Koch-Shows: Eiertanz
Wer hat die schärfsten Messer, wer serviert das gefährlichere Essen? Die harten Kerle haben die Küche entdeckt – und das Fernsehen freut sich. Doch die Macho-Köche können ganz schön nerven. Nun schlägt eine Frau zurück: eine Polemik.
Hilfe, holt mich hier raus! Ich bin eine Frau. Und ich habe sie satt, die Küche als Dschungelcamp, deren wichtigste Zutat Testosteron und deren Hauptwürze das Wort Scheiße ist. In der das Kochen zum Säbelrasseln und das Essen zur Mutprobe wird. Wo es nicht mehr um Genuss geht, sondern um Angeberei. Selbst wenn diese sich feiner geriert: Bei den Edel-Machos wird das Wort Scheiße durch Sensorik und Textur ersetzt. Das ist dann die höhere Form der Muskelprotzerei.
Was früher Fußballplatz und Harley Davidson, ist heute der Herd – ein Ort, an dem Jungs den wilden Mann spielen können. Wo sie es sonst schon nirgends mehr können. Ob in Fernsehshows oder Büchern: Köche fluchen, brüllen und schmeißen mit Pfannen um sich, essen Heuschrecken und wetzen die Messer, kippen literweise Rotwein in ihren Schlund und bergeweise Koks in ihre Nase. Je doller, desto toller. Viele der Cowboys kommen aus England oder Amerika, aber die meisten ihrer Bücher werden auch auf Deutsch goutiert, ihre Sendungen auch bei uns ausgestrahlt. Oder gleich kopiert: Es gibt kaum eine deutsche Kochshow, die nicht der (meist bravere) Abklatsch eines angelsächsischen Originals ist.
Gordon Ramsay, der international berühmteste und erfolgreichste unter den Berserkern, Autor etlicher Bücher, Star aller möglichen Fernsehshows mit Titeln wie „Kitchen Nightmares“ oder „The F-word“, Inhaber so vieler preisgekrönter Restaurants, dass er sie kaum noch an den Fingern seiner zwei Hände abzählen kann, ist seit kurzem auch im deutschen Fernsehen zu sehen: „In Teufels Küche“. Am Sonntagnachmittag auf RTL II, sozusagen im Kinderprogramm. In jeder Folge bringt „der härteste Küchenchef der Welt“ ein schlecht laufendes Restaurant auf Vordermann. Kein Zweifel, der Brite kann kochen, ziemlich gut sogar. Er kann witzig, charmant und fürsorglich sein. Aber wehe, er trifft auf Männer, wie er selber einer ist. Nase an Nase stehen sie sich dann gegenüber, als wollten sie sich jeden Moment zerfleischen.
Who the fuck are you?!
Fuck yourself.
Oh no, fuck off.
Hast Du eigentlich Eier?
Ich hab die größeren Eier.
Na und? Die einzigen Eier, die mich bei einem Koch interessieren, sind die, die man in die Pfanne hauen kann.
„Maßloser Exzess ist gerade gut genug“ heißt das Motto des New Yorker Kochs Mario Batali, von dem Bill Buford in seinem kürzlich bei Hanser erschienenen Buch „Hitze“ erzählt. Buford, eigentlich Literaturredakteur beim „New Yorker“, zeigt stolz die Narben, die er sich als Küchensklave in Batalis Restaurant zugezogen hat: Verbrennungen und Schnittwunden, je tiefer, desto heroischer. Der Intellektuelle, ein kluger, freundlicher Mann, verfällt dem Bann seines gargantuesken Helden, von dem er stolz berichtet, dass er mehr esse und trinke als jeder andere Chefkoch New Yorks. Buford, dessen erstes Buch sich englischen Hooligans widmete, ist auch ein großer Verehrer von Marco Pierre White. Dieser, einer der ersten jungen Wilden am Herd, gelte als einer der einflussreichsten Köche Britanniens „sowie als der griesgrämigste, launenhafteste, tyrannischste“. Bei dem alles Scheiße ist. Scheißfranzösisch, Scheißteesieb, scheißgroße Waden... „The Devil in the Kitchen“ hat White, der mehrfache Sternekoch, der heute Werbung für Brühwürfel von Knorr macht, seine Autobiographie genannt.
Sicher, eine Restaurantküche ist kein Mädchenpensionat. Koch zu sein, das ist ein Knochenjob, Bezahlung und Arbeitszeiten sind miserabel, die Arbeitsbedingungen ebenso, es ist heiß und eng, der Druck gewaltig. Da sei keine Zeit für bitteschön und dankeschön, argumentieren die Anhänger der Machofraktion – und berauschen sich am fäkalen Kasernenhofton, feiern die Explosionen im Dampfdrucktopf der Küche wie die siegreichen Schläge eines Boxchampions. Geschichten darüber, wie White oder Ramsay ihre Mitarbeiter anbrüllen und rausschmeißen (wenn diese nicht selber die Flucht ergreifen, manchmal mitten im Service) machen die Runde wie früher Heldengeschichten aus dem Krieg.
Als wäre es nicht viel bewundernswerter, selbst unter den harten Bedingungen der Restaurantküche zivilisiert und menschlich miteinander umzugehen. Doch, solche Küchen gibt es auch.
Auf dem Buchmarkt war es Anthony Bourdain, der die neue Macho-Welle losgetreten hat. Sein Bestseller „Geständnisse eines Küchenchefs“ erschien in den USA vor acht Jahren, bald darauf auch bei uns. Gleich auf der ersten Seite erklärt Bourdain dem Leser, er wolle ihm „von den finsteren Abgründen im Bauch der Gastronomie erzählen, von einer Subkultur, deren jahrhundertealte militärische Hierarchie und Ethik aus Fusel, Ficken und neunschwänziger Peitsche einen Cocktail aus unerschütterlicher Ordnung und nervenzerfetzendem Chaos ergeben.“ Auf mehr als 300 Seiten kotzt der Amerikaner sich im Jargon eines bekifften Teenagers über seine Branche aus. Er habe in „Zwei-Sterne-Pinten“ gearbeitet und zugesehen, wie sich eine Braut auf der eigenen Hochzeit von einem ihr völlig fremden Küchenchef vögeln ließ. In eben jenem Moment habe er beschlossen, Chefkoch zu werden.
Na dann: Guten Appetit.
In seiner Fernsehshow scheint sich der verhinderte Fußballprofi Gordon Ramsey (nur wegen einer Verletzung brach er diese Karriere ab) regelrecht aufzugeilen an ekeligen Erlebnissen, vergammeltem Fleisch, Schimmel im Schrank. „Essen ist Schmerz“ heißt es bei Bourdain. In seinem Nachfolgewerk „Ein Küchenchef reist um die Welt“ führt er diesen Gedanken weiter aus. Da verschlingt er „auf der Jagd nach dem vollkommenen Genuss“ das noch schlagende Herz einer Kobra.
Mit diesem Buch hat Bourdain sich wieder als Vorreiter erwiesen. Bald stürzten sich auch andere Autoren in die Suche nach dem ultimativen kulinarischen Kick. Jerry Hopkins etwa schrieb ein ganzes Buch über „Skurrile Spezialitäten: Insekten, Quallen und andere Köstlichkeiten“, in dem er nicht nur Hund und Katze serviert, sondern auch Würmer und Kakerlaken. Eine deutsche Fernsehsendung will sich demnächst einheimischen Abenteuern widmen: Wann stoßen Köche an ihre Grenzen? Bei Lungenhaschee? Bisamratten? Oder Rinder-Hoden?
„Mut“ bescheinigte die „FAZ“ kürzlich dem SPD-Vorsitzenden Beck, weil er so gerne Schweineschnauze isst. Mut? Neugier: ja! Offenheit: unbedingt. Experimentierlust: Ohne die würden wir immer noch rohe Fleischbrocken in uns reinstopfen. Aber Essen als Mutprobe? Das klingt eher nach Kindergeburtstag und Wettessen. Wer am meisten schafft, hat gewonnen.
Die Chinesen essen gebratene Blindschleiche und gemahlenen Schildkrötenpanzer ja nicht, weil sie das eklig finden, sondern weil es Teil ihrer in Jahrtausenden gewachsenen Esskultur ist. So wie in Süddeutschland Kutteln und Lungenhaschee nicht auf der Speisekarte stehen, um die Gäste zu schocken, sondern weil das dort traditionelle Gerichte sind.
Essen hat was mit Kultur zu tun. Kutteln zu lieben muss man ebenso lernen wie mit Messer und Gabel zu essen. Das braucht Zeit. Vor 20 Jahren hätte kaum ein Deutscher rohen Fisch angerührt, heute findet man in Berlin mehr Sushi-Läden als Eckkneipen. Hauruckaktionen bringen gar nichts. Man braucht jemanden, der einen das Lieben lehrt. Wolfram Siebeck versucht das gerade: In seinem jüngsten Werk, dem „Kochbuch der verpönten Küche“, erklärt er den Deutschen, wie man Innereien so zubereitet, dass sie köstlich schmecken. Wobei er mit dem Einfachsten, der Leber, beginnt.
Ähnlich pädagogisch geht auch Jamie Oliver vor, der das Kochen als Lust in Szene setzt, aber auch das Scheitern gezielt einsetzt: weil er weiß, dass die Zuschauer sich damit besser identifizieren können. Damit, und nicht mit Einschüchterungsmanövern, hat er es geschafft, dass 15-jährige Jungs es cool finden, sich ein Kochbuch zum Geburtstag zu wünschen und sich damit auch tatsächlich an den Herd zu stellen, um Freunde und Familie zu überraschen.
Aber dem Macho am Herd geht es gar nicht um Genuss und Aufklärung. Es geht um Wettkampf und Sensationen. Darum, sich und anderen was zu beweisen. Jemanden zu besiegen – mal den Konkurrenten und mal den inneren Schweinehund. Also: runter mit den Kakerlaken.
Sicher hat die Abenteuerküche einen ernstzunehmenden Hintergrund: die wachsende Entfremdung vom Essen. Pizza kommt aus der Tiefkühltruhe, Erdbeerjoghurt aus der Chemiefabrik. „Die Einzigen, die Fleisch wirklich verstehen, sind die Vegetarier“, sagt Bill Buford, zu Recht. Dass ein Tier für uns gestorben ist, damit wir was Leckeres auf dem Teller haben. Dass das Wiener Schnitzel mal Augen, Mund und eine Mutter hatte. Aber Respekt vor Nahrungsmitteln vermittelt man nicht mit der Schocktherapie.
Der Machismo beschränkt sich übrigens nicht auf die Profis. Junge Männer lassen sich elend teure Messer schenken und rühren sie dann nie an. Wenn die Freundin zum Essen kommt, holen sie ihr schnell was vom Thailänder um die Ecke. Sie träumen davon, Freunde zum Insektenessen einzuladen, weil sie in ihrer Jugend mal eine Heuschrecke verschluckt haben. Auf die Idee, sie einfach mal zum Essen einzuladen, kommen sie nicht.
Genauso wenig beschränkt sich der Machismo auf RTL-Fernsehserien. Die Angeberei kann auch pseudo-gelehrte Formen annehmen wie bei Jürgen Dollase, dem Gastro-Kritiker der „FAZ“, der von Essen schreibt wie der Streber im Strukturalisten-Proseminar: „Man kann den Vorgang des Essens als eine Form der Entschlüsselung sehen, die eine ganze Palette von Erkenntnisakten einschließt, von der Identifizierung konkreter Objekte bis zu komplexen ästhetischen Betrachtungen.“
Der Machismo kann sich ebenso in der Geschmacksdiktatur von Sterneköchen äußern, die ihre Gäste verachten, wenn diese gern mit Kartoffeln die leckere Sauce auftunken würden. „Sättigungsbeilagen“ seien nur was für Stümper.
In der deutschen Topgastronomie gibt es praktisch nur Männer. Die „Süddeutsche“ hat gerade eine 20-bändige „Bibliothek der Köche“ herausgegeben: 20 Köche, 20 Männer. Letzte Woche lud der Busche Verlag, Herausgeber des Schlemmer Atlas 2008, zum Jahrestreffen der „Top 50 Köche Deutschlands“ ein. 49 Männer und eine Frau, Cornelia Poletto.
Frauen werden Bundeskanzlerin und Ministerin, Fließbandarbeiterin und Fußballweltmeisterin. Frauen bringen Kinder auf die Welt – ein Akt, bei dem die Männer schon vom Zusehen weiche Knie bekommen – und meistern dann Doppel- und Dreifachbelastung, worunter in der Regel auch das alltägliche Kochen fällt. Ja, sie werden sogar Sommelièren – deren entspannte, weder belehrende noch überhebliche Art kommt bei den Gästen nach deren Aussagen gut an. Und dann sollen Frauen ausgerechnet auf dem Gebiet, in dem sie jahrtausendelang Erfahrung gesammelt haben, versagen? Weil sie keine schweren Töpfe schleppen können, wie es als Begründung gern heißt? Oder die Arbeitszeiten familienfeindlich sind, die Küche so klein und so hitzig ist?
Frauen, sagt Super-Mario in Bill Bufords Buch, seien die besseren Köche. „Sie gehen die Lebensmittel anders an.“ In Italien, dem Land, von dem wir glauben, dass es den Machismo erfunden hat, stehen die Mammas nicht nur zu Hause, sondern selbstverständlich auch im Restaurant am Herd. Von fünf Drei-Sterne-Köchen in Italien sind drei Frauen.
Vielleicht liegt die Diskrepanz in unserem kulinarisch spätberufenen Land auch daran, dass es beim Kampf um die Sterne vor allem darum geht, noch doller zu sein als die Konkurrenz, noch raffinierter sich zu beweisen. Wir scheinen wieder in die alten Rollenklischees zurückzufallen: Frauen sind für die Evolution zuständig, Männer für die kulinarische Revolution. Frauen kochen, um andere zu nähren, ihnen was Gutes zu tun, Männer, um Macht zu erringen, sich feiern zu lassen.
Höchste Zeit für eine neue Revolution.
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