Weißer Kaviar: Die teuerste Delikatesse der Welt
Walter Grüll produziert im Salzburger Hinterland den äußerst seltenen weißen Kaviar vom Albino-Stör. Seine Kunden reisen dafür aus aller Welt an. Ein Besuch bei einem außergewöhnlichen Fischzüchter
Das Kilo weißer Alba-Trüffel für 3000 bis 9000 Euro? Geschenkt. Safran, das Kilo für 4000 bis 10.000 Euro? Ein Schnäppchen im Vergleich zur wohl teuersten Delikatesse der Welt: Kaviar vom Albino-Stör würde zwischen 15.000 und 33.000 Euro das Kilo kosten – wenn es denn so viel auf einmal zu kaufen gäbe, denn weniger als zehn Kilo werden davon weltweit in einem Jahr produziert. Einer der ganz wenigen Fischzüchter, die überhaupt den weißen Kaviar im Angebot haben, ist Walter Grüll. Seinen Fischladen in Grödig bei Salzburg, der gleichzeitig Produktionsstätte, Bistro und Firmenzentrale ist, besuchen Kunden aus der ganzen Welt, teilweise reisen sie dafür im eigenen Jet aus Wüstenkönigreichen an.
Nur in jedem zwanzigtausendsten Ei wächst ein Albino-Stör heran
Dass der weiße Kaviar so teuer ist, liegt nicht an der Art, wie er produziert wird, die unterscheidet sich nicht von der des gewöhnlichen Kaviars: Der Fisch wird aufgeschnitten, die Eier werden entnommen, durch ein Sieb gespült, gesalzen und hygienisch verpackt. Das kann im Prinzip jeder. Walter Grüll saugt nach dem Waschen noch die kleinen Hautfetzen ab, die sich unter die Eier gemischt haben. Man würde sie später zwar nicht wahrnehmen, aber das gehört sich für ihn so. Und er benutzt eine spezielle Salzmischung, eine, die er über die Jahre optimiert hat. Dass der weiße Kaviar so sündhaft teuer ist, liegt an der Seltenheit der Albino-Störe. Nur bei jedem zwanzigtausendsten Ei zeigt sich die Laune der Natur, die einen pigmentlosen Stör hervorbringt. Für Züchter ist das normalerweise keine Basis, mit der man ein kontinuierliches Geschäft aufziehen kann.
Walter Grüll hat es trotzdem geschafft, Albino-Störe zu züchten. Wie? Das ist eines der wenigen Geheimnisse, das er für sich behält. Ansonsten zeigt er jedem Kunden bereitwillig, wie Grüll-Kaviar gemacht wird. Oder wie er Muscheln lagert, acht Sorten Austern zum Beispiel oder Vongole Verace, die mit 25 Euro pro Kilo vergleichsweise hoch kalkuliert sind. Aber Grüll geht nicht nur bei der Zucht seinen eigenen Weg, alle Produkte zeichnen sich durch höchste Qualität und Frische aus, keine Muschel, die seinen Laden verlässt, muss später aussortiert werden. Das kann er nur garantieren, weil bei ihm die Muscheln noch einmal einige Wochen zwischengelagert werden: in einem speziellen Meerwasserbecken, in dem die Tiere sich vom Transportstress erholen können. Ob einfache Fine de Claire oder die Belon-Auster aus der Bretagne – so gut isst man Austern sonst nur direkt aus dem Meer.
Die Störe werden 13 bis 16 Jahre alt, bevor sie getötet werden
"Dem Tier muss es gut gehen, sonst ist das Endprodukt Mist", sagt Grüll. Seine Störe wachsen in großen Teichen auf, es gibt praktisch keine Ausfälle. Wasserkreisläufe, Temperatursteuerung, alles hat der Züchter über viele Jahre optimiert. Und gelernt, geduldig zu sein: "Das Tier braucht Zeit", sagt Grüll. Nach sechs bis acht Jahren könnte beim Stör der Laich entnommen werden. Grülls Störe werden zwischen 13 und 16 Jahre alt, wandern dann aber zuerst noch einmal in ein Trinkwasserbecken nahe der Produktionsstätte. Um jeglichen Stress zu vermeiden, tötet Grüll aus dem Becken heraus, ohne Strom, das würde die Qualität zerstören. Er lockt den Stör an, hält ihm kurz die Augen zu, ein Schlag, dann geht es in die Produktion.
Aromen wie Getreide, frischer Seeduft und Karamellnoten
Eine Besonderheit seines Kaviars ist, dass der ohne Konservierungsstoffe auskommt und trotzdem mehrere Wochen auf dem Gipfel seines Geschmacks bleibt. "Bei der Haltbarkeit zeigt sich, wie man mit dem Tier umgegangen ist", sagt Grüll. Stress führt zu Verkrampfungen, das wiederum zu mehr Blut in den Muskeln, was die Milchsäuregärung und damit das Verderben des Fleisches begünstigt. Der Verzicht auf das Pasteurisieren hat auch Einfluss auf die Textur: Die Eier platzen nicht wie Trauben im Mund, ihre Haut ist angenehm weich und hat einen eleganten Biss. Der Geschmack liegt jenseits plakativer Jodigkeit, es sind Sekundäraromen wie Getreide, frisches Seewasser, Karamellnoten, die das Nachschmecken zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. Die Salzigkeit ist lediglich ein Attribut, aber bei weitem nicht das herausragende. Der geschmackliche Facettenreichtum zeigt sich noch deutlicher beim weißen Kaviar. Er ist mit nichts zu vergleichen, was man bei Kaviar erwarten würde: Fruchtnoten, ein perfekt ausbalanciertes Süße-Säure-Spiel, Maisnoten, See, Heu und noch weitere Aromen, die sich in einem schier endlosen Nachgeschmack offenbaren.
Grüll stellt daraus ein weiteres Luxusprodukt her, den Strottarga. Albino-Eier werden dehydriert und gemahlen, in der Salzigkeit ähneln sie dem sardischen Botarga, sie sind aber frei von Bitternoten und nicht im Geringsten fischig. Mit Blattgold verfeinert, liegt der Kilopreis bei 100 000 Euro – der Kundenkreis ist überschaubar. Grüll hat aber auch eine deutlich günstigere Alternative im Angebot: Trottarga aus den Eiern der Forelle. Es ist Grülls Lieblingsprodukt, im Geschmack und den Verwendungsmöglichkeiten dem Luxuskaviar ähnlich, aber für jeden Fischliebhaber erschwinglich und mit exakt demselben Aufwand und der gleichen Liebe zum Produkt hergestellt. "Ich will bei allen Produkten das Maximum an Qualität erreichen. Auch wenn ich weiß, dass ich das nie erreichen werde, tüftle ich daran, probiere neue Sachen aus, stelle es weiter infrage und versuche, es besser zu machen." Dazu gehört auch der Respekt vor dem Leben. Die Tiere werden vollständig verwertet, das Fleisch frisch oder in Dosen verkauft. Selbst die Haut des Störs findet Verwendung: Grüll lässt sie wie Leder behandeln und zu Latschen, Herrenschuhen oder Schlüsselanhängern verarbeiten.
Walter Grüll begann schon als Kind, Fische zu züchten
Schon als Zwölfjähriger begann Grüll, Fische zu Hause in der Waschküche zu züchten, einfache Binnenfische und erste Kreuzungen. Dann kamen Meeresfische dazu, die er in einem der oberen Geschosse aufzog. Die Eltern tolerierten das, hofften noch, dass es nur ein Hobby sei und er, wie alle in der Familie, früher oder später Lehrer werden würde. Aber der Filius wusste schon früh, dass für ihn nur ein Beruf infrage kommt: Fischzüchter. Die Familie nahm es hin, auch den Umbau des Hauses, nachdem die komplette Elektrik ausgetauscht werden musste, als Salzwasser aus dem Meeresfischbecken auslief. Nach der Matura begann er in eigenen Teichen zu züchten, probierte neue Methoden der Züchtung und Haltung aus, irrte, versuchte anderes, machte neue Fehler und lernte auch daraus. Inzwischen beschäftigt er 20 Angestellte, auch seine Familie ist fest in den Betrieb eingebunden: Seine Frau Uschi kümmert sich ums Geschäftliche, Tochter Alexandra bedient die Kunden. Sohn Patrick hilft derweil in der Produktion, ist aber auch ein ausgezeichneter Koch.
Walter Grüll ist ein Ausnahmeunternehmer, einer, dem die Beschäftigung mit dem Produkt an sich Erfüllung gibt. "Das Wirtschaftliche, das kommt von allein", sagt Grüll. Nicht ganz, Grüll ist dafür sieben Tage die Woche im Einsatz. Urlaub gönnt er sich nicht, und sein Familienleben kreist ständig um den Betrieb. Ob sich all die Arbeit lohnt? "Arbeit? Es ist keine Arbeit, es ist die Vision, wie ich leben möchte mit den Tieren und meinen Mitarbeitern. Da kann es keine Kompromisse geben."
Grüll Fischhandel, Neue-Heimat-Str. 13, 5082 Grödig, Österreich, gruell-salzburg.at
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