Orientalische Küche: Der Kichererbse auf der Spur
Sie reist um die Welt, klopft an alle Türen, sammelt Rezepte und Geschichten ein: Claudia Roden erforscht jüdische und orientalische Küche.
Ich hätte es wissen müssen. Eine Verabredung nachmittags um halb drei, das bedeutet normalerweise: nach dem Lunch. Also hab’ ich mich vor unserem Gespräch gestärkt. Aber Claudia Roden ist nicht normal. Bei ihr dreht sich alles ums Essen. Sie forscht übers Essen, sie schreibt übers Essen, sie filmt das Essen, sie schwärmt vom Essen, sie kocht das Essen und dann serviert sie es. Für ihre Gastfreundschaft ist Claudia Roden berühmt. Für ihre Kochtalente sowieso.
Die Londonerin gilt als große alte Dame der orientalisch-jüdisch-mediterranen Küche, auch wenn sie klein und zierlich ist. Und alt? In ihren Bewegungen wie beim Erzählen wirkt die 77-Jährige eher wie ein junges Mädchen. Eine Dame ist sie auf jeden Fall, etwas Feines, Apartes hat die aus Ägypten stammende Jüdin, eine natürliche Eleganz.
Auf dem Küchentisch ihres lauschigen Hexenhäuschens stehen malerisch arrangierte Platten bereit, Crostini, üppig mit einer Mischung aus Parmesan und Rahm bestrichen, Lachsschnittchen, Wildkräutersalat (aus dem Supermarkt, wollte sie mal testen). Dazu stellt sie noch eine Schüssel Babyoktopus-Kartoffelsalat draußen auf die provencalische Tischdecke. Sommerfrische im Londoner Norden.
Ihr englischer Rasen ist eine ungemähte Gänseblümchenwiese, zwei Katzen aus der Nachbarschaft streichen an uns vorbei, von links nach rechts die eine, von rechts nach links die andere („Oh, die kenn ich noch gar nicht“), schnell macht die Hausherrin die Terrassentür zu. Auch die Katzen wissen, was gut ist.
Claudia Roden entschuldigt sich: dass sie keine Zeit zum richtigen Mittagessenkochen hatte. Sie steht unter Druck, muss die Aktualisierung ihres italienischen Kochbuchs zu dessen 25-jährigen Jubiläum abschließen. In der Zwischenzeit hat sich viel getan, die Leute haben nicht mehr so viel Zeit zum Kochen. Brauchen es auch nicht. Vor einem Vierteljahrhundert musste Roden noch erklären, wie man Cannelloni macht, heute kriegt man sie in jedem englischen Supermarkt.
Aufgewachsen in einer großbürgerlichen kosmopolitischen Familie, kennt Roden sich in vielen Ländern aus. In Kairo sprach sie als Kind mit ihren Eltern französisch, mit der Nanny italienisch. Als junge Frau hat sie drei Jahre lang für Alitalia gearbeitet und jede Gelegenheit, günstig zu fliegen, genutzt, so lernte sie Venedig, Sizilien, Mailand kennen. Hotels brauchte sie nicht. „Ich hatte überall Verwandte.“
Der Babyoctopussalat ist ein Überbleibsel vom italienischen Testessen am gestrigen Abend zu dem sie – wie meistens: spontan – ein paar Freunde eingeladen hat. Claudia Roden ist eine Versuchskaninchenzüchterin. Ihre drei Kinder, die sie nach der Trennung von ihrem Mann alleine großzog, inzwischen auch deren Kinder, Freunde, Bekannte, Verwandte – alle treten zum Testessen an. Minutiös hält sie hinterher im Computer fest, wem was wie geschmeckt hat. In ihren Büchern, dick und schwer wie gemästete Gänse, steht kein Rezept, das sie nicht selber ausprobiert hat. Es darf ruhig kompliziert und aufwändig sein, etliche sind es auch – aber wenn man drei Stunden für ein Gericht in der Küche steht, dann, findet sie, muss es sich schon lohnen. Aus rein akademischen Gründen nimmt sie kein Rezept auf.
Schon zu einer Zeit, als es in Zeitungen noch ausschließlich ein Thema für Hausfrauen war, hat die Pionierin sich ernsthaft mit dem Essen befasst. Der „Daily Telegraph“ schickte sie los, auf dass sie so darüber schreibe, dass es auch Männer interessiert. 1968 erschien ihr „Book of Middle Eastern Food“, in dem sie den Spöttern zeigte, was für eine Kultur hinter dem orientalischen Essen steckte – mit so viel Erfolg, dass zwei Jahre später die Fortsetzung folgte.
Ihre Bücher, knapp 20 insgesamt (auf Deutsch: „Die orientalische Küche“ und „Spanien“ im Christian Verlag, „Die jüdische Küche“ im Mandelbaum Verlag), liegen auch auf dem Nachttisch von Kochstar Ottolenghi. Als der Israeli in jungen Jahren nach London kam, war er ganz in die französische Patisserie verliebt. Wenn Freunde ihn nach Rezepten seiner Heimat fragten, gab er ihnen welche von Roden. Noch immer liest er ihre Klassiker zur Inspiration. „My great friend“, nennt Roden ihn und strahlt. Sie bewundert Ottolenghis „unglaubliches Talent“, Ästhetik und Geschmack aufs Prächtigste zu vereinen. Schon oft hat sie, gerade in den stark von der Foodfotografie geprägten USA, erlebt, dass Speisen wie Kunstwerke aussahen und nach nichts schmeckten. „Nicht mal gesalzen war das Essen dort!“
„Die kulturelle Anthropologin“ wird Roden gern genannt, auch wenn sie weder Anthropologie noch Geschichte studiert hat, sondern ein paar Semester Kunst. Als Privatgelehrte forscht sie im eigenen Auftrag, ohne Uni im Hintergrund. Zum Forschen und Schreiben nimmt die Amateurin sich wie beim Kochen Zeit: Fünf Jahre für „Spanien“, 15 für das Buch über die jüdische Küche. Am liebsten, sagt sie und lacht, würde sie mit dem Recherchieren nie aufhören. Sie wälzt Folianten in Bibliotheken, liest Kochbücher aus dem Mittelalter, aber vor allem befragt sie Menschen. Als Forschungsreisende in aller Welt unterwegs, fragt sie Großmütter, Bauern und Küchenchefs, wie sie ihren Kichererbseneintopf zubereiten, ihren Lamm-Couscous, was ihr Lieblingsrezept ist. Klopft an fremde Türen, geht in die Küchen, guckt in die Töpfe. Diese Begegnungen mit Menschen – das ist es, was ihr am meisten Freude macht. Ihre ersten Rezepte hat sie bei irakischen Treppenhändlern in London gesammelt.
Claudia Roden wird gern zu Vorträgen eingeladen, nicht zuletzt, weil sie ihr ungeheures Wissen so freundlich und unprätentiös mit anderen teilt. In zwei Wochen begrüßt sie die Teilnehmer des Oxford Food Symposiums, auf dem es um Themen wie die Rolle der Serviette im modernen Drama geht, um den Aufstieg des Picknickkorbs und das Kochen an der Front im Ersten Weltkrieg. Roden ist Präsidentin des jährlichen Symposiums, das 1981 von dem Historiker und Philosophen Theodore Zeldin und dem Diplomaten Alan Davidson gegründet wurde, der 20 Jahre lang an seinem „Oxford Companion to Foods“ gearbeitet hat, einer Enzyklopädie, von der man in Deutschland nur träumen kann. Ein paar hundert Teilnehmer werden zur Tagung erwartet – in der angelsächsischen Welt hat das Essen sich zu einem heiß begehrten Forschungsgegenstand entwickelt. Historiker und Anthropologen, Philosophen und Psychologen, alle widmen sich den Food Studies. Wenn sie früher jemandem erzählt hat, dass sie über Essen schreibt, so Roden, wurde sie nur mitleidig angeguckt.
Kosmopolitin, die ist, hat sie noch ein zweites Zuhause: in Paris, der Stadt ihrer Jugend. Dort hat sie als Teenager zwei Jahre die große Freiheit genossen – bis ihre Eltern 1956 wie zehntausende Juden Ägypten verlassen mussten und nach England gingen, wo die Tochter sie unterstützte. So stieß sie auf ihr Lebensthema: Ständig tauschten die Emigranten Rezepte aus, bekochten einander, das Essen war das, was ihnen von ihrer Heimat geblieben war. So begann Claudia Roden zu sammeln und zu schreiben, schnörkellos, in einfachen Sätzen, vollgepackt mit Informationen. Eine Geschichtenerzählerin ist sie, denn das ist es, worum es ihr beim Essen immer geht, was ihr an den Gesprächen am meisten gefällt: die Geschichten hinter den Speisen. Die Gefühle.
Zum Nachtisch gibt es köstliche Erdbeeren, dazu Double Cream, die Roden sich großzügig über die Früchte löffelt. Stundenlang könnte sie so sitzen und erzählen, in ihrem Englisch, in dessen Melodie noch immer die alte Heimat mitschwingt: von ihrer Tochter, die in New York Eis am Stiel produziert hat, von der Odyssee der Juden durch die Welt, ihrer sephardische Familie, den Ess-Moden in den USA.... Wenn ich nicht zum Flughafen müsste. Natürlich fährt sie mich zur U-Bahnstation, am riesigen jüdischen Friedhof und Krematorium vorbei, der vor ihrer Haustür liegt. Den Tod immer vor Augen, feiert Claudia Roden tagtäglich das Leben.
Susanne Kippenberger
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