Berliner Schnauzen (23): Der Pater-David-Hirsch
Ohne Berliner Exemplare würde es diese Tierart heute nicht mehr geben. Eine Annäherung an manchmal garstige Geweihträger.
Hellboy ist 200 Tage im Jahr schlecht drauf. Heute ist einer davon. Zwar gilt eine gewisse Übellaunigkeit als typisch für Hirsche, Hellboy, der Pater-David-Hirsch aus dem Zoo, ist aber ein besonders garstiges Exemplar. Er senkt den Kopf, wie man es von Stieren kennt, spannt einen Muskel unter den Augen an, so dass die noch größer und tiefer wirken. Dann zieht er seine Lippe hoch, ein alter Reflex: Einst befand sich hier bei den Davidshirschen ein spitzer Eckzahn. Dass Hellboy keine Frohnatur ist, muss man ihm nachsehen. Er hatte es in der Vergangenheit nicht leicht. Schon vor Jahrhunderten waren diese Hirsche in ihrer Heimat Asien fast ausgestorben. Nur der Kaiser von China hielt einen kleinen Rest in einem Park südlich von Peking. Es war streng verboten, den zu betreten oder auch nur über die Mauern zu linsen. 1865 bestach der Jesuitenpater Armand David eine Wache und erblickte als erster Europäer das seltene Tier. Es gelang ihm, einige Felle und damit das Wissen um die Hirsche nach Europa zu schmuggeln. Kurz darauf schenkte der chinesische Kaiser Frankreich, England und Deutschland ein paar der Tiere. Das war deren Rettung! Viele der Zurückgebliebenen ertranken bei einer Flut, die restlichen wurden während des Boxeraufstands geschlachtet. Die europäischen Exemplare, darunter zwei Berliner, wurden zum Herzog von Bedford nach England gebracht, der sie dann erfolgreich züchtete. In Europa heißt das Tier nach seinem Entdecker Pater David, in China nannten sie ihn „sì bù xiàng“, „vier in einem“. Tatsächlich sieht er aus wie aus vier verschiedenen Tieren zusammengezimmert: Er hat den längsten Schweif im Hirschreich, ähnlich dem eines Esels. Fürs Mückenvertreiben. Leider ist er nicht so anmutig wie manch anderer Hirsch, sondern lebt im tonnenförmigen Körper einer Kuh. Er hat Hufe wie Rentiere, sie lassen sich weit spreizen – dabei entsteht ein lautes Klicken – und die Tiere sinken in Sumpf- oder Schneegebieten nicht ein. Die Verzweigungen seines Geweihs weisen, anders als bei anderen Arten, nach hinten. Im Zoo haben sie Hellboy entwaffnet. Pünktlich zur Paarungszeit sägt man ihm den Kopfschmuck ab. Vollgepumpt mit Testosteron würde er sonst die komplette Anlage umpflügen. Es bleiben zwei kleine Teufelshörner, denen Hellboy seinen Namen verdankt. Zur Brunft durchtränkt er sein Fell mit Urin, das lockt die Frauen an. Für Tierpfleger Martin Reim stinkt es nach „Erde, Leder und totem Tier“. Dann jagt Hellboy seinen Weibern, der „dicken Bertha“ und der „Kleinen“, stundenlang nach, bis sie ihren Eisprung haben. Dabei nimmt er stark ab, neben dem Gerenne bleibt schließlich kaum Zeit zum Essen. Bei diesem wilden Liebes- und Fangspiel wäre sein Geweih eine echte Gefahr für die Frauen und die Pfleger. Im Gehege hinter dem Antilopenhaus nähert sich Hellboy gerade der dicken Bertha, zieht die Oberlippe hoch. Dort befindet sich das Jacobson-Organ, mit dem er den Status der Kuh wittert. Ob sie Interesse hat, dünstet sie vaginal aus. Heute hat Hellboy keinen Erfolg bei den Damen. Jetzt ist er endgültig mies gelaunt, schwenkt seinen Penis, ein weiteres Warnsignal, und brüllt. Das klingt zwar eher scheppernd als bedrohlich, aber dennoch: Höchste Zeit, sich von Hellboy zu verabschieden.Antonia Rizzuti PATER-DAVID-HIRSCH IM ZOO Lebenserwartung: 18 Jahre Jungtiere: einmal im Jahr, gerade keine Interessanter Nachbar: Moschushirsch
Antonia Rizzuti