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REGIONALE ERZEUGER: Fisch auf den Tisch

Den Räucherspezialisten Michael Wickert hat die Landlust gepackt. Von der Markthalle IX zog er mit „Glut und Späne“ in die Uckermark. In Gerswalde fand er seine Ruhe - und immer mehr Gleichgesinnte. Immer samstags öffnet er seinen Räucherimbiss in der ehemaligen Schlossgärtnerei, ein wunderbarer Anlass für eine Ausflug in die Uckermark

Die Aufregung um den "Tiergarten-Hummer", um eine drohende „Bioinvasion“, kann Michael Wickert nicht nachvollziehen. Die amerikanischen Krebse der Gattung procambarus clarkii hätten doch schon vor Jahren die sechs heimischen Flusskrebsarten weitgehend verdrängt, sagt er, und außerdem die Krebspest eingeschleppt. Dass sie jetzt durch Berlin spazierten, liege an dem besonders wasserreichen Sommer. „Da muss man nichts unternehmen, das regelt die Natur von selbst.“

Wickert kennt sich aus mit allem, was in Flüssen und Bächen zu Hause ist. Er wuchs auf am damals noch fischreichen Bodensee, entwickelte eine frühe Leidenschaft fürs Angeln und Räuchern, studierte Fischereiwissenschaften an der Berliner Humboldt-Uni, absolvierte ein Wanderjahr zu Fischereibetrieben in Brasilien, Südafrika und Australien, leitete eine traditionelle Fischzucht in der Champagne. Zurück in Berlin folgte ein Praktikum im „Rutz“, ehe er in der Kreuzberger Markthalle IX an seinem Stand „Glut & Späne“ Foodies aus aller Welt für Ceviche und Räucherfisch begeisterte. Sechs Jahre hielt er den Rummel aus, dann nahm er den umgekehrten Weg der Krebse: aus der Stadt zurück in die Natur.

Räuchermeister und Fischexperte Michael Wickert ist mit seinem "Glut und Späne" in die Uckermark gezogen
Räuchermeister und Fischexperte Michael Wickert ist mit seinem "Glut und Späne" in die Uckermark gezogen
© Ben Fuchs

„Glut und Späne“ hat in der Uckermark ein neues Zuhause gefunden. Noch immer ist Michael Wickert mit seinem Foodtruck und seinem Cateringunternehmen auf Veranstaltungen, Hochzeiten und Streetfoodfestivals unterwegs. Aber seine Basis ist jetzt die ehemalige Schlossgärtnerei in Gerswalde. Das alte Heizhaus dort dient als Lager und Produktionsstätte. Davor hat er eine Art Imbiss gebaut mit Biertischen, Fischvitrine und Räucherofen. Vieles wirkt noch improvisiert.

Das Gelände der Schlossgärtnerei ist riesig, zahlreiche Gebäude ungenutzt, ein Haus wird gerade renoviert, in einer alten Scheune gibt es sehr einfache Übernachtungsmöglichkeiten. Der Garten wirkt noch wild und unerschlossen, aber auf den Terrassen haben Freunde schon begonnen, Obst und Gemüse anzubauen: Tomaten in einer unglaublichen Vielfalt, Rüben und Salat, aber auch Perilla, in Asien auch Shiso genannt, und selbst Artischocken. Alles ist im Entstehen, aber Wickert hat hier seinen Garten Eden voller Möglichkeiten gefunden. Dort kann er durchatmen, angeln gehen und vor allem: räuchern.

Michael Wickert verarbeitet "alles was der Garten gerade so hergibt": Ceviche vom selbstgeangelten Flussbarsch mit allerlei Tomaten, Zwiebel und Shisoblätter
Michael Wickert verarbeitet "alles was der Garten gerade so hergibt": Ceviche vom selbstgeangelten Flussbarsch mit allerlei Tomaten, Zwiebel und Shisoblätter
© Ben Fuchs

Immer samstags zwischen 12 und 17 Uhr eröffnet er seine „Landräucherei“. Dort gibt es für knapp zehn Euro Fisch, frisch aus dem Rauch, dazu ein Glas Wein und Salat oder eingelegtes Gemüse, „alles, was die Gärten gerade hergeben“. Wenn er nicht selber angelt, kauft er Forellen oder Saibling beim befreundeten Fischer in Boitzenburg. Die Fische legt er Freitagabend in leicht gesalzenes Wasser zu wildem Majoran, damit sich Aroma und Salzigkeit über Nacht gleichmäßig verteilen. Samstagmittag stellt er die Bänke zurecht, füllt die Fischvitrine auf und heizt den Räucherofen an. Die Gäste können zusehen, wie er immer wieder Fische in den Rauch hängt, und sie erfahren viel über die Kunst des Räucherns. „Ich fange mit einem Buchenfeuer an, danach kommen noch Erle, Kirsche und Wacholder dazu, wenn es das gibt. Das Holz macht die Musik.“ Was er zum Räuchern benötigt, kommt von einem Hof in der Nachbarschaft, den ein Paar betreibt. „Sie ist Permakulturbäuerin und kümmert sich mit um den Schlossgarten, er ist Tischler, der sein eigenes Holz schlägt. Mit ihm hab ich auch die Veranda gebaut.“

Räuchermeister Michael Wickert lässt die Fische über Nacht im leicht gesalzenen Wasser liegen, bevor sie in den Ofen kommen
Räuchermeister Michael Wickert lässt die Fische über Nacht im leicht gesalzenen Wasser liegen, bevor sie in den Ofen kommen
© Ben Fuchs

Gerswalde ist eines jener Dörfer, die in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt haben - als Fluchtpunkt für Berlinmüde. Stilvoll renovierte Häuser, Ferienwohnungen, ein neues Café, Werkstätten und Ateliers. Doch entstanden ist keine isolierte Architekten-Designer-Kolonie, die Alteingesessenen scheinen sich mit den Neuen arrangiert zu haben, es ist so etwas wie eine aufgefrischte Dorfgemeinschaft gewachsen. Man hilft sich, vermittelt sich Gäste, feiert zusammen beim „Stoppelmarkt“ oder trifft sich samstags im „Glut und Späne“ bei Räucherfisch und einem Glas Wein. Dass die Nachbarn kommen, ist Michael Wickert besonders wichtig, er braucht das Gefühl, auch jenseits der Foodie- und Hipsterszene akzeptiert zu werden. „Als ich fermentierten Rettich zum Fisch servierte, habe ich den Gästen aus der Nachbarschaft nicht gesagt, das ist Kimchi, sondern, das ist scharfer Rettich. Sie haben probiert und mochten es.“

Michael Wickert ist nicht der Einzige, der die große weite Welt nach Gerswald bringt. Gleich um die Ecke der ehemaligen Schlossgärtnerei, gegenüber der Feldsteinkirche im „Café zum Löwen“ leben die zwei Exilberliner Lola Randl und Philipp Pfeiffer. Sie haben vor knapp drei Jahren die Schlossgärtnerei übernommen und entwickeln das Gelände nach und nach. Beide kommen, wie inzwischen einige Neu-Gerswalder, aus der Filmbranche, Randl hat sogar einen Dokumentarfilm über die Neu-Uckermärker gedreht. Das Haus in der Dorfmitte hat das Paar in kürzester Zeit zu einem Treffpunkt für Alteingesessene, Exil-Berliner und Kunstinteressierte verwandelt - samt Galerie, Kleinkunst und japanischer Küche. An einem Wochenende servierte dort die gebürtige Japanerin Ayumi Saito in einem Pop-up-Dinner Onigiri, Curry, japanischen Tee und Gebäck. Wie Wickert hat sie schon in Berlin für internationale Foodies gekocht, mehr als Ausgleich zu ihrem eigentlichen Beruf als Modedesignerin, aber nicht minder ambitioniert. Und wie selbstverständlich fügt sich in Gerswalde nun alles zusammen: Freunde und Nachbarn halfen, das Glashaus im Schlossgarten direkt neben Wickerts Räucherei zu renovieren. Ab Anfang Oktober wird Ayumi Saito immer am Wochenende in dem blauen Glashaus japanische Köstlichkeiten servieren. Und seit der Berlin Art Week stehen im Garten Skulpturen der Künstlerin Anna Fasshauer, spendiert von der Galerie Nagel Draxler: große, bunte Objekte, die sich von der verwilderten Umgebung des Gartens abheben und sich dennoch integrieren - Spiegel eines sich verändernden Gerswalde.

Neue und alte Nachbarn kommen hier zusammen, besuchen Räucher- und Fermentierkurse, helfen sich gegenseitig, bauen etwas Neues auf. Die Welt scheint hier ein bisschen besser zu funktionieren als anderswo. Wenn es nach Michael Wickert geht, soll sich hier nur einer nicht heimisch fühlen: der rote Signalkrebs. Wickert verfolgt interessiert, wie in einigen Teichen der Uckermark versucht wird, einheimische Krebsarten wieder anzusiedeln. Weil noch Sporen der Krebspest im Wasser sind, müssen alle Signalkrebse von Tauchern entfernt werden. Ein riesiger Aufwand. Wickert sieht das so: „Erst, wenn alle Amis weg sind, haben die Einheimischen wieder eine Chance.“

Glut und Späne
Dorfmitte 11, 17268 Gerswalde, glutundspaene.de

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