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Drei Bäcker und ihr Werk: Cemil Solak, sein Onkel und Osman Cali (v.l.n.r.).
© Kitty Kleist-Heinrich

Baklava: Es grünt so süüüß

Fürs beste Baklava der Welt braucht es die besten Pistazien der Welt. Report aus einer heißen Neuköllner Backstube.

Gaziantep? „Mmh!“, rufen Türken, wenn sie nur den Namen der Stadt hören. Berlin ist zwar nicht Südanatolien – aber ein bisschen Gaziantep findet man auch in Neukölln.

Hinter der verkratzten Stahltür im Hinterhof backt Osman Cali, ein kleiner Mann Anfang 30 mit rundem Bauch und Maisstärke im schwarzen Haar, gerade das beste Gebäck der Stadt, ach was, der ganzen Welt. Behauptet er. Calis Spezialität sind Baklava, knuspriges orientalisches Blätterteiggebäck, mit Nussfüllung und Zuckerschockgarantie, nach dem traditionellen Rezept seiner Heimatstadt Gaziantep, also mit Pistazien.

Seit er acht ist, backt Cali praktisch jeden Tag Baklava. Wer sein Gebäck einmal gekostet hat, kann so schnell nicht mehr aufhören. Es schmeckt nicht einfach süß, sondern intensiv nach süßen Pistazien.

In der weiß gefliesten Backstube ist es warm, fast 30 Grad, und es duftet nach Blätterteig, über den Arbeitsflächen aus Edelstahl liegt eine feine weiße Schicht aus Mehl und Maisstärke. Cali zieht an einem hauchdünnen, handtuchgroßen Stück Teig, das zwischen seinen Händen hängt. „Man muss die Finger dahinter sehen“, sagt er mit ernster Miene und zieht weiter, wie ein Marionettenspieler.

Als er nach langen Minuten zufrieden scheint, hält er prüfend eine Hand hinter den Teig, bevor er die Schicht vorsichtig um eine lange Holzstange wickelt. Er macht gerade Dürüm, Blätterteigröllchen, eine von vielen Baklava-Spielarten. Als Cali eine Stunde später das nächste Teighandtuch um den Stab wickelt, schnauft er, wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn: „Keine Arbeit für Frauen.“ In der Türkei backen fast ausschließlich Männer Baklava.

Es piept, die erste Ladung ist fertig. Cali holt ein Blech aus dem Edelstahlofen, schneidet Rauten in den hellbraunen Teig, schöpft dann mit dem Messbecher blubberndes Zitronenzuckerwasser aus einem Blechfass, das auf dem Gaskocher steht, und gießt den dampfenden Sirup über die Baklava. Der Duft des Teigs mischt sich verführerisch mit dem des Zitronen-Zucker-Safts.

Als Cali das nächste Blech aus dem Ofen holt, flüstert er: „Das Geheimnis sind die Pistazien.“ In sein Baklava steckt er ausschließlich solche aus Gaziantep. Obwohl sie im Berliner Großmarkt fast doppelt so viel kosten wie die günstige Konkurrenz aus dem Iran. Cemil Solak, Osman Calis Partner und bester Freund, erklärt jetzt in der Backstube, bei Pistazien verhalte es sich ähnlich wie beim Wein. Es gebe riesige Qualitäts- und Geschmacksunterschiede zwischen Sorten und Anbaugebieten. Die Pistazien aus Antep seien einfach die besten, „süß, sehr Pistazie, kein bisschen salzig“.

In Gaziantep, etwa eine Stunde von der syrischen Grenze entfernt, findet man sie überall, beim Kebab, auf der Lahmacun, der türkischen Pizza, im Eintopf. In der Region liegt eines der größten und ältesten Pistazienanbaugebiete der Türkei. Die Bäume wachsen am liebsten auf kargen Böden, dort, wo sonst kaum etwas gedeiht, sie lieben heiße, trockene Sommer und kühle, trockene Winter – Gaziantep bietet ihnen beste Bedingungen. Pistazien heißen auf türkisch deshalb auch Antep Fistigi, Steinfrüchte aus Antep.

Baklava findet man fast überall auf dem Balkan und im Orient. Dass jenes aus der Region Antep etwas Besonderes ist, hat die Europäische Union gerade bestätigt: Kurz vor Weihnachten erhielt das Gebäck als erstes türkisches Produkt das europäische Qualitätssiegel „geschützte geografische Angabe – g.g.A.“. Es garantiert, dass die Pistazien in Gebäck, das sich „Antep-Baklava“ nennt, tatsächlich aus der Gegend um Gaziantep stammen.

In der türkischen Ursprungsgeschichte haben die Osmanen Baklava erfunden und mit der Expansion ihres Reichs verbreitet. Die Armenier hingegen behaupten, sie hätten es schon im 10. Jahrhundert gebacken, also mehr als 400 Jahre vor Gründung des Osmanischen Reichs. Die Osmanen hätten es dann bei ihnen probiert und sofort begeistert übernommen. Auch der Ursprung des Namens ist ungeklärt. In Armenien heißt es, das Wort sei eine Zusammensetzung aus den Begriffen „süß“ und „Fasten“. In der Türkei heißt es, der Begriff stamme vom mongolischen Wort für „Wickeln“, das im Osmanischen übernommen wurde. Sicher ist: Der Orient mag es sehr süß. Wieso, ist nicht genau geklärt.

In Berlin dominieren die türkischen Baklava-Bäcker den Markt, genau genommen die aus Gaziantep. Beim Berliner Kulturverein der Region Gaziantep heißt es, fast alle Baklava-Bäcker in Berlin kämen aus Antep. Dort, in der steinernen Altstadt, die sich um eine Zitadelle drängt, riecht es fast permanent und überall wie in Cemil Solaks Neuköllner Backstube: nach Blätterteig, Zucker-Zitronen-Saft und Pistazien.

Solak kam vor sieben Jahren von Gaziantep nach Berlin, um eine Deutschtürkin aus Neukölln zu heiraten. Sein Ruf eilte ihm voraus, schon vor seiner Ankunft hatte er einen Job in einer Backstube in der Sonnenallee. Auch die anderen Kollegen stammten aus Gaziantep, so wie das Rezept. Die Pistazien allerdings kamen aus dem Iran – wie in den allermeisten Berliner Backstuben.

Kaum ein halbes Jahr arbeitete er an der Sonnenallee, da heiratete auch sein bester Freund, Feinbäcker Osman Cali, eine Neuköllner Deutschtürkin. Die beiden beschlossen, eine eigene Backstube zu eröffnen, in der sie die Qualitätsansprüche der Heimat wahren wollten.

Sie erfanden ein pistaziengrünes Logo und den Firmennamen Antepliogullari Baklavacisi, Söhne von Gaziantep. Die Arbeitsaufteilung war schnell klar: Solak, der schon ein wenig mehr Berlin-Erfahrung hatte, sollte die Kunden- und Zuliefererkontakte knüpfen und pflegen, Cali würde in der Backstube stehen. Aus diesem Grund ist Solak heute übrigens der einzige der vier Männer in der Backstube, der ein wenig Deutsch spricht.

Zunächst verkauften die Söhne von Gaziantep ihr Gebäck an die türkischen Großmärkte Eurogida und im Restaurant „Antep Sofrasi“ am Kottbusser Damm, das Spezialitäten aus Gaziantep serviert. Seit vier Jahren besitzen die beiden auch ein eigenes kleines Café mit pistaziengrünen Wänden in der Hermannstraße 64. Dort bekommt man zu den süßen Baklava bitteren Mokka oder starken Schwarztee.

Jeden Tag gegen zwölf liefert Solak die frischen Baklava hier an. Meist wartet dann schon mindestens eine türkische Hausfrau auf ihn, an Feiertagen sind es mehr, während des Fastenmonats Ramadan kann sich auch mal eine Schlange bilden. Türken essen Baklava täglich, zum Tee oder zum Kaffee, zu jeder Tages- und Nachtzeit, als Nachtisch oder als Snack, in den Ramadan-Nächten oder an muslimischen Feiertagen in rauen Mengen.

Heute wartet nur eine einzige ältere Dame im kargen Verkaufsraum. Es ist Monatsende. Niemals würde sie Baklava zu Hause machen, sagt sie, „viel zu schwere Arbeit, Männerarbeit“. Sie bestellt ein Kilo Antep-Baklava zum Mitnehmen und ein dunkelgrünes Stück auf die Hand, ein Glas ungesüßter Schwarztee steht schon vor ihr. Als sie abbeißt, schließt sie die Augen. Es knackt leise. Dass das Kilo Baklava der Söhne Gazianteps durchschnittlich mit 17,50 Euro etwas teurer ist als anderswo, hält sie nicht ab, aus Schöneberg bis in die Hermannstraße zu fahren. „Die Baklava sind einfach die besten, die ich bisher entdeckt habe.“

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