Granatapfel: Die Vitamin-Bombe
Der Granatapfel ist alles: kerngesund, bibelfest und gourmetkompatibel. Doch das Öffnen kann zum Desaster werden. Porträt der aktuellen Trendfrucht.
Hokkaido-Kürbis und Kaki sind passé, Tangerinen sind auch nur gewöhnliche Mandarinen, und keiner soll behaupten, es sei jemals ein Genuss gewesen, Aloe Vera zu trinken. Aber das ist nun mal das Schicksal von Trendlebensmitteln: Eines Tages werden sie vom Thron gestoßen – und ein anderes aus der Versenkung geholtes Nahrungsmittel erlebt eine Renaissance.
Eingebettet zwischen Avocado und Mango, leuchtet einem zurzeit überall – im Supermarkt, beim türkischen Händler oder dem Vietnamesen an der Ecke – ein äußerst dekoratives, rotes Obst entgegen. Gestatten, Granatapfel. Manch einer hat schon arglos vor der Frucht mit der harten, ledrigen Schale gestanden und doch geahnt, dass er nur mit Gewalt an die hunderte roter Kerne im Inneren des Apfels gelangen wird. Häufig schmecken die maiskorngroßen Samenhüllen dann auch noch so sauer oder derart bitter, dass man am liebsten zehn Esslöffel Zucker darübersteuen möchte.
Wer jedoch ein gut gereiftes Exemplar erwischt, kann nachvollziehen, was es mit dem Begriff „Paradiesfrucht“ auf sich hat. Denn es war kein herkömmlicher Apfel, kein banaler Boskop oder Braeburn, mit dem Eva ihren Adam verführte. Nein, der Granatapfel soll am Baum der Erkenntnis gehangen und den Sündenfall provoziert haben.
Heute gibt es ihn in allerlei Variationen: in Cocktails, als Lammrücken-Glasur, im Dessert oder als feinen Zusatz zur Vinaigrette. Über den Salat gesprenkelt schmücken die rotfunkelnden Kerne das Grünzeug wie eine Handvoll Rubine. US-Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey teilt mit ihren Jüngern ihr Rezept für den Pomegranate-Martini, ein Gebräu aus Wodka, Cointreau und Granatapfelsaft. Starbucks brachte einen Granatapfel-Frappuccino auf den Markt, und im Kühlregal des Supermarkts taucht die Frucht in Kombination mit roter Traube oder Himbeere als Smoothie auf.
Als „neue Cranberry“ feierte ihn das amerikanische Feinschmecker-Magazin „Bon Appétit“, der Berliner Spitzenkoch Tim Raue schätzt die Winterfrucht für die Edelküche: „Sie hat eine lustige Textur – außen die fruchtige Blase, drinnen der knusprige Kern.“ Im „Ma Tim Raue“ kommt der Granatapfel demnächst auf der Dessertkarte zur Geltung: Kleine Winteräpfel werden zusammen mit Stern anis, Orangenschalen und Vanille in Granatapfelsaft geschmort und mit Feldsalateis und Zimtblüten serviert. Denn für Granatapfelkreationen bevorzugt Raue eine leicht orientalische Gewürzwelt „mit eher parfümierten Aromen, das mag der Granatapfel sehr, schließlich stammt er selbst aus dem Orient“.
Früher noch ein Geheimtipp, war er höchstens in Cocktails mit Grenadine, dem Fruchtsirup des Granatapfels, bekannt, etwa im Tequila Sunrise. Inzwischen bringt die Frucht als Alternative zu Bratensauce oder Chutney eine ungewöhnliche Note in einen Hauptgang mit dunklem Fleisch. „Lamm und Rinderfilet haben einen etwas herberen Geschmack, da ist die fruchtige Frische des Granatapfels eine perfekte Ergänzung“, sagt Andreas Responde vom Restaurant „Vivaldi“ des Schlosshotels im Grunewald.
Seit nunmehr 5000 Jahren wird der Granatapfel kultiviert, und nicht umsonst ranken sich unzählige Mythen und Erzählungen um ihn. Die Bibel, die Tora, der Babylonische Talmud – sie alle huldigen dem Granatapfel als Sinnbild für Fruchtbarkeit und Reichtum. Laut jüdischer Überlieferung enthält er 613 Kerne – entsprechend viele Gesetze hat das Alte Testament.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit gediehen die ersten Früchte im alten Persien, wanderten dann entlang der Seidenstraße nach China, später nach Indien, Nordafrika, Europa und Amerika. Bereits die alten Ägypter verwendeten den Granatapfel, um so ziemlich jede Krankheit – von Durchfall und Bauchweh bis hin zu Bandwürmern – zu behandeln. Den Pharaonen Tutanchamun und Ramses IV. wurde er sogar in die königlichen Gräber gelegt.
Im antiken Griechenland waren die Früchte des Granatapfelbaums Symbole der Göttin Aphrodite. Ihren Streit mit Hera und Athene darüber, wer die Schönste von ihnen sei, entschied Paris, indem er Aphrodite einen Granatapfel überreichte. Nach einer anderen griechischen Sage lockte Hades die schöne Persephone in die Unterwelt – mit sechs Granatapfelkernen.
Bei den Römern war der Granatapfel (Punica granatum) als „Punischer Apfel“ bekannt, da er vorwiegend aus dem nordafrikanischen Karthago eingeführt wurde und die Karthager bei den Römern „Punier“ hießen. „Granatum“ stammt wiederum vom lateinischem Wort „granum“ (zu deutsch Korn) ab. Auf denselben Stamm geht übrigens auch das Wort „Granate“ zurück, ein Geschoss, das in viele kleine Körner detoniert.
Als eine Art Wunderwaffe gilt inzwischen auch die Frucht. Nicht nur die griechischen Götter wussten den Granatapfel zu schätzen (schließlich soll er das Geheimnis ihrer Unsterblichkeit gewesen sein). Auch wenn die „Frucht der Götter“ nach heutigem Wissensstand kein Jungbrunnen ist, so gilt sie doch als Symbol der ewigen Jugend – und als Anti-Aging-Produkt.
Vielfältige Heilkräfte werden dem Granatapfel zugeschrieben: Hoher Blutdruck, Cholesterin, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthritis, Wechseljahrsbeschwerden, sie alle soll der leuchtend rote Saft positiv beeinflussen. Er gilt als Aphrodisiakum, wirkt entzündungshemmend und soll sogar Krebs vorbeugen. Nicht zuletzt deswegen werden Granatäpfel in den USA als „Superfood“ gefeiert, also als Lebensmittel mit hohen Anteilen an krankheitsabwehrenden Nährstoffen. Die Kerne sowie der Saft sind reich an Vitaminen, Eisen, Kalium und Ballaststoffen und noch dazu voller Antioxidanten, die dem Alterungsprozess entgegenwirken.
Woran man erkennt, dass die Frucht reif ist? Eine kräftig rot glänzende, unversehrte Schale sollte sie haben. Und: Je schwerer die Frucht, desto saftiger die Kerne. Dank seiner dicken Schale ist der Apfel lange haltbar. Bei Zimmertemperatur bleibt er bis zu zwei Wochen frisch, im Kühlschrank einen Monat.
Frische Granatäpfel zu essen, kann jedoch eine zeitraubende Angelegenheit sein: Zuerst muss man sich durch die lederne Haut arbeiten, dann durch die bittere, cremefarbene Membran. US-Küchenguru Martha Stewart empfiehlt folgende Technik: Den Granatapfel in einer großen Schüssel halbieren. Mit einem Holzlöffel bewaffnet leicht, aber bestimmt auf die Frucht klopfen, bis die Kerne herauspurzeln.
Ängstliche und ungeschickte Wesen kaufen sich gleich Granatapfel-Präparate in Kapselform als Nahrungsergänzungsmittel im Bioladen und Reformhaus, um von den gesundheitsfördernden Stoffen zu profitieren. Denn das Öffnen der Frucht wird leicht zum rubinroten Fleckenfiasko. Wehe dem, der sich bekleckert: Der gerbstoffreiche Saft wird im Orient noch heute verwendet, um Teppiche zu färben. Und wer schon einmal Küchenbrett, Teller und Hände mit dem Saft verfärbt hat, weiß, dass er gut beraten ist, sich mit Gummihandschuhen einzudecken und Umstehende zu bitten, in Deckung zu gehen, bevor er sich ein weiteres Mal daran wagt.
Wer sehen möchte, was sonst noch mit der Frucht passieren kann, dem sei der Besuch der Berlinischen Galerie empfohlen. In der Ausstellung „Mutations II“ (bis 2.2.) zeigt der israelische Künstler Ori Gersht ein faszinierendes Granatapfel-Video.
Laura Wieland
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