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Babak Rafati
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WM 2014: Ex-Schiedsrichter Babak Rafati: „Jeder ist über seine Gefühle bezwingbar“

Schiedsrichter werden angepöbelt, Fernsehkameras machen ihre Fehler sichtbar. Babak Rafati findet das nicht schlimm – und hat doch eine Depression durchlitten.

Babak Rafati, 44, war jahrelang Schiedsrichter in der 1. und 2. Bundesliga – er pfiff als Fifa-Referee auch internationale Spiele. Vor zweieinhalb Jahren versuchte der Bankkaufmann, sich das Leben zu nehmen. Über seine Erfahrungen schrieb er ein Buch.

Herr Rafati, wie geht es Ihnen?

Danke, wieder sehr gut. Meine Frau und ich packen schon, um Urlaub in Asien zu machen.

Haben Sie Ihren Urlaub extra so gelegt, um vor der WM in Brasilien ans entgegengesetzte Ende der Welt zu flüchten?

Nein, wir hatten die WM bei unserer Ferienplanung schlicht vergessen.

Ich habe gelesen, dass Sie sich keine Fußballspiele mehr ansehen können. Eine Art Fußball-Phobie ...

... habe ich längst überwunden. Kurz nach meiner Tat hat mich schon ein Werbespot für Ford umgehauen, nur weil er mit derselben Musik unterlegt war wie die Champions-League-Spiele im Fernsehen. Bevor ich zum ersten Mal wieder ein Stadion besuchte, war ich ein bisschen nervös. Doch ich fühlte mich auf der Tribüne so entspannt, als säße ich auf meinem Balkon.

Der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach soll gesagt haben, Ihnen stünde beim DFB die Tür offen. Sie könnten also wieder als Schiedsrichter ...

... ich weiß nicht, was Niersbach genau meinte. Aber bitte nicht das Schiedsrichteramt! Ansonsten wäre ich ja lebensmüde.

Bei der WM liefern sich Schiedsrichter und Fernsehkameras wieder den klassischen Kampf Mensch gegen Maschine, allerdings sind die Menschen mittlerweile in aussichtsloser Position. In Brasilien filmen 34 Kameras jedes Spiel und unterhöhlen die Autorität der Schiedsrichter.

Dass Menschen Fehler unterlaufen und darüber debattiert wird, macht den Fußball doch erst spannend. Und wenn man so weit oben ist, egal ob im Sport, in der Politik oder Wirtschaft, muss man sich Kritik gefallen lassen. Mir haben Angriffe der Medien nie etwas ausgemacht. Im Moment, in dem du eine folgenschwere Fehlentscheidung triffst, bist du natürlich die ärmste Sau.

Den Nationaltorwart Robert Enke trieb der Druck in den Suizid. Im November 2009 warf er sich vor einen Zug. Spürten Sie damals bei sich bereits Anzeichen einer Depression?

Nein, 2009 lief bei mir noch alles prima.

Ich nehme an, Sie waren über Enkes Tod bestürzt.

Ich kannte Enke. Seine distanzierte, bedachte Art war mir sympathisch. Doch für seine Tat hatte ich damals überhaupt kein Verständnis. Ich dachte: Der Mann war Nationaltorwart. Der hatte Erfolg, Geld, was wollte er denn noch? Heute weiß ich: Gesellschaftliche Anerkennung ist das eine, Gefühle sind das andere. Jeder Mensch ist über seine Gefühle bezwingbar.

Die Schiedsrichterrolle erscheint besonders belastend: ein einsamer Mann inmitten eines brodelnden Stadions.

Du bist viel zu konzentriert, um dich einsam zu fühlen. Klar, du bist der Prügelknabe der Nation. Und auch ich wiederholte, als ich halbwüchsig und noch Fußballer war, das gängige Klischee: Schiedsrichter haben zu Hause nichts zu melden.

Warum sind Sie dann Schiedsrichter geworden?

Mit 16 war klar, dass ich es als Fußballer nicht bis an die Spitze schaffen würde. Ich war als Schiedsrichter begabter. Sogar der heutige Chef der DFB-Schiedsrichter-Kommission, Herbert Fandel, von dem ich sonst wenig Gutes berichten kann, lobte mich mal für mein Auftreten: Es sei klar, resolut, arrogant. Wörtlich sagte er: Ich sei „ein kleiner Fandel“. Ich bin schnell aufgestiegen.

Er litt unter systematischem Mobbing

Babak Rafati
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Man liest mitunter von Vorfällen in unteren Ligen, bei denen Schiedsrichter sogar verprügelt worden sind. Der frühere Schiedsrichter Markus Merk erzählte, dass seine Mutter ihr Auto immer in Fluchtrichtung parkte, wenn sie ihn als Teenager zu den Bolzplätzen auf dem Land fuhr. Wie erging es Ihnen?

Ich wurde nie bedroht, kam immer mit allen gut aus. Auch später, in der Bundesliga. Pfiffe gab es natürlich, die gehören zum Geschäft. Da sitzen Millionen Menschen, die glauben, der bessere Bundestrainer und der bessere Schiedsrichter zu sein.

Sie mussten einmal unter einem Regenschirm vom Platz laufen, weil Zuschauer Pappbecher nach Ihnen warfen.

War auch nicht schlimm. Die Schirme haben die Becher ja abgehalten. Im Zuge der heftigen Schiedsrichterschelte beim diesjährigen Pokalfinale ...

... wo Florian Meyer einen Ball vor der Torlinie gesehen hatte, der in Wahrheit dahinter war ...

… ja, anschließend meldeten sich wieder die Mahner: „Habt ihr den Fall Rafati schon ganz vergessen?“ Doch das war bei mir nicht der Punkt.

Was war bei Ihnen der Punkt?

Neue Führungskräfte, systematisches Mobbing.

Mobbing ist ein rechtlich unscharfer Begriff. Was war passiert?

Nachdem Fandel Chef der DFB-Schiedsrichter-Kommission geworden war, hatte er immer etwas an mir auszusetzen. Was du da machst, können 500 andere auch, sagte er. Oder: Alle dürfen Fehler machen, nur du nicht, Babak. Ein Schiedsrichter, der keinen Fehler machen darf – undenkbar! Sonntags nach Spielen musste ich mit ihm telefonieren. Ich schloss mich in der Küche ein, weil ich mich vor meiner Frau dafür schämte, dass Fandel mich so runterputzte. Ich war damals Fifa-Schiedsrichter, gehörte zu den zehn besten deutschen Schiedsrichtern, ich pfiff auch internationale Spiele. Schließlich wurde ich von der Fifa-Liste gestrichen. Ohne Personalgespräch. Mir wurde gesteckt, dass meine neuen Chefs meine Degradierung von Anfang an geplant hätten.

Können Sie das beweisen?

Ja, es gibt Zeugen. Kollegen, deren Namen ich aber nicht nennen kann. Irgendwann ging es bei mir los: Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit, Schuldgefühle und Minderwertigkeitsgefühle.

Ist in der Bundesliga nicht gang und gäbe, was Ihnen passiert ist? Selbst Uli Hoeneß, der menschlich als besonders vorbildlich galt, sägte Trainer einfach ab, wenn er glaubte, dass sie für den FC Bayern keinen Erfolg mehr bringen.

Es ist das gute Recht jedes Vereins, einen Trainer zu entlassen. Ich habe zu meinem Vorgesetzten gesagt: „Wenn es nicht mehr reicht, höre ich auf. Sag mir das!“ – Nein, nein, hieß es, er sage es mir, wenn es so weit sei. Ich habe nichts gegen die Leistungsgesellschaft, da gehört Kritik dazu. Aber sachliche, nicht persönliche Kritik. Im Grundgesetz heißt es: Die Menschenwürde ist unantastbar.

Liegt es vielleicht daran, dass der DFB eine der letzten Männerbastionen ist, dass Sie die Funktionäre als so grob erlebten?

Wahrscheinlich. Wo Frauen arbeiten, herrscht mehr Frieden. Frauen sind meiner Erfahrung nach auch ehrlicher. Nehmen Sie die Fußballerinnen, die schaffen es zu sagen, „ja, ich bin homosexuell“. Intern weiß jeder, wer von den männlichen Fußballern und Schiedsrichtern schwul ist. Doch offenbar verbieten es die Werbeverträge der Spieler, sich zu outen. Hitzlsperger wurde vorgeschickt, der spielt nicht mehr. Beim DFB werden Broschüren gegen Homophobie ausgegeben. Das ist alles scheinheilig. Die übernächste WM ist in Katar. Dort ist Homosexualität strafbar. Es wird also weiterhin heile Welt gespielt. Dabei ist der DFB der größte und reichste Fußballverband der Welt. Er hat eine gesellschaftliche Verantwortung. Auch das Thema Depression muss offen angegangen werden.

Theo Zwanziger kam nicht ans Klinikbett

Babak Rafati
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Der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger fuhr nach Ihrem Suizidversuch sofort ins Kölner Hyatt-Hotel, in dem Sie untergebracht waren ...

... und hat auf einer Pressekonferenz gesagt, dass er auf meinem Zimmer viel Blut in der Badewanne gesehen habe. Was für eine Respektlosigkeit gegenüber meiner Familie! Er fuhr außerdem zur Polizei und ins Stadion. Alle Stationen hatte er durch. Doch er hat es nicht für nötig gehalten, zu mir ins Krankenhaus zu kommen.

Im September 2011, zwei Monate davor, hat Ralf Rangnick als Trainer von Schalke 04 wegen eines Burn-outs aufgehört. Haben Sie Rangnicks Leiden mit sich in Verbindung gebracht?

Nein, weil ich damals nicht auf die Idee gekommen bin, krank zu sein. Selbst nach meiner Tat, als mir innerhalb einer Woche fünf Ärzte unabhängig voneinander eine schwere Depression diagnostizierten, sagte ich, „nein, ich habe andere Probleme, aber keine Depression“. Weil die Gesellschaft suggeriert: Wer depressiv ist, ist irre. Man weiß zu wenig über seelische Krankheiten. Eine Depression kann jeden treffen. Ich war 41 Jahre, stark, selbstbewusst. Trotzdem bin ich gestürzt. Ich würde es für sinnvoll halten, wenn man regelmäßig zum Psychologen ginge – als eine Art Soundcheck.

Sie meinen wie zur Darmspiegelung?

Genau. Man sollte die Psychologen in die Bonushefte der Krankenkassen reinnehmen, in die man für jeden Zahnarztbesuch einen Stempel bekommt. Dann wäre die Hemmschwelle weg. Nach dem Motto: „Ich war heute beim Psychologen, und du?“ Depression ist eine Volkskrankheit: 2020 wird sie weltweit die zweithäufigste Erkrankung sein. Ich kann nur raten, sie ernst zu nehmen und sich nicht so weit treiben zu lassen, wie ich es tat.

Darf ich fragen, was genau in der Nacht passierte?

Am nächsten Tag stand die Partie Köln gegen Mainz an. Dieselbe Spielpaarung wie sechs Jahre zuvor bei meinem allerersten Bundesliga-Einsatz. Die Wut über die seelischen Misshandlungen, die sich über 18 Monate angestaut hatte, kam hoch. Ich war klitschnass. Ich hasste mich dafür, dass Menschen so mit mir umgehen. Ich starrte auf die Digitaluhr in meinem Hotelzimmer. Einerseits hatte ich Panik, dass die Zeit nicht mehr reichen würde, um beim Anpfiff am kommenden Nachmittag fit zu sein. Andererseits schien es mir endlos lange bis dahin. Morgens um fünf beschloss ich, mich krankzumelden und nach Hannover zurückzufahren. Im Taxi kam mir noch ein rationaler Gedanke: Wenn ich wirklich krank wäre, wäre es logisch, dass ich im Bett bleiben würde.

Sie sind umgekehrt?

Ja, ich habe erneut eingecheckt im Hotel, und die Gedankenschleifen gingen weiter. Irgendwann habe ich die Minibar geleert, um mir Mut anzutrinken. Dazu habe ich 100 Baldrian-Tabletten genommen. Ich war benebelt, kann mich aber noch erinnern, wie ich Badewasser einließ. Das Hyatt hatte als Zahnputzbecher Gläser. Die habe ich an der Badewannenkante zerschlagen und mit den Scherben die gesamten Innenseiten der Arme aufgeschlitzt. Das Komische war, ich habe nie an den Tod gedacht. Ich wollte nur den Film stoppen, der mich wahnsinnig machte.

Haben Sie Schmerzen gespürt?

Das tat schon brutal weh, aber war auch befreiend, weil ich endlich handelnde Person war und nicht Behandelter. Es heißt, dass Depressive an den Tagen, an denen sie beschließen, sich umzubringen, gut drauf sind, weil sie endlich einen Ausweg sehen. Mir ging alles nicht schnell genug. Ich bin noch mal raus aus der Badewanne und habe eine Bierflasche zerschlagen und mir damit mit voller Kraft mehrfach auf den Kopf geschlagen. Der Bademantel war runtergefallen. Ich nahm seinen Gürtel und versuchte, mich damit zu strangulieren. Ich plante, die Zimmertür aufzureißen und zu schreien: „Ich wollte doch nur als Mensch behandelt werden.“ Doch ich war zu schwach.

Zum Glück wurden Sie gerettet.

Damals empfand ich das nicht so. Ich wachte am Nachmittag auf und fand mich im Krankenhaus wieder. Ich hatte ja schon vorher einen Rucksack mit Problemen zu schleppen, der proppevoll war. Dann kommt noch hinzu, dass alle Welt weiß, du wolltest dir das Leben nehmen. Ein Bundesligaspiel fiel wegen mir aus.

Wie der Therapeut ihm half

Babak Rafati
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Es gibt Schlimmeres, oder?

Ich war immer ein Mensch, der sehr auf sein Image achtete. Meine Gedanken kreisten darum, was die Arbeitskollegen wohl denken, was die Bundesliga und meine Familie von mir hält? Ich sah damals keinen anderen Ausweg, als es noch einmal zu versuchen. Diesmal geplant und nicht aus dem Affekt. Ich war über Wochen eine tickende Zeitbombe. Meine Frau begleitete mich sogar aufs Klo. Ohne sie könnte ich heute nicht mit Ihnen reden.

Hat Ihnen die Therapie, die Sie anschließend machten, geholfen?

Sehr, aber erst zeitversetzt. Anfangs ging mir das, was mir der Therapeut erzählte, in ein Ohr rein und aus dem anderen wieder raus. Dann stellte er mir Aufgaben, die mir zu denken gaben. Ich fand nicht in den Schlaf, weil ich dauernd am Grübeln war. Er sagte: „Machen Sie drei Mal am Tag Notizen von Ihren Gedanken.“ Eine halbe Stunde lang schrieb ich alles auf. Mittags, als ich es erneut tun sollte, stellte ich fest: Den ganzen Scheiß hast du eben schon mal geschrieben. Das war heilsam.

Der Therapeut lehrte Sie ...

... der lehrt einen gar nichts. Meine Therapie war ein Selbstfindungsprozess. Zunächst fragte der Psychologe: „Was belastet Sie?“ Er schrieb meine Punkte an ein Flipchart. Bumm, bumm, bumm. „Erstens, ich bin ein Feigling.“ – „Zweitens, ich bin nichts mehr wert.“ – „Drittens, ich schäme mich.“ Dann sagte er, „was passiert denn, wenn einer denkt, dass Sie ein Feigling sind?“ Na, nichts. In der Therapie lernte ich, gesunde Reaktionen auf ungesunde Umstände zu entwickeln.

Neben der Schiedsrichterei leiteten Sie eine Sparkassenfiliale in Hannover. Arbeiten Sie dort wieder?

Als ich aus der Klinik raus war, habe ich bei der Sparkasse gekündigt, weil ich einen Schnitt machen wollte. Mich aus dem alten Leben verabschieden. Anschließend schrieb mir mein Arbeitgeber einen sehr freundlichen Brief, ich müsste meine Kündigung sofort zurücknehmen. Seitdem bin ich beurlaubt und kann jederzeit zurück. Aber im Moment halte ich Vorträge in der freien Wirtschaft zu Themen wie Mobbing, Burn-out und Depression. Ich könnte mir gut vorstellen, auch für den DFB darüber zu referieren. Ich persönlich habe bis heute weder von Theo Zwanziger noch von dessen Nachfolger Wolfgang Niersbach etwas gehört. Doch ich bin guter Hoffnung, dass wir miteinander ins Gespräch kommen. Gerade über den DFB kann man eine breite Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren.

Nur Schiedsrichter wollen Sie nicht mehr sein.

Doch, gern, im Ausland, wenn ich ein Angebot bekomme. Aber ich begebe mich nicht mehr in die Hände der Führungsleute Herbert Fandel und Hellmut Krug. Die Schlagzeile sehe ich schon vor mir: „Rafati resozialisiert!“

Fandel ließ beim ersten Schiedsrichtertreffen nach Ihrem Suizidversuch einen Psychologen kommen.

Das ist doch ein Lacher. Wenn du dich als depressiv outest, kannst du sicher sein, dass du nie wieder auf einem Fußballplatz stehst.

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