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Die inneren Werte zählen. Bestimmt.
© dpa

Berliner Schnauzen (4): Der Nacktmull

Sie gelten als die hässlichsten Tiere der Welt, man nennt sie „Penisratten“; wären sie vom Aussterben bedroht, es wollte sie wohl niemand retten.

„Bin ich abnormal, wenn ich Nacktmulle wirklich niedlich finde?“, schreibt eine Userin ins Forum der Teenager-Zeitschrift „Mädchen“. Vor ein paar Jahren wurden die Tiere Kult, tauchten in Liedern auf, als Comicifguren, in Klickstrecken auf Platz 1 der abscheulichsten Geschöpfe. Im Berliner Tierpark wohnen sie in einer Holzhütte im Giraffenhaus. Oft verziehen Besucher angeekelt das Gesicht, auch, wenn wie jetzt, 15 winzige Junge im Streu strampeln. Nackt und faltig sind sie und werden es auf ewig bleiben.

Viel Spott mussten diese Verwandten des Stachelschweins ertragen. Das ist der Preis für evolutionäre Überlegenheit. Dabei wäre der Welt geholfen, wenn wir alle ein bisschen mehr Nacktmull wären. Nacktmulle sind genügsam, sie brauchen kein Licht, erfühlen sich ihre Welt mit wenigen borstigen Tasthaaren. Nacktmulle sind Vegetarier, ernähren sich von Wurzeln, Knollen, Rüben und essen sogar ihren eigenen Kot. Sie trinken nicht – sparsamer Umgang mit der bedrohten Ressource Wasser –, sondern ziehen alle Flüssigkeit aus der Nahrung. Nacktmulle empfinden angeblich wenig Schmerz. Ihrer Haut fehlt die Substanz P, die bei der Schmerzwahrnehmung mitwirkt. Nacktmulle bekommen keinen Krebs. Sie bilden eine Säure, die Krebswachstum blockiert. Zu Tausenden werden sie deshalb in Laboren erforscht.

Eigentlich leben Nacktmulle in Ostafrika, in Wüstengegenden. Mit nassen Lappen über einem verzweigten Höhlenbau aus Plexiglas und Heizlampen ahmt der Tierpark dieses Mikroklima unter der Erde nach – beständige 30 Grad und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. Plötzlich schiebt sich die Königin der Kolonie durch die Gänge. Sie ist mit 45 Gramm der größte Mull im Bau und als Einzige fruchtbar. „Man vermutet, dass sie die anderen Tiere mit sozialer Dominanz steril macht“, erklärt Florian Sicks, Säugetierkurator im Tierpark. Gerade nagt die Königin an den Genitalien eines ihrer Untertanen. Dann wankt sie – unsanft über andere Mulle hinweg – zu ihrer Brut und bietet ihre geschwollenen Zitzen an. Wenn sie stirbt, werden mehrere Untertanen wieder fruchtbar, die stärkste Mullfrau gewinnt das Reich.

Die Nacktmulle haben also auch noch eine funktionierende Regierungsform entdeckt, sie leben in der „Eusozialität“. Wie Ameisen oder Termiten bilden sie einen Staat mit perfekter Arbeitsteilung. Ältere Mulle graben mit den Stoßzähnen Gänge in die Erde, andere bewachen wie Soldaten die Eingänge gegen Feinde wie die rötliche Schnabelnasen-Natter. Die halbstarken Mulle kümmern sich um ihre rosigen Geschwister. Sie stoßen den blinden Wesen ihre Schneidezähne in die faltige Haut und zerren sie unbekümmert durch die steilen Gänge. Nachts schleifen sie die Babymulle in die Schlafhöhle, dann kuscheln alle gegen die Wüstenkälte. Die Pfleger legen ihnen Zellstoff, Küchenpapier, ins Nest. Hygienisch sind die Mulle auch, ihre Toilettenräume richten sie stets in Sackgassen ein, leicht zu säubern. Kurz: Wir sollten uns ein Beispiel an den Mullen nehmen – die inneren Werte zählen.

NACKTMULLE

Jungtiere: momentan zu sehen oder in 80 Tagen, wenn die Königin erneut wirft.

Exklusivität: Der Tierpark ist der dritte Zoo Deutschlands, der die Mulle hält.

Interessanter Nachbar: Rothschildgiraffe.

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