Kolumne: In fremden Federn: Eine Herberge mit Seele
Als Touristin in der eigenen Stadt: Wer heute Riehmers Hofgarten betritt, steht mit einem Bein im 19., mit dem anderen im 21. Jahrhundert.
Es war einmal ein Ensemble, die prächtigste Wohnanlage von ganz Berlin. Wer Riehmers Hofgarten betrat, tauchte ein in herrlichste Gründerzeit. Kopfsteinpflaster, alte Laternen, üppige Fassaden – ein Hof, anders als alle anderen Höfe an der Spree, bei Künstlern und Kulturschaffenden besonders beliebt.
Wer heute den riesigen Komplex betritt – was viele tun, dient er doch als Abkürzung zwischen Yorck- und Hagelberger Straße, steht mit einem Bein im 19., mit dem anderen im 21. Jahrhundert. Der riesige Baukran weist darauf hin. Die übliche Geschichte: Investoren kaufen, teilen den Kuchen unter sich auf, Luxussanierung, Mieter müssen gehen, neue kommen.
Nicht verzagen. „Köfte gut, alles gut“, verspricht der Kebabladen an der Yorckstraße, zusammen mit „einem schmackhaften Dönererlebnis“. Also steigt man über den toten Fernseher, den jemand vor einem leeren Laden abgeworfen hat, und begrüßt alte Kreuzberger Bekannte. Das Yorck Kino zur Linken des schmiedeeisernen Hoftors, das Hotel Riehmers Hofgarten zur Rechten. Eine Herberge mit Seele.
Seit 20 Jahren wartet Herr Krause hinterm Tresen
Für Besucher wird der rote Teppich ausgerollt, „Herzlich willkommen“ steht darauf. Seit 20 Jahren wartet Herr Krause, der freundliche Empfangschef, hinterm Tresen. Im Berliner Gastgewerbe eine ganze Ewigkeit. Er kennt die Namen der Stammgäste, so wie diese den Weg durchs historische Treppenhaus, in den goldenen Spiegeln erkennen sie sich selbst. Überhaupt gibt es viel zu gucken: hinten der Hofgarten, vorne das Rathaus, an der alten Zimmerwand Berliner Kunst. Die Gäste, erzählt Herr Krause, mögen es, zu wissen, wo sie sind. In einem alten Berliner Haus, anstelle durchgestylter Räume eklektische Möblierung. Kein Wunder, dass Familie Walser so gern hier absteigt, Oberhaupt Martin hat das Hotel in einem Roman verewigt.
So noch nie gegessen
Hunger. Der Betreiber des „E.T.A. Hoffmann“ hat aufgegeben, immer nur ein Mietvertrag auf drei Monate, das war ihm zu unsicher. Das „Riehmers“ an der Rückseite des Hofgartens hat Ruhetag, zurück zur Yorckstraße, zur Bar Centrale, gibt’s auch schon immer, eine Empfehlung des Hotels. Gemächlich bewegt sich die Wirtin durch den Raum, rückt Gläser und Brotkorb zurecht, als könne sie nichts erschüttern. Paolo Conte schmachtet, der Gast seufzt, selig. Pilze, Sellerie, Pinienkerne und Parmesan, so noch nie gegessen. Ganz schlecht kann die Welt nicht sein.
Der Verdauungsspaziergang führt an weiteren Oldies vorbei, dem Café Wirtschaftswunder, dem Yorckschlösschen. „Salve!“ steht auf dem Bodenmosaik in Riehmers Hofgarten: Bleibt gesund!