Mode - Berliner Design: Die neue Saison ist da!
Sexy war gestern. Jetzt gibt es hoch geschlossene Blusen, weite Hosen und Samtanzüge. Wir stellen vor, was sich Berliner Designer für diesen Herbst ausgedacht haben.
Wir dürfen machen, was wir wollen! Richtige Trends waren mal. Aber natürlich gibt es doch Gemeinsamkeiten, Kleidungsstücke, die jetzt überall zu finden sind. Wir stellen eine Auswahl vor.
Blusen, hochgeschlossen
„Sex Sells“ – das ist vorbei. Seit einigen Saisons gilt nackte Haut nicht mehr als sicheres Verkaufsargument. Schluppenbluse statt tiefem Dekolleté, Stehkragen statt V-Ausschnitt, Maxi statt Mini: Die Frauen- wie die Männermode gibt sich zugeknöpft.
Warum das so ist? Die neue Lust der Modemacher auf die kompromisslose Verhüllung kann eine deutliche Reaktion auf die sonst so offenherzige Gegenwart sein. In Zeiten, in denen die Menschen unsicher sind, was mit ihren Daten, Tweets und Facebook-Bildern passiert, tut ein bisschen Kontrolle gut. Und die hat man immerhin noch über seinen eigenen Körper und darüber, wie viel man von ihm preisgibt. Also wird geschichtet, gebunden und geknöpft.
Ein weiteres Argument für den Trend zum Biedersinn drückt sich noch ein wenig deutlicher aus: Waren viele Kollektionen der letzten Saisons den Dekaden zwischen den 60ern und 90ern entlehnt, entdecken viele Designer jetzt wieder den Reiz der älteren Kostümgeschichte. Das zeigen viele Linien, die vor allem viktorianisch inspiriert oder sogar als eine Reminiszenz auf mittelalterliche Kleider inszeniert sind – nicht nur im Schnitt, sondern auch im Material. Brokatstoffe, die seit dem 12. Jahrhundert, also der Kunst- und Kulturepoche der Gotik einen festen Platz in der europäischen Schneiderkunst haben, sind aktuell. Für Timm Süßbrich von Barre Noire (Bilderleiste, 2. von links) spielen beide Trends eine Rolle: Über seinen Laufsteg liefen hoch geschlossene Hemden und prunkvolle Brokate. Natürlich sind wir auf der Berliner Fashion Week und nicht im gotischen Feudalismus, deswegen werden seine Hosen schmal, die Mäntel offen und die mit Druckknöpfen bestückten Hemden über der Hose getragen.
Cape, geschultert
Das war abzusehen: Der Weg des traditionellen Capes in die gegenwärtige Mode hat sich schon über die letzten Saisons abgezeichnet. Tragen Figuren der internationalen Szene wie US-Vogue-Chefin Anna Wintour oder die Vizepräsidentin des New Yorker Kaufhauses Bergdorf Goodman ihre Jacketts schon seit Jahren gern lässig über die Schulter gelegt, antworteten viele Designer mit Armschlitzen in ihren Mänteln. Die Ärmel werden bitteschön leger an den Seiten baumeln gelassen.
Jetzt sind Ärmel und Schlitze gleich ganz verschwunden und das Cape in Reinform soll auf die Schultern modebewusster Konsumenten zurück kehren. Da saß es schon vor vielen Jahrtausenden: Mit dem „Himation“ legten sich schon die alten Griechen ein rechteckiges Manteltuch um. Faltenwürfe und Legearten konnten über Stand und Ansehen des Trägers Auskunft geben. Bei so viel repräsentativer Verantwortung musste der „Himation“ mit größter Sorgfalt drapiert werden, sodass das komplizierte Anlegen erst einmal erlernt werden musste.
Die Capes der Berliner Fashion Week geben sich deutlich entspannter: Frida Homanns Ensemble für ihr Label Dyn (Bilderleiste 2. von rechts) zum Beispiel wird einfach die Schultern gelegt. In einem unaufgeregten Beerenton trifft das Stück gleich noch den Trend zum gedämpften Naturton.
Taille, gemustert
Das kommt einem irgendwie bekannt vor: Zwischen Hien Les Mustern für den Herbst 2015 lassen sich durchaus Parallelen zum Frühjahr des Vorjahres ziehen. Auch Karl Lagerfeld hatte für den Frühling 2014 Pinselstriche auf die Kleider von Chanel drucken lassen, die anders als bei Les königsblauer Variante allerdings in allen verfügbaren Farben zu leuchten schienen. Jil Sander hatte etwas ganz Ähnliches gezeigt: Ihre farbenreichen Drucke waren vom Meister der italienischen Kunstbewegung „Arte Povera“, Alighiero Boetti, inspiriert. Die moderne Kunst war damals großes Modethema.
Hien Le bricht seine sportliche Handschrift hier und da mit einer sehr weiblichen Schnittführung. So fokussiert er beispielsweise die Taille und setzt der obenherum schmalen Silhouette in einen weiten Glockenrock entgegen (Bilderleiste, links). Gut, die klassische „Sanduhr-Linie“ kennen wir bereits seit Christian Diors revolutionärem „New Look“ von 1947. Das Können eines Modedesigners aber darf nicht nur in der ständigen Innovation und dem stetigen Neuerfinden des modischen Rads begriffen werden. Klassiker der Mode in die Gegenwart zu transportieren, will auch gekonnt sein – egal ob aus dem letzten Sommer oder den 40er Jahren.
Blouson, landschaftlich
Die Bomberjacke war gestern, heute beschäftigt uns der Blouson. Der hat eigentlich den gleichen Ursprung. Beide sind von der Fliegerjacke abgeleitet, die von der US-Luftwaffe in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eingeführt wurde. Weit geschnitten, damit sich Piloten darin bewegen können, und die Strickbündchen lassen keine Luft herein.
Besonders gut gefällt uns das Model von Tim Labenda (Bilderleiste, 3. von links). Der Schnitt ist schlicht, dafür ist der Stoff so aufwändig verarbeitet, dass er aussieht wie Felder, Wiesen und sanfte Hügel, von oben fotografiert – nur eben in anderen Farben. In Patchwork hat er alle Stoffe miteinander vernäht, die in seiner Kollektion vorkommen, den blau-grünen Karostoff, den grauen Wollfilz, den Stoff mit unregelmäßigen Nadelstreifen.
Überhaupt eignet sich der Blouson gut zum Verzieren. Gern tun das Designer gerade mit Blümchen, das bricht so schön das nicht ganz saubere Image der Fliegerjacke. Der türkische Designer Erdem Moralioglu verziert zum Beispiel für Moncler eine Jacke mit bunten Streublüten auf schwarzem Grund. Aber auch schlicht wie bei Hien Le in Kamelfarben und Königsblau funktioniert der Blouson.
Anzüge, samtig
Anzüge und Samt, das erinnert vielleicht so machen an Konfirmation in den Siebzigern? Goldrichtig! Auf jeden Fall, was das Material angeht. So viel Schimmer war schon lange nicht mehr: Pannesamt, Cord und zwar in dunklen Tönen – gern auch als Latzhose oder bodenlanger Mantel. Gelegentlich erinnert das an Kostümpartys, aber mit dem Anzug von William Fan (Bilderleiste, rechts) kann das nicht passieren. Dafür ist er zu modern geschnitten, oben lockerer Zweireiher, unten Cargohose mit Seitentaschen. Überhaupt haben Anzüge jetzt keine scharfen Kanten, die Hosenbeine sind weit, das Revers fällt weich wie bei Bobby Kolades eleganten Zweireihern aus feinem Kaschmirgarn in Dunkelblau und Rot.
Hose, geweitet
In ein paar Jahren wird man sich fragen: Wie konnte ich nur jemals so enge Hosen tragen? Und vor allem: Was mache ich mit den vielen Skinnyjeans, die sich in zehn langen Jahren bei mir angesammelt haben?
Neu ist der Versuch nicht, der engen Hose den Garaus zu machen. Menschen mit Modebewusstsein und Blog propagieren schon länger, dass weite Hosen auch schön sind. Aber wenn sich alle in Hosen zwängen, die keine Fragen offen lassen, hält man das irgendwann für ganz normal. Das hat etwas mit Sehgewohnheiten zu tun und paradoxerweise mit Bequemlichkeit. Die Hose kneifen wegen des hohen Stretchanteils nicht und passen zu allem.
Wenn man es genau nimmt, ist die Hose für Frauen eines der modernsten Kleidungsstücke der Mode, für Männer gehört sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts zur Alltagsgarderobe. Für Frauen war sie erst in den 20er Jahren vorstellbar. Erst mehr als vierzig Jahre etablierte sie sich wirklich in der Frauengarderobe – außerhalb vom Reiten und Fahrradfahren.
Zu Hosen haben viele Designer ein gespaltenes Verhältnis. Es ist nicht einfach, eine zu entwerfen, die gut passt. Deshalb stürzen sich jetzt alle mit so großer Begeisterung auf den Hosenrock, auch Culotte genannt. Die ist nur an der Taille eng, weiter unten ist viel Platz für Falten und dickere Stoffe (wie hier von Antonia Goy aus Double Face, großes Bild).
Die Culotte ist ein sehr schönes, aber eben auch nicht einfaches Kleidungsstück. Sie ruft nach zarten Waden, weil sie eben da aufhört, wo die meist am breitesten sind. Der Vorschlag, sie mit eher klobigen Schuhwerk und geschoppten Strümpfen zu kombinieren, muss ja nicht umgesetzt werden.
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