Mode: Interview mit Chris Rehberger: "Designer haben Angst vor Kritik, das finde ich feige"
Die karierten Taschen kennt jeder. Sie sind billig, aus Plastik und so riesig, dass ein halber Hausstand reinpasst. Ausgerechnet die hat der Grafikdesigner Chris Rehberger umgedeutet zu einer Luxustasche. Was er sich dabei gedacht hat, erzählt er hier.
Chris Rehberger, wie kamen Sie darauf, aus einer Billigtasche ein Luxusobjekt zu machen?
Ich trage diese Taschen seit zehn Jahren mit mir herum, bis sie kaputt sind. Das war einer der Gründe, warum ich dachte, man muss sie haltbarer machen. Ich finde es spannend, Alltagsgegenstände auf einen Sockel zu stellen und so eine Beziehung zu ihnen zu bekommen. Das ist eine Tasche, die es auf der ganzen Welt gibt, es gibt überall einen Namen dafür. Damit muss man doch etwas machen!
Das Muster ist ja auch schon früher in der Mode aufgetaucht.
2007 hat Marc Jacobs Taschen mit dem Muster für Louis Vuitton gemacht. Da hätte ich sogar mit dem Logo leben können, wenn die Tasche aus Leder gewesen wären. Aber das war halt die normale Plastiktasche für viel Geld. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie zu kaufen.
2013 kam das Modehaus Céline.
Die haben das Muster als Stoff verwendet und dazu zwei Taschen herausgebracht, aber nur mit einem Streifen des Musters. Da dachte ich: Seit ihr deppert, das muss man doch richtig machen.
Wenige Modedesigner bauen Dinge eins zu eins nach.
Bei uns im Studio machen wir Design für den zweiten Blick. Wenn man die Tasche auf der Straße sieht, merkt keine Sau, dass sie aus Leder ist, dass finde ich gut. Aber es hat zwei Jahre gedauert, bis wir einen Hersteller gefunden haben.
Living Standards ist eine Untermarke von Ihrer Agentur Double Standards. Ist die extra für die Tasche entstanden?
Das kommt daher, dass wir Produktfetischisten sind. Wir machen Bücher, haben ein Plattenlabel, aber nur Vinyl, wir machen Leitsysteme für Museen, das ist alles anpackbar. Es haben sich so viele Produkte angesammelt, die auf der Website von Double Standards zu sehen sind, dass die Leute fragen, was macht ihr eigentlich? Also haben wir jetzt eine Produktlinie und eine mit Grafikdesign.
„Wir machen unsere Siebdrucke selbst. Das ist ein anderer Effekt, als wenn man den Entwurf zum Drucker schickt und das Poster zurückbekommt“
In Großbritannien wird die Tasche auch „Flüchtlingstasche“ genannt. Wurden Sie kritisiert?
Ja. Designer haben Angst vor Kritik, das finde ich sehr feige. Man kann alles unter verschiedenen Perspektiven beschreiben. Wenn ich Zyniker bin, finde ich alles zynisch. Wenn ich eine positive Einstellung zu diesen Dingen haben will, geht das auch. Ich will das jetzt nicht heiligsprechen, aber es ist eine Hommage an diese Gegenstände. Und natürlich sind wir auch kritisiert worden.
Was war der Hauptkritikpunkt?
Dass jetzt ein schlechter Zeitpunkt für diese Tasche sei. Ich muss sagen: Das ist genau der richtige Zeitpunkt.
Ist es wichtig für Sie, eindeutige Entscheidungen zu treffen?
Wenn du keine Entscheidung triffst, bekommst du nichts fertig. Das ist so in der Gestaltung. Es ist alles eine Sache des Timings, wann du welche Entscheidung triffst. Das hat eine Auswirkung darauf, wie es am Ende wird, egal, was du machst.
Sie haben früh über eine Begabtenprüfung mit dem Grafikdesign-Studium begonnen.
Das hat etwas mit einer naiven Herangehensweise zu tun: sich selbst durch eine fast kindliche Freude zu motivieren.
Ist das Handwerkliche Ihnen wichtig?
Daher der Objektfetischismus. Wir machen zum Beispiel unsere Siebdrucke selbst. Das ist ein anderer Effekt, als wenn man den Entwurf zum Drucker schickt und das Poster zurückbekommt.
Ist das Denken in Objekten in der Familie angelegt? Ihr Bruder Tobias ist Bildhauer.
Wahrscheinlich. Aber ich weiß nicht, woher das kommt. Auch nicht, wie ich zum Grafikdesign gekommen bin. Mein Bruder hat Kunst studiert. Für mich hat sich Grafikdesign besser angehört, da habe mich beworben. Man sollte drei Blatt Typografie abgeben. Das musste ich erst im Brockhaus nachschlagen. Dann habe ich auf der Schreibmaschine meines Vater drei Seiten vollgetippt mit dem Wort Schrift, Schrift, Schrift. Das war meine erste Typografie-Arbeit. Das Repetitive zieht sich bis heute durch.
Ihre grafischen Arbeiten sind oft abstrakt, der Gestalter dahinter scheint nicht so wichtig. Ist das Absicht?
Ich habe immer angestrebt, dass die Sachen sein müssen, als wären sie vom Himmel gefallen. Sie werden auch viel leichter angenommen, wenn man nicht so viel Grafikbudenzauber macht. Was wir hier machen, ist mehr eine Fragestellung als der Versuch, über das Grafikdesign eine Antwort zu liefern.
Viele sind ja der Meinung, dass am Ende der Designer kommt und die Sachen hübsch macht.
Wir sind die Nicht-Hübschmacher. Das ist das, was mich am Grafikdesign am meisten stört, dass du wie ein Schaufensterdekorateur behandelt wirst. Mich langweilt es auch, eine schöne neue Schrift rauszusuchen. Wir arbeiten mit neun oder zehn Schriften, die drücken aus, was ich will. Du brauchst nicht viel, um das Geschriebene anders darzustellen. Der Buchstabenabstand macht plötzlich ein komplett anderes Wort daraus.
Gibt es weitere Projekte für Living Standards?
Das Nächste sind Lampen, die wir im Harz in einer Glasbläserei machen lassen. Die sind für einen Shop für die Firma Camper entstanden. Wir haben einen Physiker ausrechnen lassen, wie sich das Licht beim Sonnenuntergang auf Mallorca zusammensetzt. Leider sind wir auf 50 Lampen pro 30 Quadratmeter gekommen, aber Camper hat es gemacht. Als wir das erste Mal das Licht angemacht haben, war der Eindruck wirklich wie auf Mallorca. So sind die Prozesse bei uns.
„Ich messe einem Ort nicht viel Gewicht bei“
Stichwort Grafikdesigner als Schaufensterdekorateur. Müssen Sie von vornerein klarstellen, wie Sie arbeiten?
Auftraggeber, die nur Deko und den letzten Grafikhit landen wollen, haben wir nicht. Den heißen Scheiß sollen die jungen Menschen machen.
Ist Berlin wichtig?
Ich messe einem Ort nicht viel Gewicht bei. Natürlich ist es schön, wenn man all seine Freunde um sich hat, aber das ist nicht berlinspezifisch.
Haben Sie nicht das Gefühl, hier in der Stadt mitzugestalten?
Na gut, die Bauzaundichte in Berlin ist höher als in München oder Frankfurt. Es ist toll, dass es hier all diese Plakatwände gibt, auf denen die verschiedensten Veranstaltungen kommuniziert werden. Diese direkte Gegenüberstellung von „River Dance“ und dem coolen Kunstplakat gibt es nur in Berlin.
Chris Rehberger, 46, geboren in Schwaben, ist einer der wichtigsten deutschen Grafikdesigner. Seit gut 25 Jahren prägt er mit seinen Entwürfen die Umgebung. In den 1990er Jahren entwarf er MTV-Plakate, für die er verschiedene Typen porträtierte, versehen mit einem passenden Stichwort wie „Egoist“ oder „Schlampe“. Er gestaltete das Erscheinungsbild und Wegesystem in vielen Museen wie der Schirn in Frankfurt, dem Kunstgewerbemuseum in Berlin und dem Haus der Kulturen der Welt. Er entwirft aber auch für Modemarken wie Camper, Lacoste oder Nike Kampagnen, Ladeneinrichtungen und sogar den Prototypen eines weißen Turnschuhs. Seit fast 20 Jahren betreibt er das Plattenlabel Perlon, er veröffentlicht ausschließlich Vinylplatten für elektronische Tanzmusik. Mit seinem Bruder Tobias Rehberger, dem Künstler und Bildhauer, ist er eng verbunden. Die beiden arbeiten immer wieder zusammen.
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