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Kraftvolles Tier: der Wisent.
© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (71): Der Wisent

Das größte Wildrind Europas war beinahe ausgestorben, bis der Berliner Zoo ein umfangreiches Zuchtprogramm auflegte.

Dass Größe relativ ist, lässt sich derzeit an den benachbarten Wisent- und Bisongehegen im Zoo in Reinkultur besichtigen. Die Bisons, die von Natur aus größere Variante des urtümlichen Wildrinds, haben aktuell das Pech, von einem etwas kümmerlichen Bullen geleitet zu werden, während bei den Wisenten Spretan der Chef ist, ein achtjähriger Bulle, der für Wisentverhältnisse ohnehin stattlich geraten ist – aber nun in direkter Nachbarschaft zum mickrigen Bisonchef geradezu gigantisch wirkt.

Sogar, wenn er liegt. Was seine Haupttätigkeit zu sein scheint. Und warum auch nicht? Alles, was Europas größte und schwerste Säugetierart in freier Wildbahn zum Wandern anspornen würde, nämlich die Nahrungs- und Paarungsnot, wird hier frei Haus geliefert.

Um ein bisschen Action in die fünfköpfige Herde – neben Spretan leben dort drei Kühe und ein Junges – zu bringen, mussten die Pfleger um Marco König tricksen. Sie haben mitten im Gehege einen Berg aus Ästen aufgetürmt, was König „Infrastruktur“ nennt. In dem Berg sind Zweige mit Laub versteckt, nach denen die Rinder suchen können.

Kein Fluchttrieb

Die Arme aufs Gehegegitter gestemmt kann König viel über die Tiere erzählen, die ihm in ihrer ruhigen, kraftvollen Art sehr gefallen. Wisente, sagt er, seien Meister der Futterverwertung.

Sie könnten dank ihres hoch spezialisierten Magensystems im Winter vom kargen Gestrüpp leben und im Sommer auf energiereiche Früchte umstellen, ohne Bauchschmerzen zu kriegen.

Dass die Tiere bereits so gut wie ausgestorben waren, lag entsprechend nicht am Nahrungsangebot, sondern am Menschen. Der hat gerne und ausgiebig Jagd gemacht auf die Tiere, weil sie – bis zu drei Meter lang und einen Meter 80 hoch und von keinem Fluchttrieb beherrscht – schön leicht zu treffen waren.

Spretan aus Springe

Als von der prächtigen Art nur noch 56 Tiere am Leben waren, und die allesamt in Gefangenschaft, wurde 1923 im Berliner Zoo die „Internationale Gesellschaft zur Rettung des Wisents“ gegründet, die so erfolgreich ans Werk ging, dass heute in Europa wieder mehr als 3500 Tiere leben, in Zoos, Wildparks und in halb freien Herden.

Ein jüngerer Spross dieser Erfolgsgeschichte ist Bertold, das Junge im Zoo, das im Juni zur Welt kam. Die Namensgebung ist als Pfad durch die Herkunftsorte gedacht. Bertold, weil der kleine Bulle im Berliner Zoo zur Welt gekommen ist. Seine Mutter Bellinda ebenfalls. Vater Spretan kam in Springe, Niedersachsen, zur Welt.

Und Marco König? Der Tierpfleger ist aus Berlin. Aber seine Tierliebe hat er in Österreich entdeckt, auf dem Bauernhof des Großvaters, wo er sich um die Rinder kümmerte.

Sanfter Vater

Wenn er jetzt die Wisente beobachtet, ist ihm anzumerken, wie zufrieden er mit ihnen ist. Spretan sei ein besonders ausgeglichener Bulle, sagt er. Der lasse sich sogar an der Schnute streicheln. Wenn die Tiere entspannt sind, wird auch entspannt mit ihnen umgegangen.

Wobei das Kalb Bertold eine Ausnahme sei und natürlich lebhafter als der Alte. Der Nachwuchs schlüpfe manchmal im Wisenthaus an der Mutter vorbei und renne mit in Spretans Box. Und? Der Bulle schiebe ihn dann sanft wieder hinaus. Statt ihn zu zertrampeln. Was für ein Vorbild!

WISENT IM ZOO

Lebenserwartung:  20 Jahre

Fütterungszeiten:  keine festgelegten Termine

Interessanter Nachbar: Bison, Yak

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