zum Hauptinhalt
Zwei junge Frauen trinken "Mampe halb und halb" in der 8MM Bar am Senefelderplatz.
© David Heerde

Berliner Kultgetränk: Die Rückkehr der Mampe

Dieser Likör half gegen Cholera und Sorgen. Er war ein Teil Berlins und starb um ein Haar aus. Nun soll er sexy werden.

Die Tafel mit der Firmengeschichte hat Ali Ayar rausgeworfen. Und das rote Buffet mit den beiden Elefanten soll auch weg – Ayar, Wirt des „Schmalen Handtuch“ am Platz der Luftbrücke, mistet aus. Er will bald eine neue Kneipe in dem Tempelhofer Kiez eröffnen. Ohne den alten Krempel.

Dabei ist das Buffet, das man im Berlinischen genauso spricht, wie man es schreibt, ein Teil für’s Museum: Es ist eines der letzten überlebenden Requisiten einer Mampe-Stube. Das waren die Wasserlöcher des legendären Berliner Spirituosenherstellers, der in den 20er Jahren die ganze Stadt mit Gin und Wodka und natürlich vor allem mit dem berühmt-berüchtigten Halb und Halb versorgten.

Die bronzefarben schimmernde Mampe Halb und Halb – ein süßlicher, leicht klebriger Magenbitter, zur Hälfte aus Kräutern, zur Hälfte aus Bitterorange – hat geschmacklich zunächst eine gewisse Ähnlichkeit mit Jägermeister, ist im Nachgeschmack allerdings deutlich herber und bitterer. Doch während Jägermeister in den vergangenen Jahren den Weg in die angesagten Clubs und jungen Bars fand, hat die Mampe ihr natürliches Habitat seit dem Zweiten Weltkrieg nicht ernsthaft verlassen: die Eckkneipen.

Und wie der Tafel mit der Unternehmensgeschichte und dem Buffet im Schmalen Handtuch erging es Mampe in den letzten Jahrzehnten selbst. Erst verstaubte die einst stolze Marke, dann geriet sie mehr und mehr in Vergessenheit, schließlich flog sie aus dem Sortiment. Dabei ist Mampe so eng mit Berlin verbunden wie sonst nur Kindl oder Schultheiß: In den 70ern war Mampe Trikotsponsor von Hertha BSC, und der junge David Bowie wandelte im Film „Schöner Gigolo, armer Gigolo“, in dem auch Marlene Dietrich und Curd Jürgens mitspielen, als Mampe-Litfasssäule durch das imaginäre Berlin der 20er. In den echten 20ern gab es in ganz Berlin „Mampe’s gute Stuben“, von denen heute oft nur noch die Fensterscheiben erhalten sind, wie in einem Fast-Food-Lokal am Ku’damm. Und schon in Döblins „Berlin Alexanderplatz“ verdünnt ein ehemaliger Soldat und Gefängnisinsasse seine Sorgen mit Mampe – damals noch für 30 Pfennige.

Vor dem Krieg hatte Mampe Berlin ganze 78 Sorten in über 250 verschiedenen Flaschenformen im Sortiment. Im Schatten der Mauer hielt sich der Seelentröster mit den 31 Prozent Alkohol hartnäckig. Selbst nachdem vor einigen Jahren auch der Mampe Wodka eingestellt worden war, blieb der Orangen-Kräuter-Likör kleben.

Der Mann, der will, dass man in Berliner Eckkneipen, aber auch in den mondänen Hotelbars und der Kreuzberger Szenegastronomie wieder Mampe Halb und Halb bekommt, heißt Tom Inden-Lohmar. Er ist Chef einer Werbeagentur, die sich auf Spirituosen spezialisiert hat. Als vor wenigen Jahren die niedersächsische Berentzen-Gruppe die Marke Mampe nicht mehr wollte, griffen Inden-Lohmar und sein Geschäftspartner zu. „Die Marke Mampe hat unglaublich viel Geschichte und Geschichten zu erzählen“, erklärt Tom Inden-Lohmar. Neben viel Geschichte kam die Mampe aber auch mit einigem Ballast: Denn einerseits musste Inden-Lohmar einen verlässlichen Produzenten für das Sortiment aus Wodka, Gin und dem legendären Halb und Halb finden – und den Originalgeschmack an einer neuen Produktionsstätte wieder herstellen. Über hundert Gewürze geben dem Getränk angeblich seinen Geschmack, da ist die Wahrscheinlichkeit groß, Fehler zu machen. „Die ersten Flaschen schmeckten furchtbar“, sagt Inden-Lohmar. Dann aber zündete das Mampe-Halb-und-Halb-Geschmacksfeuerwerk wieder, wie es immer gezündet hatte: erst kräuterig, dann fruchtig, schließlich bitter und herb.

Inden-Lohmar und seine Mitstreiter entschieden sich, die langhalsige Flasche mit dem gelben Etikett und dem betrunkenen Kutscher abzuschaffen und Mampe stattdessen in eine moderne, schlichte Flasche abzufüllen, die für Wodka, Gin und Halb und Halb geeignet war und die entfernt an das vom Bauhaus beeinflusste Mampe-Design der 20er Jahre erinnerte. Auch der weiße Elefant, das Wappentier von Mampe, baumelte wieder um den Hals der Flasche. So wie es in der Firmengeschichte von Mampe die meiste Zeit gewesen ist.

Karin Erb, gelernte Pädagogin, leitet das Berliner Mampe-Museum in der Muskauer Straße in Kreuzberg. Ihre erste Mampe trank sie, „weil Mampe das billigste Getränk auf der Karte in einer Kreuzberger Kneipe war“. Erb war sofort angefixt – und geradezu entsetzt, als sie erfuhr, dass der Likörschnaps zu den bedrohten Arten gehört. Sie begann zu recherchieren und zu sammeln.

Noch ist das Mampe-Museum eine kleine Ecke mit Devotionalien in einem Laden, in dem sonst nette Designprodukte verkauft werden. In einem Regal dieses Ladens stehen ein alter Mampe-Kacheltisch, ein hübscher Mampe-Spiegelschrank mit allerlei alten Gläsern und Broschüren sowie diverse Getränke aus dem einst sehr umfassenden Sortiment der Firma – darunter so skurrile Kreationen wie ein in den 30ern erfundener „Mickey-Mouse-Cocktail“, der später als Hauscocktail der Lufthansa bekannt wurde, oder ein von Mampe erfundener TV-Drink namens „Dazu“, der speziell für gemütliche Fernsehabende entwickelt worden war.

Tatsächlich ist Erb, die ihren Besuchern von Drinks wie dem „Mampe Mule“ – mit Ginger Ale – und dem „White Schwampe“ – einer White-Russian-Variation mit Mampe und Sahne – vorschwärmt, die zweimal im Jahr Mampe-Partys veranstaltet und auch einen Mampe-Kegelklub betreibt, selbst das wandelnde Mampe-Museum: Von der Erfindung von Mampes bitteren Tropfen gegen die Cholera im Jahr 1831 über den mehr als 100 Jahre währenden Streit der Erbenfirmen F. J. Mampe und Carl Mampe mit ihren vielfältigen Produkten bis hin zu den teils abwegigen Drinkkreationen mit dem Orangen-Kräuter-Likör – Erb kennt die Geschichten und die Geschichte der Firma Mampe auswendig.

Mit diesem Enthusiasmus ist Karin Erb zu einer Therapeutin für alte Mampe-Freunde geworden: So meldete sich unter anderem ein ehemaliger Produktionsleiter bei ihr, um seine Sicht des Niedergangs zu erläutern – eine alte Dame wiederum schrieb ihr, ob sie Interesse habe, die 1468 Mampe-Elefantenfiguren zu übernehmen, die die alte Dame im Laufe ihres Lebens gesammelt habe.

„Mampe und die Eckkneipen, das ist ein Teil Berliner Identität, der immer mehr verschwindet“, sagt Karin Erb.

Doch die Chancen, dass es so weit nicht kommen wird und Mampe wieder einen Platz in Berlin bekommt, sind nicht allzu schlecht. Bitter-fruchtige und herbe Geschmäcker wie Blutorange und Ingwer erleben neuen Zuspruch und durch den Erfolg von Aperol haben Bitter wieder ihren Platz auf den Getränkekarten erhalten. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Produkten mit Lokalkolorit, bei Berlinern wie bei Zugezogenen, aber auch bei Touristen.

Sein Traum sei es, sagt Werber Tom Inden-Lohmar, dass die Horden begeisterter Berlinbesucher in einigen Jahren am Flughafen BER noch eine Flasche Mampe Halb und Halb kaufen. Nur dass Mampe jemals nennenswerten Gewinn ausschütten wird, der Illusion gibt sich Inden-Lohmar angesichts der übersichtlichen Produktionsmenge nicht hin: „Unser Ziel ist gar nicht, mit Mampe Geld zu verdienen. Aber wir wollen die Marke und die Geschichte erhalten.“ Und wer weiß, vielleicht findet sich so ja auch noch ein Abnehmer für das weinrote Buffet aus dem „Schmalen Handtuch“.

Gin, Wodka und Halb und Halb von Mampe gibt es im gut sortierten Getränkehandel. Eckkneipen und Bars, die Mampe ausschenken, findet man auf der Internetseite www.mampemuseum.de

Zur Startseite