Interview zur Ausstellung im C/O Berlin: Ein Fest für die Augen
Wie sich die Sicht aufs Essen verändert, zeigt die Ausstellung „Food for the Eyes“ (noch bis 7.9.). Ein Gespräch mit Kuratorin Ann-Christin Bertrand.
Frau Bertrand, Sie haben soeben die Ausstellung „Food for the Eyes“ für C/O Berlin mit kuratiert. Darin zeigen Sie alle Fotografie-Stars des 21. Jahrhunderts: Wolfgang Tillmans, Cindy Sherman, Nan Goldin, Irving Penn, Martin Parr. Keiner von ihnen ist für seine Fotografien von Essen bekannt. Warum haben Sie sich dafür interessiert?
Essen ist ja allgegenwärtig. Es ist ein essenzielles Bedürfnis des Menschen. Das ist einerseits banal, andererseits dockt Essen an hohe Bedürfnisse an, es ist Teil unserer Kultur, Traditionen, Rituale und sogar der Religion. Essen sagt viel über die Gesellschaft einer bestimmten Zeit aus. Zurzeit ist es wieder sehr wichtig geworden, nicht nur die Erfüllung eines Grundbedürfnisses, sondern Ausdruck eines Lifestyles. Essen und Fotografie rücken noch näher zusammen als jemals zuvor.
Die ersten Bilder von William Fox Talbot und Roger Fenton aus dem 19. Jahrhundert sind schwarz-weiße Stillleben, die an die Kompositionen der Malerei erinnern.
Zu Anfang war die Fotografie ja noch gar nicht als Kunst anerkannt, sondern diente der Wissenschaft als Mittel der Dokumentation. Um klarzumachen, dass es sich um Kunst handelt, hat Fenton die Ecken seines Bildes oben abgerundet. Die ersten Fotografen haben sich noch bei allegorischen Anspielungen aus der Malerei bedient: Der Pfirsich steht für Fruchtbarkeit, die Trauben für den Gott Dionysos, also die Fülle.
Ist nicht jedes Essen, das heute auf Instagram gepostet wird, auch ein Stillleben?
Absolut. Das sind Stillleben der Gegenwart. Und nehmen Sie das Kopenhagener Restaurant „Noma“, dort werden die Teller selbst schon wie Gemälde konzipiert, eben weil der Koch weiß, dass alle mit Kameras dasitzen. Das Reale passt sich also schon den Bedürfnissen der Fotografie an.
Ein Koch fürchtete einmal, die schmackhaftesten Gerichte könnten auf lange Sicht verschwinden: Schmorgerichte, Gulasch, Eintöpfe. Weil sie leider aussehen wie undefinierbarer Brei.
Das ist gut möglich. Die Gerichte für das Kochbuch des „Noma“ werden zum Beispiel gemeinsam mit der Fotografin und dem Koch entwickelt.
Wer profitiert da eigentlich von wem für seine Kunst?
Das kann man gar nicht mehr klar trennen, dieses Wechselspiel findet inzwischen überall statt, nicht nur in der Spitzengastronomie. Neulich war ich in der „Pizzeria Standard“ essen, dort saßen zwei Eltern mit ihren erwachsenen Kindern, so Mitte zwanzig. Die Kinder haben erst einmal ausgiebig aus allen Winkeln ihr Essen fotografiert, während die Eltern schon die halbe Pizza aufgegessen hatten. Auch ich erwische mich dabei: Wenn ich einen wunderschön hergerichteten Teller serviert bekomme, fange ich an, den abzufotografieren.
Warum?
Ich glaube, dass Essen und Fotografie eine so enge Verbindung haben, weil beide Medien die Möglichkeit bieten, die Zeit anzuhalten und Erinnerungen zu schaffen. Es geht bei beiden um den Moment. Visuelle Medien werden wie Essen zur Kommunikation verwendet.
Wie meinen Sie das?
Wie ist denn das gemeinsame Essen entstanden? In dem Moment, als man wusste, wie man Feuer macht. Fortan haben Menschen gemeinsam darumgesessen, haben ihre Sachen gegart oder auch nur gegessen und sich unterhalten.
Wenn der Bilderaustausch heute im Netz stattfindet, sind dann nicht die sozialen Medien das Feuer der Gegenwart?
Auf solche Fragen zielt die Ausstellung ab: Es geht um eine poetische, freudvolle Auseinandersetzung mit dem Essen und der Fotografie.
Trotzdem zeigen Sie viele Bilder, die nicht gerade appetitlich aussehen: Cindy Shermans Nahaufnahmen von etwas, das wie Erbrochenes aussieht. Martin Parrs Bilder von den Fast-Food-Orgien der britischen Arbeiterklasse …
Das stimmt. Und viele Künstler arbeiten sehr bewusst mit diesem Widerwillen. Nobuyoshi Araki zum Beispiel, dessen Thema Sex ist. Er schafft es, auch das Essen visuell anziehend, aber gleichzeitig abstoßend zu fotografieren. Sein glibberiges Ei aus der Nahsicht ist nicht nur lecker. Natürlich wird von Künstlern die „appetitliche“ Darstellung des Essens gebrochen, um auf Klischees hinzuweisen.
Welche sind das?
In den Kochshows der 50er, 60er Jahre zum Beispiel war ja immer nur die Frau in der Küche zu sehen, unterstützt von ihren neuen Geräten. Deren Hersteller haben dann Kochbroschüren herausgegeben, die wir ebenfalls zeigen: die Mutter mit Schürze hinter ihrem Herd, die Spießbürgerlichkeit springt einem förmlich entgegen. Erstrebenswert waren tidy homes, tidy lifes. Auch das Essen hat sich in dieser Zeit gewandelt, es gab mehr Fertig- und erste Tiefkühlprodukte. Schon in diesen Bildern ging es nicht mehr um den Geschmack des Essens, sondern darum, einen Lebensstil, einen Status zu transportieren.
Instagram ist heute auch ein Statusanzeiger für das Leben, das man führt. Man muss es sich leisten können, jeden Abend irgendwo anders essen gehen zu können.
Allerdings. Wenn Sie sich zum Beispiel Nickolas Muray anschauen, der ab Ende der 30er Jahre in den USA fotografiert hat ...
… üppige Tableaus von reich gedeckten Tafeln.
Bei ihm geht es nicht so sehr um das Gericht selbst, sondern um den visuellen Eindruck von Fülle und Leichtigkeit. Muray arbeitet mit einer hochaufwendigen Technik, die fast schon das Technicolor-Gefühl des Films erweckt. Im Original sind seine Bilder unglaublich, die leuchten fast aus sich heraus. Man darf nicht vergessen, dass nach der Weltwirtschaftskrise die Härten des „New Deal“ überstanden waren. Gerade eben erst hatten Fotografen noch die erschütternde Armut festgehalten. Mit Muray kam die Fülle zurück. Und er hat eingesetzt, was wir heute als Food Styling bezeichnen: Erstmals kamen ganze Teams zusammen, die das Essen präparierten. Damit es auch nach Stunden unter den heißen Studiolampen nicht zusammenfiel, wurde Haarspray verwendet, das Essen selbst war gar nicht mehr genießbar.
Die Fülle ist ja schon in den 70ern wieder infrage gestellt: Sie zeigen zum Beispiel die Weight-Watchers-Rezeptkarten. Als Weight Watcher sucht man doch die Beschränkung.
Aber nicht fotografisch! Die Bilder sind vollkommen durchinszeniert, großartig, künstlich. Etwa die komische „Inspiration Soup“, die sieht so unappetitlich aus und ist kombiniert mit Regenbogen-Kerzen. Die Dekoration hat mit dem Essen selbst nichts zu tun.
Wie konnte ein Turm aus Frankfurter Würstchen jemals attraktiv erscheinen?
Das weiß ich auch nicht. Diese Karten sind eher Ausdruck der sich ändernden Gesellschaft in den 70ern: der Glaube daran, dass man seinen Körper über das Essen kontrollieren konnte und wollte.
Und Kontrolle wird umso wertvoller, je größer die Fülle ist.
Eben. Erst Anfang der 2000er ging es wieder um Natürlichkeit, dass man das Essen sieht, das man tatsächlich isst. Es hieß plötzlich, jeder sei ein Koch. Man wollte lässig, natürlich, leicht kochen. Jamie Oliver und Donna Hay vertraten das. Köche fingen an, komplette Kochbuch- und Produktlinien zu entwickeln. Ich muss gestehen, auch ich habe die Backformen von Cynthia Barcomi zu Hause.
Wenn Köche zu Marken werden, geht es gar nicht mehr darum, wie gut die Tomatensoße von Jamie Oliver wirklich ist?
Sondern um die Frage, wie eine Gesellschaft lebt. In den 50ern wollte man den Frauen mit Geräten und Fertigprodukten die Arbeit in der Küche erleichtern. Modernität wurde in neuen Produkten gefeiert.
Das ist ja heute nicht weg. Es heißt bloß Thermomix.
Letzten Endes gibt es nie das komplett Neue.
In den 70ern formten Fischli und Weiss aus Wurst Figuren. Und Sie zeigen das Bild von Helmut Newton mit der Hand im Hühnchen, extrem sexualisiert.
Die Wahrnehmung wechselt zwischen Ästhetik und Abscheu. Daneben zeigen wir „Meat Joy“ von Carolee Schneeman von 1964: Wenn man das heute guckt, denkt man, was leben wir heute in prüden Zeiten! Schneemann arbeitet mit der Wahrnehmung des Körpers aus emanzipatorischer Perspektive und veranstaltete eine Performance, bei der die Teilnehmer in einer Mischung aus Tanz und Orgie mit Fleisch interagierten, mit Fischen und Hühnern, also toten Tieren und Blut. Ich bin gespannt, wie die Besucher heute darauf reagieren.
Sie zeigen auch viele Kochbücher, obwohl die ja keine Kunst sein wollen.
Das ist nur bedingt wahr. Mit der Digitalisierung hat das Internet eine extreme Konkurrenz zum Kochbuch aufgebaut. Auch ich gucke, was noch im Kühlschrank ist, und google schnell, welche Rezepte ich damit kochen kann. Darauf, dass es Rezepte jetzt einfach im Netz gibt, mussten die Kochbücher reagieren. Deshalb sind sie jetzt eher zu Coffeetable-Books geworden. Sie sind Fetisch-, sogar Sammlerobjekte geworden. Auch ich habe Nigel Slater zu Hause und Ottolenghi, und ich nehme die zur Hand, weil ich sie schön finde, nicht, weil ich daraus koche. Ab den 90ern wurde auch die Food-Fotografie künstlerisch anerkannter. Berühmte Fotografen wie Joel Meyerowitz haben Kochbücher fotografiert, dadurch kam es noch einmal zu einer Wertsteigerung.
Frau Bertrand, was war das letzte Gericht, das Sie selbst fotografiert haben?
Das können wir eben nachgucken. Ich habe zuletzt das „Baldon“ ausprobiert, ein neues Restaurant in Wedding. Oder nein! Hier, ich habe tatsächlich mein eigenes Essen zuletzt fotografiert, im aktuellen Stil.
Grüner Spargel, frische Erbsen ...
Mein Lieblingssalat.
Infos zur Ausstellung und zum Begleitprogramm
Die Institution C/O Berlin präsentiert vom 8. Juni bis 7. September die Ausstellung „Food for the Eyes – Die Geschichte des Essens in der Fotografie“ (im Amerika Haus, Hardenbergstr. 22–24, Charlottenburg, tägl. 11–20 Uhr, Eintritt 10 Euro). Gezeigt werden unter anderem Werke von Nobuyoshi Araki, Peter Fischli, Nan Goldin, Martin Parr, Irving Penn, Cindy Sherman und Wolfgang Tillmans. Die Ausstellung wird begleitet von ganz besonderen kulinarischen Veranstaltungen. Hier eine kleine Auswahl. Das komplette Programm und Online-Tickets unter co-berlin.org.
Breakfast Club
Frühstück und Führung durch die Ausstellung. Termine: 8. Juni, 13. Juli, 17. August, 7. September, je ab 10 Uhr. Ticket 22 Euro.
After-Work-Führung & Drink
Wie der Name sagt: Führung plus Aperitif. 20. Juni, 18. Juli, 8. und 29. August je 19 und 19.30 Uhr, Ticket 17 Euro.
Food-for-the-Eyes-Sommerkino
Am 26. Juni wird der Film „Sideways“ gezeigt, davor Gespräch mit Ann-Christin Bertrand und Thomas Struck, danach Pinot- Noir-Verkostung mit „Goldhahn und Sampson“. Beginn 18.30 Uhr, Ticket 39 Euro inkl. Aperitif, Film, Wein und Fingerfood.
Am 30. Juli kocht Tim Raue nach dem Film „Eat Drink Man Woman“ live ein Menü. Beginn 19 Uhr, Ticket 95 Euro inkl. Ausstellung, Film und Dinner mit Weinbegleitung.
„eat! Berlin“-Gastspiel
Dinnerabend mit Vier-Gänge- Menü von Sebastian Frank, Marco Müller und Max Strohe. Beginn 18.30 Uhr, Reservierung über eat-berlin.de, Ticket 149 Euro inkl. Führung und Menü mit Weinbegleitung.
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