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© Peter Badge

John Nash im Sonntagsinterview: "Einstein sagte zu mir: Du musst noch viel lernen"

In Princeton ließen sie ihn spinnen, nachts schrieb er seltsame Formeln an Tafeln. Das, sagt John Nash, habe die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen gebracht.

Mr. Nash, die Welt erlebt eine der schwersten Wirtschaftskrisen der Geschichte. Man sagt, Banken und Manager hätten sich verzockt. Ist die Wirtschaft vor allem ein Spiel?

Menschen gehorchen denselben Regeln, wenn sie spielen und wenn sie wirtschaftliche Entscheidungen treffen. Man kann an der Börse gewinnen oder verlieren. Man kann auf steigende und fallende Preise spekulieren.

Brauchen wir also bessere Regeln für das große Spiel der Wirtschaft?

Es ist offensichtlich, dass Regeln gut sein können. Ich denke an Drogenverbote. Man kann auch Regeln erlassen über die Qualität von Lebensmitteln. Oder für den Flugverkehr. Wenn es da keine Regeln gäbe, käme es zu allen möglichen Zusammenstößen. Aber Regeln sind nicht an sich gut. Wäre es besser, mehr Polizisten in der Stadt zu haben? Man könnte Kriminalität vielleicht verhindern, indem man jeden als Polizisten anstellt. Aber was würde dann noch produziert?

Sie haben 1994 den Nobelpreis für die Entdeckung des Nash-Equilibriums erhalten, die sie bereits 1950 in Ihrer Doktorarbeit gemacht hatten. Danach tritt in einem Spiel ein Gleichgewicht ein, wenn jeder Spieler die Strategie verfolgt, die für ihn persönlich am besten ist.

Ja, aber das kann trotzdem die schlechteste Lösung sein. Das klassische Beispiel ist das Gefangenendilemma: Zwei Verbrecher, denen man ohne ein Geständnis nur Waffenbesitz nachweisen kann, werden von der Polizei getrennt verhört. Wenn sie beide dichthalten, kriegen sie nur eine geringe Strafe, aber wenn einer gegen den anderen aussagt, kommt er frei und der andere ins Gefängnis. Obwohl es für beide besser wäre, wenn sie nicht aussagen würden, ist für den einzelnen Spieler die beste Strategie, gegen den anderen auszusagen. Am Ende sagen beide aus und kommen hinter Gitter.

Vorausgesetzt, sie können sich nicht absprechen.

Genau. Das Nash-Equilibrium bezieht sich auf nichtkooperative Spiele wie etwa Pokern. Das ist die Unterscheidung, die ich damals getroffen habe. Die Spieler sind also auf sich gestellt. Jeder stellt sich vor, was die anderen machen, und am Ende kommt ein Gleichgewicht heraus. Bei Spielen, wo alle miteinander kooperieren, kann ein besseres Ergebnis herauskommen. Das ist wie ein Kartell: Wenn Daimler und BMW eines bilden würden, könnten sie möglicherweise mehr Geld machen als unabhängig voneinander.

Spielen Sie gerne, Herr Nash?

Auf dem Computer spiele ich vor allem ein Spiel, das Minesweeper heißt. Das kann man wenigstens gewinnen. Bei manchen Kartenspielen, Solitaire etwa, finde ich es fast unmöglich zu gewinnen.

Sie haben selbst Spiele erfunden. Eines heißt Hex…

Nein, ich habe Hex nicht wirklich erfunden. Ich habe es wiederentdeckt. Die elektrische Glühbirne wurde auch ein paar Mal erfunden. Ich war Student in Princeton und suchte ein Spiel, bei dem man mathematisch beweisen kann, dass der Spieler, der als Erster zieht, mit der richtigen Strategie immer gewinnt.

"Wie ein Mensch redet, entscheidet darüber, ob er depressiv, paranoid, schizophren oder alles zusammen ist"

Nach der Schule haben Sie Chemie studiert und sind dann zur Mathematik gewechselt. Einstein hat einmal gesagt, Mathematik sei die Poesie der Logik.

Die Mathematik ist eine schöne abstrakte Wissenschaft. Mein Vater war Elektroingenieur. Ich dachte, ich würde das auch studieren. Aber ich mochte nicht, dass man zeichnen musste. Ein anderer Zufall ist, dass ich begann, Deutsch zu lernen. Da lernte ich Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie kennen und kam in Kontakt mit Mathematikprofessoren am Carnegie Institute for Technology in Pittsburgh. Die meinten, dass man auch in der Mathematik Karriere machen kann.

Ihr Professor im Carnegie Insitute, Professor Duffin, schrieb Ihnen eine Empfehlung, als Sie sich für Princeton bewarben. Darin stand nur ein Satz: „Dieser Mann ist ein Genie.“

Das stimmt nicht ganz. Mr. Duffin hat geschrieben: „Dieser Mann ist ein mathematisches Genie.“ Ich habe den Brief selbst nie gesehen. Aber er hat es mir gesagt, kurz bevor er starb.

Als Sie 1948 nach Princeton gelangten, arbeiteten dort Mathematik-Stars wie Einstein und John von Neumann.

Das war sehr stimulierend.

Sie galten sofort als Einzelgänger. Als fachlich brillant, aber auch als arrogant und sogar als kindisch.

Wenn man sich in einem Feld besser auskennt als alle anderen, dann fühlt man sich automatisch überlegen. Ich war keine perfekte Persönlichkeit.

Sie haben Albert Einstein getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?

Ich hatte eine Idee entwickelt, die mit Physik zu tun hatte, mit der Ausdehnung des Universums und der Gravitation. Ich dachte, das könnte Einstein interessieren.

Hat das Mut gekostet, zu ihm zu gehen?

Ja, natürlich. Er hatte eine gewisse Offenheit, man konnte auf ihn zugehen. Aber er war kein Kindergärtner. Er sagte: Wenn du das wirklich weiterentwickeln willst, musst du noch viel lernen.

Angeblich lasen Sie nicht und gingen nicht zu Vorlesungen. Sie kamen intuitiv zu Ihren Ergebnissen?

Es war nicht intuitives Denken, nur unabhängiges.

Es wird behauptet, Sie könnten ganze Sonaten von Bach pfeifen, Herr Nash.

Das kann ich nicht mehr, die Muskeln, wissen Sie. Aber ich habe gerne Melodien von Bach gepfiffen, nur: Die habe ich leider vergessen.

Als Sie 30 waren, wurde bei Ihnen paranoide Schizophrenie diagnostiziert.

Die Diagnosen werden nach Gesprächen gemacht. Denken Sie darüber nach: Menschen können reden. Und wie ein Mensch redet, entscheidet darüber, ob er depressiv, paranoid, schizophren oder alles zusammen ist. Aber bei einem Hund könnte ein Psychiater zum Beispiel nur Depression feststellen, wenn er seinen Schwanz nicht richtig hält.

Hatte ihre Schizophrenie etwas mit Ihrer Originalität zu tun?

Was war das erste Zeichen, dass etwas nicht stimmt?

Ich fing an, mir Sorgen zu machen, wie andere Menschen denken und was sie über mich denken. Einmal dachte ich, es müsste doch einen Grund dafür geben, dass viele Menschen rote Fliegen tragen. Ich glaubte, es gebe eine Art kommunistische Untergrundorganisation. Aber keine normalen Kommunisten, sie arbeiteten nicht für die Armen, sondern seien eine Art Partei wie im Buch „1984“ von George Orwell. Und ich dachte, viele Akademiker benähmen sich nicht richtig und wären verbündet mit geheimen Organisationen.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen der Paranoia in den 50er Jahren und Ihrer eigenen? Viele Menschen hatten damals krankhafte Angst vor den Kommunisten. Diese Angst wurde von der Politik befeuert, etwa durch den McCarthy-Ausschuss.

Ja und einige der Leute am MIT wurden unter die Lupe genommen.

Als Sie behandelt wurden, war nicht viel über Schizophrenie bekannt. Man betrachtete die Krankheit unter den Vorzeichen der Freud’schen Theorien als psychologische Störung, aber nicht als organischen Defekt. Wie hat Sie die Behandlung beeinträchtigt?

Die Behandlung bestand einfach nur aus der Einlieferung ins Krankenhaus, was nicht so schlecht war, weil ich die Umgebung wechselte. Ein gutes Hospital könnte mit einem Ferienressort verglichen werden, es muss nicht unbedingt eine Misshandlung stattfinden.

Aber Sie waren unfreiwillig dort, Ihre Frau ließ Sie einliefern.

Manchmal bekam ich Schock-Behandlungen. Meine Frau holte mich ja später auch wieder da raus.

Stimmt es, dass die Eingebungen, die Sie zur Lösung mathematischer Probleme führten, auf die gleiche Weise zu Ihnen kamen wie Ihre Halluzinationen?

Ein Kollege aus Harvard besuchte mich in einer Klinik in der Nähe von Boston und fragte mich, wie ich diese verrückten Dinge denken könnte, sie seien doch völlig irrational und unlogisch. Ich sagte, dass diese Ideen die gleiche Quelle hätten wie meine mathematischen Ideen. Sie waren spontan. Klar kann man da mit Vernunft drangehen und sagen, dass das völlig unlogisch ist. Aber ich ging von falschen Prämissen aus, und man kommt immer zu unlogischen Schlussfolgerungen, wenn die Prämissen nicht stimmen. Man muss im Leben wie in der Wissenschaft immer seine Grundannahmen überprüfen.

Glauben Sie, dass ihre Schizophrenie etwas mit Ihrer Originalität zu tun hatte?

In der High-School war ich nicht der beste Schüler, aber ich galt als der originellste. In der vierten Klasse beschwerte sich eine Lehrerin bei meiner Mutter darüber, dass ich Mathematik nicht beherrschen würde. Da lachte meine Mutter und sagte, dass ich es halt anders machen würde als die anderen Kinder. Das ist ja oft das Problem bei Begabten: Sie haben andere als die vorgegebenen Lösungswege und werden deswegen nicht verstanden oder sogar diskriminiert.

Nach 30 Jahren, Ende der 80er Jahre, überwanden Sie Ihre Schizophrenie. Wie?

Ich glaube, es hatte viel damit zu tun, dass ich in diesen 30 Jahren auf dem Campus in Princeton toleriert wurde. Ich konnte dort umherlaufen und spinnen. Unter den Studenten galt ich als Phantom, denn viele wussten nicht, wer ich war. Aber meine alten Kollegen protegierten mich. In gewisser Weise gehörten ja unkonventionelles Denken und Auftreten auch zu Princeton. Ich durfte während des Unterrichts in die Klassenräume gehen, ich schrieb nachts sinnlose Formeln und seltsame Sätze an die Tafeln. Nach vielen Jahren wurden dann die Stimmen in meinem Kopf schwächer, und ich kehrte langsam zum rationalen Denken zurück.

Nahmen Sie Medizin?

Nur, wenn ich ab und zu in eine Klinik musste, weil die Symptome zu stark wurden.

Gab es so etwas wie einen Wendepunkt?

Nein, es war so, als ob Sie einem Kult angehören und mit den Jahren entfernen Sie sich immer weiter von ihm. Am Ende nabeln Sie sich ganz ab und fragen sich, wie Sie jemals an diesen Kult glauben konnten und sich verführen ließen. Allerdings hängt es auch immer von gesellschaftlichen Übereinkünften ab, was als verrückt gilt und was nicht. Schauen Sie sich doch nur die katholische Kirche und ihre Wunder an. Man kann offen sagen, dass man daran glaubt, und dennoch ernst genommen werden. Was ich sagen will, ist, dass allgemein akzeptiertes Denken nicht unbedingt etwas mit Rationalität zu tun haben muss. Die Realität ist immer eine Art von Fiktion, der alle zustimmen.

"Man kann sich immer schuldig fühlen."

In dem Film „A Beautiful Mind“, der 2001 über Ihr Leben gedreht wurde und den Oscar gewann…

…ich konnte diesen Film nicht sehr genießen. Aber ich verstand, warum er, um bei den Massen erfolgreich zu sein, so kitschig gemacht wurde. Der Drehbuchautor ist sehr kreativ, er hat viel Fantasie.

Erkannten Sie sich in dem Schauspieler Russell Crowe wieder, der Sie verkörpert?

Nein, doch das sagt nichts über seine Schauspielkunst aus. Es ist wie beim Malen. Man erkennt sich nicht unbedingt in einem Gemälde wieder. Selbst auf Fotos findet man sich oft genug nicht richtig getroffen.

Das Happy End im Film ist erreicht, als Sie den Nobelpreis gewinnen und eine Rede halten, in der Sie Ihrer Frau für ihre Liebe danken.

Ja, ja, sehr unhistorisch. Vor dem Nobelpreiskomitee hält man eine Art wissenschaftlichen Vortrag. Aber ich sprach nicht, wohl weil man dachte, ich sei psychisch nicht stabil. Ich sagte aber später auf einem Empfang, dass ich hoffte, der Nobelpreis würde meinen Ruf bei den Kreditkarteninstituten verbessern. Und dass ich zwar froh sei, den Preis mit zwei anderen Wissenschaftlern zu teilen, dass ich aber das ganze Preisgeld sehr gut hätte gebrauchen können.

Bevor Sie den Nobelpreis erhielten, wurden Sie begutachtet, ob Sie in der Lage seien, den Preis entgegenzunehmen. Verletzte Sie das?

Nein, ich habe das kaum mitbekommen. Ich kann es auch verstehen.

Herr Nash, Ihr Kollege John von Neumann, der auch an der Spieltheorie arbeitete, sagte, dass man in der Mathematik die Dinge nicht versteht, sondern dass man sich nur an sie gewöhnt.

Ja, das kann man sagen. Man kann zwar Entdeckungen machen, aber es sind Tautologien in dem Sinne, dass es Wahrheiten sind, die schon da waren, bevor sie entdeckt wurden.

Sie machen also keine Erfindungen, sondern bloß Entdeckungen.

Genau.

Wir sind hier im Salon des Café Einstein. Wie arbeiten Sie zuhause? Sitzen Sie am Schreibtisch und denken kräftig nach, oder wie läuft das?

Man kann auch durch den Wald spazieren. Früher verbrauchte ich immer sehr viel Papier, es diente mir sozusagen als Verlängerung meines Gehirns. Das macht heute der Computer.

Sie haben sich nach vielen Jahren mit Ihrem erstem Sohn John Stier wiedergetroffen, den Sie als 25-Jähriger mit der Krankenschwester Eleanor Stier gezeugt hatten. Sie wollten Frau Stier damals nicht heiraten und ließen sie sitzen. Hatten Sie Schuldgefühle?

Man kann sich immer schuldig fühlen. Ich habe aber nicht John abgelehnt, sondern die Heirat mit seiner Mutter. In der Bibel liest man über die verschiedenen Formen der Ehe. Die Mormonen haben auch andere Formen des familiären Zusammenlebens entwickelt. Ich denke nur darüber nach, wie andere Formen sozialer Praktiken das Leben vereinfachen könnten.

Haben Wissenschaftler moralische Obligationen? Einstein etwa fühlte sich schuldig, weil seine Entdeckungen zur Entwicklung der Atombombe beitrugen.

Mein Nash-Equilibrium wurde zum Beispiel benutzt, um im Kalten Krieg das Gleichgewicht der Abschreckung herzustellen, etwa das der strategischen Bomber. Aber in meinem Spektrum kommt die Frage der Moral nicht wirklich auf.

Sie haben den USA viel Geld eingebracht. Als dort die Rundfunklizenzen versteigert wurden, hat man es nach Erkenntnissen Ihrer Spieltheorie gemacht.

Ich hätte viel Geld verdienen können, wenn ich in der Beraterbranche tätig gewesen wäre.

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