne sie würde alles verkümmern.
Verheiratet waren Sie trotzdem nie.
Es hat sich so ergeben, und ich finde das gut. Ich wollte nie abhängig sein, weder finanziell noch sonst wie von irgendeinem Mann. Mir ist wichtig, dass eine Frau ihren eigenen Beruf hat. Selbst meine Mutter hatte den. Sie war Schneiderin.
Das war in den 40er Jahren.
Meine Mutter kommt aus einer kinderreichen Familie. Sie hat gelernt zu teilen, musste man ja. Ihre Familie war nicht reich. Sie war ein großzügiger Mensch, der so gar nichts Böses an sich hatte. Ich glaube, sie wollte auch nicht abhängig sein, geheiratet hat sie, weil sie Kinder wollte. Die wollte sie unbedingt. Und Enkel. Meine Tochter Nina liebte sie sehr, die wollte sie am liebsten auffressen.
1960, Sie waren gerade 19, hatten Ihr erstes Engagement als Schauspielerin in Ulm, da wurden Sie schwanger. Was war Ihr erster Gedanke?
Ich war überrascht. Wirklich voll und ganz überrascht. Ich war jung, und am Theater hat man das nicht gern gesehen. Man fällt ja erst mal für mindestens drei Monate aus.
Was war mit dem Vater?
Der Mann lebte in einer schwierigen Situation, war älter als ich – er starb überraschend und früh.
Deshalb konnte meine Tochter ihn nicht mehr kennenlernen.
Alleinstehend und schwanger. Hatten Sie Angst, das ist das Karriereaus?
Nein. Man muss immer weitermarschieren im Leben. Schlimm war, dass ich nicht bei meinem Kind sein konnte. Wenn ich meine Eltern nicht gehabt hätte, wär’ es schwierig geworden. Ich habe damals 300 Mark verdient und musste weiterarbeiten.
Nach sechs Wochen gingen Sie zurück ans Theater, das Baby blieb bei den Großeltern in Hamburg.
Na ja, vielleicht waren es sieben.
Wie oft konnten Sie sich sehen?
So oft es eben ging. Sobald ich ein Auto hatte, bin ich jede freie Minute hingefahren. Physisch war ich häufig zu angestrengt, aber seelisch habe ich mich immer wieder berappelt. Wir haben es beide ganz gut verkraftet, glaube ich. Es musste gehen, und es ist gegangen.
Sind Sie Optimistin?
Ich finde das besser, als immer vom Schlechten auszugehen. Man soll sich auf das Leben einlassen, wenn’s kompliziert wird, wird’s kompliziert. Die Schwangerschaft war außerdem das Beste, was mir passiert ist.
Ihre Tochter ist auch Schauspielerin. Wäre es Ihnen lieber gewesen, sie machte etwas anderes?
Jeder darf und soll das machen, was er will. So war das bei meinen Eltern, und so war das bei uns.
Warum wollten Sie Schauspielerin werden?
Das hängt natürlich mit meinem Vater zusammen. Er arbeitete am Theater, mich hat das von klein auf fasziniert, ich habe so manche Vorstellung bis zu fünfzig Mal besucht. Mit 17 habe ich mich an der Schauspielschule in Hamburg beworben. Es gab dreißig Bewerber, acht haben die Prüfung bestanden. Eine davon war ich. Heute bewerben sich 300, und es werden acht genommen! Na, und dann habe ich einfach immer gespielt.
1960 der Durchbruch auf der Theaterbühne in Peter Zadeks Skandalaufführung „Die Geisel“ in Ulm. Dann Bremen, Schauspielhaus Bochum, weg vom Theater, mit Regisseur Alexander Kluge der erste Film, Fernsehen. Wollten Sie berühmt werden?
Darüber habe ich nicht nachgedacht. Man ergreift den Beruf nicht, um berühmt zu werden. Ich jedenfalls nicht. Ich wollte spielen.
Heute nennt man Sie die „Grande Dame des deutschen Krimis“. Mögen Sie das?
Ich habe mich nie für eine Grande Dame gehalten. Aber wenn man ab einem bestimmten Alter eine Grande Dame sein muss, bitte sehr. Ist ja freundlich gemeint.
Lernt die Grande Dame gern Text?
Ich liebe es, zu improvisieren. Textlernen kann auch schön sein, wenn es ein guter Text ist. Ich behalte ihn nur nicht mehr wie früher. Ich hatte mal so gebüffelt für ein Stück von Thomas Bernhard. 60 Seiten Reclam-Text, bei dem Sie keine Zeile auslassen dürfen. Ich hatte unglaubliche Angst, dass ich das nicht schaffe. Da brauchen Sie drei Monate Zeit – vor Probenbeginn.
Und Sie hatten ...
… sechs Wochen. Aber es ist leider nie zu einer Aufführung gekommen, weil Hans Lietzau, der Regisseur, kurz vor der Premiere verstorben ist. Das war sehr traurig.
Hatten Sie mal ein Blackout auf der Bühne?
Ja, schrecklich. Ich stand da, sah nichts, hörte nichts. Ich wusste nichts mehr.
Dafür gibt es doch Souffleure.
Aber in der Aufregung verstehe ich die nicht. Das geht dann immer so: kzzzzzzppppp, kkkkkkchchchppp! Sie hören die Souffleuse im Zuschauerraum und der, der sie hören soll, versteht nur Bahnhof. Ein wunderbarer Kollege, Norbert Kappen, der konnte hängen wie ’ne Glocke – keiner hat das gemerkt, der blieb immer ganz ruhig.
Ihre Reaktion?
In dem Moment konnte ich nicht improvisieren. Irgendwann, nach gefühlt fünf Minuten, fiel der Vorhang, und ich glaube, wir haben noch mal von vorne angefangen. Ein Albtraum.
Gab es einen Plan B, falls das mit der Schauspielerei nicht klappt?
Ich habe nie daran gezweifelt, dass es klappt. Ich war immer voller Zuversicht.
Sie lachen – wie schafft man das?
Ich weiß es nicht. Ich habe ein ganz gutes Verhältnis zu mir.
Das heißt, Sie können sich Ihre alten Filme noch anschauen?
Früher besser, heute weniger. Weil ich mich so verändert habe! Früher mochte ich mich lieber leiden.
Gibt es eine Rolle, die Sie unbedingt wollten, aber nie gekriegt haben?
Ich habe viele gespielt und viele nicht gespielt. Die ganz großen, die Julia oder das große griechische Drama kamen seltener vor, dafür war ich irgendwie nicht der Typ. Ich sollte mal Kleists Penthesilea spielen – das habe ich mir aber nicht zugetraut.
Und heute, gibt es noch eine, die Ihnen unter den Nägeln brennt?
Ich bin ja jetzt die Grande Dame, da brennt nichts mehr unter den Nägeln.
Erfolgreichen Menschen, gerade im Showgeschäft, sagt man gern nach, sie seien abgehoben. Wie schafft man es, trotzdem kein Ekel zu werden?
Wieso sollte man das? Das ist Unfug. Erfolg zu haben, ist noch kein Vergehen. Und wie ich auf andere wirke, ist mir egal.
Glauben Sie an Gott?
Diese Gretchenfrage beantworte ich nicht. Wenn er an mich glaubt, dann glaub ich auch an ihn.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Mann, was sind denn das für Fragen!
Alles Themen, die in Ihrem Buch vorkommen.
Da halte ich mich an Woody Allen. Ich lehne das ab.
Was ist jenseits von Applaus die schönste Anerkennung?
Wenn jemand auf mich zukommt und mir etwas Freundliches sagt, das find ich gut. Ist mir neulich passiert. Ich sage Ihnen aber nicht, was es war. Ich stand mal auf dem Flughafen, da ging eine Frau an mir vorbei, drehte sich um und sagte empört: „Oh Gott, sind Sie klein!“ Und ging weiter. Die war bitter enttäuscht, dass ich so ein Zwerg bin! Das fand ich lustig.
Sie schreiben im Buch: „Ich habe immer gesagt, wenn mich Dinge gestört haben, auch wenn es mir geschadet hat.“ Was denken Sie, hat Ihnen das rückblickend betrachtet mehr geschadet oder genutzt?
Ich bin relativ heil durchs Leben gekommen, ansonsten kann ich das nicht beurteilen. Allerdings bin ich nicht der Ansicht, dass man immer die Wahrheit sagen muss, so knallhart ins Gesicht. Eine Meinung vertreten, finde ich gut.
Sind Sie stolz auf sich?
Ja. Lief alles ganz gut.
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