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Hat keine roten Augen: der Pfau.
© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (60): Der Blaue Pfau

Es ist etwas in Unordnung geraten. Die eigentlich standorttreuen Pfaue reißen manchmal aus dem Tierpark aus. Sind die Füchse schuld?

Es gibt eine Kurzgeschichte von Raymond Carver, in der ein alter, stinkender Pfau einen Auftritt hat. Er kitzelt das Baby des Paares, bei dem er lebt, indem er seinen Kopf unter dessen Leibchen steckt. Das Baby ist das hässlichste Baby, das der Erzähler je gesehen hat, „zu sagen, es sei hässlich, war noch geschmeichelt“, schreibt er und ekelt sich sehr vor der Szene.

Formuliert ist das reduziert und furchtbar präzise, wofür der Autor auch berühmt wurde, aber dann steht da, der Pfau habe rote Augen. Und das stimmt gar nicht.

Der Blaue Pfau, lat. Pavo cristatus, hat schwarze Augen, sogar dann, wenn er ausnahmsweise wie ein Albino weiße Federn haben sollte. Im Tierpark kann sich davon überzeugen, wer dem Vogel, der Ordnung nach ein Hühnerartiger, begegnet, was überall sein kann, denn rund 35 Pfauen spazieren dort ganzjährig frei herum.

Das geht, weil der Vogel dem Wesen nach ein standorttreues Tier ist. Wenn er fliegt, dann in der Regel weniger weit als hoch in die Bäume, wo er übernachtet. Doch in jüngster Zeit ist etwas in Unordnung geraten bei den Pfauen, sagt Vogel-Kurator Martin Kaiser. Immer wieder sind einige weggeflogen, raus aus dem Tierpark, dann kamen Anrufe aus der Gegend: Ihr Pfau ist in unserem Garten. Diese Ausbrecher leben inzwischen in einem riesigen Käfig. Ein Weibchen und ein Dutzend Männchen, die untereinander ganz friedlich sind. Von Revierkämpfen keine Spur. Richtig prächtig ist von den Tieren im Käfig keins, die langen Zierfedern zeigen viel Kiel, wirken etwas zerfranst oder sind überhaupt noch etwas zu kurz für den besonders prachtvollen Auftritt. Einer der jüngeren Vögel – die Pfauen vermehren sich problemlos – übt sich anlasslos im Radschlagen. Dazu stellt er seine Schwanzfedern, schwarzweiß und kräftig, auf, die die langen Schmuckfedern halten, wenn er sie auffächert. Keins der anderen Tiere nimmt den Balzversuch zur Kenntnis, auch das Weibchen nicht, das graubraun blass und völlig unauffällig am Rande hockt.

Diese Unauffälligkeit ist ihr Überlebenstrumpf. Pfauen sind Bodenbrüter, würde das Weibchen blaugrün bunt leuchten wie die Männchen, wäre sie eine leichte Beute für alle Jäger.

Die Jäger, sprich: die Füchse, die es sich im Tierpark gemütlich gemacht haben, sind auch der Grund dafür, dass die ausgebüxten Pfauen hinter Gittern leben. Gäbe es sie nicht, könnte man den Vögeln die Federn stutzen. Aber das geht so jetzt nicht, denn dann könnten sie nicht mehr vor den Füchsen flüchten.

Eine unbefriedigende Situation. Vermutlich kommen die nicht mehr zuverlässig standorttreuen Vögel weg, möglicherweise auf die Pfaueninsel, wenn die noch Bedarf haben sollte. Unbefriedigend endet auch die Geschichte von Raymond Carver. Nach dem Besuch bei der Familie mit dem hässlichen Baby und dem Pfau wird der Erzähler selbst auch Vater, und alles ändert sich. Auch der Kontakt zur besuchten Familie. Selten sprechen die Männer über ihre Söhne. „Die Wahrheit ist“, schreibt der Erzähler, „dass mein Junge etwas Hinterhältiges an sich hat. Aber ich spreche nicht darüber.“ Und irgendetwas, das ist klar, hat dieser hühnerartige Vogel damit zu tun, den „man nicht ohne Grund Paradiesvogel nennt“, wie es in der Geschichte heißt.

PFAU IM TIERPARK

Lebenserwartung:  bis zu 20 Jahre

Interessanter Nachbar: Im Käfig steht er zusammen mit Klapperstörchen

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