Berliner Schnauzen: Die Staubsauger der Meere
Vorne rein, hinten raus: In ihrer freien Zeit gehen Schwarze Seegurken einer sinnvollen Tätigkeit nach, sie inhalieren den Sand. Aber wozu?
Kann man einsamer sein als die Seegurke? Das fragt sich der Göttinger Lyriker Heinrich Detering. Er stellt sich das Wesen, das aussieht wie eine schwarze Wurst, auf dem totenstillen Boden der Tiefsee vor: „und dann für zwanzig Sekunden nackt und bloß unsern nichtsahnenden Augen ausgesetzt.“ Arme Seegurke.
Dabei braucht sie kein Mitleid. Das Seegurken-Leben kennt Höhen und Tiefen, überall in den Weltmeeren lässt sich das Tier blicken. Mit seinen Verwandten aus dem Stamm der Stachelhäuter, Seesternen und Seeigeln stellt es 90 Prozent der Biomasse auf den Meeresböden. Einsam wird es im Stachelhäuter-Clan nicht.
Im Korallenriff-Becken des Tierparks, das mitten im Besucherrestaurant steht, lebt Seegurke Alfons mit einer namenlosen Partnerin zusammen, denn bisher fand sich nur für ein Tier ein Pate. Etwa 30 Zentimeter lang sind die beiden jeweils, so liegen sie da, im hellen Kies am Fuße eines Felsens. In dieser Umgebung gurken Alfons und Anonyma seit vergangenem Sommer rum, zwischen Doktorfischen und Anemonen.
Die Italiener nennen sie cazzo di mare: Meerpenis
Manche der weit mehr als 1000 Seegurken-Arten kleiden sich in so etwas wie Noppen. Oder bunte Punkte. Die Exemplare im Tierpark tragen Schwarz, ihre Haut sieht pelzig aus oder warzenbesetzt. Die Tierpfleger beteuern, sie fühle sich schleimig an. Das wird jetzt nicht getestet.
In ihrer freien Zeit geht die Seegurke meist einer sinnvollen Tätigkeit nach. Sie sorgt dafür, dass der Sand um sie herum nicht gammelt, denn ihre Mitbewohner lassen Essensreste und Ausscheidungen herumliegen. Seegurken sind die Staubsauger der Meere, sie inhalieren den Sand: vorne rein, hinten raus, Seegurke satt, Meeresboden sauber.
Auch wenn es bei Seegurken zur Sache geht, haben alle etwas davon. Die sonst auf dem Boden gebliebenen Weichtiere wanzen sich zunächst aneinander ran, richten dann ihre wurstigen Körper auf. Man kann sich das kaum vorstellen, wenn man sie so träge in ihrem Becken sieht, aber es gibt Youtube-Videos, die es beweisen. Die Italiener nennen Seegurken übrigens cazzo di mare: Meerpenis. Haben sich die Stachelhäuter erhoben, geben sie ihre Spermien und Eier ins Wasser ab, auf dass sich neue Gürkchen bilden. Davon wird zwar das Becken ganz trüb, doch die Überreste des Akts dienen anderen Fischen und Korallen als Nahrung. So etwa einmal im Jahr beobachten die Tierpark-Pfleger dieses Spektakel zwischen Alfons und seiner anonymen Gefährtin, die beiden bevorzugen die frühen Morgenstunden.
Wer sie reizt, wird bestraft
Aus Gründen der Nahrungsaufnahme interessieren sich für den Seegurken-Alltag auch Haie und große Rochen. In Spanien und Asien ist die Seegurke eine Delikatesse. In China gilt sie als Aphrodisiakum. Auch wenn die Tiere in Massen vorkommen: Forscher warnen, dass der Hunger auf sie langsam zu groß wird, sodass die Seegurke ihrem Dienst am Gemeinwohl der Meeresboden-Bewohner nicht mehr nachkommen kann.
Wer in Strandnähe auf eine Seegurke tritt, bemerkt ein brennendes Gefühl und rote Pusteln am Bein. Die schwarze Wurst kann auch Gift absondern. Nur so kann sie sich unliebsame Nähe vom Ganzkörperhals halten. Doch Alleinsein ist schließlich etwas anderes als Einsamkeit. Und man kann definitiv einsamer sein als die Seegurke.
Schwarze Seegurke im Tierpark
Lebenserwartung: Fünf bis zehn Jahre
Interessanter Nachbar: Kuhkofferfisch, Blaupunktrochen