Sabine Hueck: Die Welt zu Gast am Herd
Maniok, Sushi, Geschmortes in Bier, ein Hauch von Ingwer: Einwanderer aus aller Welt haben Brasiliens Küche beeinflusst. Sabine Hueck ist in São Paulo geboren und kocht in Berlin. Ein Blick in ihre Töpfe.
Diese Bällchen sind rund. Na ja, fast, im Backofen haben sie sich ein wenig gesetzt, der Teig ist schließlich ziemlich schwer. Aber ohne Pão de queijo geht in einigen Teilen Brasiliens gar nichts. Sie werden dem Besucher zur Begrüßung so selbstverständlich gereicht wie bei uns die Hand, egal zu welcher Tages-, Nacht- oder Halbzeit. Ideales Fußballfutter, kräftig, sogar glutenfrei, gut vorzubereiten, einzufrieren und zur rechten Zeit zu backen.
Dann heißt es: zugreifen! Denn die kleinen kräftigen Käsebrötchen schmecken nur frisch, wenn sie, wie jetzt, heiß und knusprig, im Innern saftig, aus dem Ofen kommen. Eine Stunde später schon sind sie nur noch zäh. Wir greifen zu – und müssen uns bald bremsen. Es kommt noch mehr. Viel mehr.
Wir stehen in der kunterbunten Schöneberger Küche von Sabine Hueck, die ihrem Gegenüber bei jeder Begegnung das Gefühl vermittelt, geradewegs vom Strand zu kommen, wo sie mit Sicherheit einen Cocktail geschlürft hat: immer strahlend und aufgekratzt, mit farbenfrohem Sommerkleid und Tuch um den Kopf. Dabei schwört die Deutsch-Brasilianerin, dass sie ihre Bräune nicht der deutschen Sonne, sondern dem Maracujasaft verdankt, den sie jeden Morgen zum Frühstück genießt. An Herd und Schreibtisch verbringt sie garantiert mehr Zeit als am Strand.
Sabine Hueck, in Berlin vor allem durch ihre Kochkurse bekannt, ist so etwas wie die Miss Brasilia von Deutschland – und die Miss Germany von Brasilien. Auf der letzten Frankfurter Buchmesse hat sie zum Brasilienschwerpunkt gecatert, für Visit Berlin hiesigen Auslandskorrespondenten deutsche Speisen serviert. Gerade hat sie mit dem Fotografen Florian Rolk ein brasilianisches Kochbuch für deutsche Leser zusammengestellt, pünktlich zur WM erscheint in Brasilien im Auftrag des Auswärtigen Amts ihr deutsches Kochbuch auf Portugiesisch.
Rollmops in Rio?! Ja: mit frischem Lachs. Man könnte sie eine Verwandlungskünstlerin nennen, das hat sie, als Kind deutscher Eltern in São Paulo geboren, von klein auf gelernt: Was man nicht hat, ersetzt man halt, was einem nicht schmeckt, passt man dem eigenen Gaumen an. Die Brasilianer zum Beispiel mögen’s gern wahnsinnig süß, hierzulande lässt sie lieber löffelweise Zucker weg, beim Maracuja-Halbgefrorenen zum Beispiel, das es zum Dessert gibt. Auch ihre Pão de queijo kriegt man so nirgends in Brasilien. Hueck hat nämlich Kartoffeln unter Maniokmehl, Eier und Käse gegeben, um dem Ganzen etwas von seiner Schwere zu nehmen. Und die Kartoffeln kommen aus Brandenburg.
Traditionen bewahren, das bedeutet bei der Botschafterin des dualen Geschmacks: immer in Bewegung halten. Anpassen. Variieren. Improvisieren. Ihre Rezepte sind keine Gebote, sondern Angebote. Die Bohnensuppe, die gerade auf dem Herd köchelt, krönt sie normalerweise mit krokantem Speck, aber wer’s lieber vegetarisch mag, dem empfiehlt sie: Sellerie und Karotten knusprig braten.
Bei Sabine Hueck gibt’s nichts von der Stange, weder Rezepte noch Mode oder Geschirr. Sie ist süchtige Sammlerin, ein paar Wochen ohne Flohmarkt hält sie kaum aus. Stolz zeigt sie einen ihrer Lagerräume in der Wohnung, ein wahres Museum, dessen Exponate sie nutzt: Beim Catering wie bei ihren Kursen legt sie auf die Präsentation so viel Wert wie auf die Zubereitung. Mit flinken Fingern arrangiert sie jetzt die Fleischspieße auf einem glatt gestrichenen Bananenblatt, so einfach wie effektvoll. Auch ihren Schülern zeigt sie nicht nur, wie man Fisch filetiert und Korianderdip anrührt, sondern wie man das Essen schön präsentiert, aus Nichts was machen kann – „dass man nicht alles teuer kaufen muss“.
Huecks Ehemann Sérgio Costa, Soziologie-Professor am Lateinamerika-Institut der FU, beschäftigt sich viel mit Ungleichheiten, das Soziale kommt immer wieder auf den langen Tisch, an dem oft Gäste sitzen. Er ist auch für die Konzepte ihrer Bücher zuständig, wie bei „Cocine Sabina“ (Tre Torri Verlag), in der sie die bunte Weltküche Lateinamerikas serviert. Bei ihrer Schwiegermutter hat sie viel gelernt, die Bäuerin macht sogar den Käse selber, den sie jeden Morgen in ihren Bällchen verbackt.
Hueck hat ein Händchen, nicht nur zum Kochen, auch zum Arrangieren. Die sonnige Altbauwohnung ist eine einzige Anhäufung von Sammlungen. Auf dem einen Wohnzimmerfensterbrett stehen farbige 70er-Jahre-Gefäße, auf dem anderen Heilige, auf dem Küchenschrank Heerscharen von Frauenfiguren. Ihr geblümtes Vintage-Kleid hat Hueck aus der „Garage“ am Nollendorfplatz. Schon als sie vor 30 Jahren an die Spree zog, ohne Geld, kaufte sie ihre Kleidung dort kiloweise ein.
Wie alt sie ist, mag Sabine Hueck nicht verraten, aber wenn sie erzählt, was sie schon alles gemacht hat, müsste sie eigentlich bald so alt sein wie ihre Oma: Hotelfachschule, Waldorflehrerin, Kochbuchautorin, Kuchenbäckerin, zwei Kinder großgezogen, ein Lokal geführt, in Peru gelebt ... Hueck scheint die Dinge nicht nacheinander, sondern gleichzeitig zu machen. Ach: Gerade baut sie noch eine richtige Kochschule auf.
Sabine Hueck hat das Kochen und Backen im Blut. Mutter und Tanten brutzeln bis heute um die Wette, als kleines Mädchen fuhr sie am Wochenende zwei Stunden mit dem Bus zur Oma an den brasilianischen Strand, wo diese eine deutsche Konditorei führte. Dort, in Florianópolis, half sie beim Servieren, guckte zu, wie die Oma („die beste Blutwurstmacherin!“) deutschen Kuchen mit Ananas backte. Schauspielerin ist die schillernde Großmutter eigentlich gewesen, „die war so frei!“. Vom Großvater der anderen Linie wiederum, einem Botaniker, hat sie die Liebe zu Kräutern und Pflanzen geerbt.
Multikulti: Für Sabine Hueck war das kein politischer Slogan, sondern Alltag. Multikulti, so ist das ganze riesige Land. Von der brasilianischen Küche zu sprechen ist daher so ähnlich, als würde man sagen, heut gehen wir mal europäisch essen. Ja, es gibt Gemeinsamkeiten, viel Knoblauch und Frittiertes, aber auch viele Eigenheiten, geprägt von Klima und Köchen: Einheimischen und Einwanderern. Das Rinderragout aus Rio, mit dunklem Bier gewürzt, das auf dem Schöneberger Herd schmort, könnte man sich auch gut in Belgien vorstellen – wenn da nicht noch ein Hauch von Ingwer drin wäre. Viele Gerichte sind asiatisch geprägt, so wie der Fischtopf mit Seebarsch und Garnelen, mariniert mit Limette, Chili, Knoblauch und Koriander (Blatt und Wurzel), mit Kokosmilch gewürzt. Im kühleren Süden Brasiliens, wo sich Deutsche niederließen, kriegt man Ente mit Rotkohl. Sie selber ist mit Sushi aufgewachsen.
São Paulo, Huecks Heimatort, ist so etwas wie die kulinarische Hauptstadt des Landes, nirgends isst man so vielfältig und gut wie hier. Wenn man es sich leisten kann. Auf dem Berliner Wohnzimmertisch liegt das schwere Kochbuch „D.O.M. Die neue brasilianische Küche“ (Phaidon, auf Deutsch erschienen im Edel-Verlag) von Alex Atala, einem der besten Köche nicht nur Brasiliens, sondern der Welt, wenn man den Rankings glauben darf. Alex Atala legt besonderen Wert auf heimische Zutaten – von denen es viele zu seinem Bedauern nicht einmal dort im Supermarkt zu kaufen gibt.
Was soll da erst der Berliner sagen. Sabine Hueck hat einige der klassischen Zutaten bereitgestellt: Tonkabohnen, Guavenpaste („Nationalessen in der Packung“) und natürlich Maniok, „das isst man zu allem“. Aber Vorsicht, die Knolle ist mit Paraffin eingestrichen, außerdem kann sie Blausäure enthalten. Hueck empfiehlt sie daher tiefgefroren zu kaufen, sie zu kochen wie Kartoffeln und vor dem Frittieren noch mal einzufrieren, damit sie sich nicht so mit Fett vollsaugt. Knusprige Pommes der besonderen Art, mit Chili-Tomaten-Salsa statt Mayo dazu.
Wie viele der Zutaten findet man die gefrorene Maniok im Asialaden, anderes in spanischen Lebensmittelgeschäften. Etliches muss man einfach mit Fantasie ersetzen. Hueck selber reist immer mit schwerem Gepäck: Nach Brasilien schleppt sie Würstchen, Harzer Käse und Mohn, nach Berlin bringt sie frische Cashews und Manjokina mit.
Und die WM? Lässt sie kalt, Fußball interessiert sie nicht. Ihren Mann umso mehr. Was sie daran mag: dass die Leute zusammenkommen. Die kann sie dann wieder mit Begeisterung bekochen.
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