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Felix Jaehn gehört zu einer seltenen Spezies: Ein DJ, der tanzt.
© Martin Weinhage

DJ-Star Felix Jaehn: Der aus dem Netz tanzt

Felix Jaehn aus Mecklenburg ist dieses Jahr zum Star in Europa aufgestiegen, seinen Erfolg verdankt der DJ auch Instagram, Twitter und Facebook. Eine Nahaufnahme.

Eine Stunde noch bis zum Auftritt um 15 Uhr. Der deutsche DJ Felix Jaehn sitzt auf der Rückbank in einem weißen Range Rover mit verdunkelten Scheiben, eine junge Frau steuert ihn vom Hotel zum Zürichsee, der örtliche Betreuer schwärmt auf dem Beifahrersitz von knapp einer Million Ravern, die an diesem letzten Augustwochenende Zürich heimsuchen und aus der Street Parade endgültig den legitimen Nachfolger der Berliner Love Parade machen sollen.

Felix Jaehn erzählt von den 20 000 Besuchern, die neulich in Marseille sein Set sehen wollten, und von den 30 000 im Juni auf den Hessentagen. „Heute könnte es mehr werden“, glaubt er. Die Hoffnung ist begründet. Felix Jaehn – eigentlich: Jähn, aber das zieht international nicht – hat den Sommerhit 2015 gelandet. Acht Wochen hielt sich seine Coverversion des Chaka-Khan-Hits „Ain’t Nobody“ auf dem ersten Platz der deutschen Charts und klettert gerade in Europa die Hitlisten hinauf. „Gestern Nummer Zwei in England“, freut sich Felix Jaehn.

Auch dank der Fanpflege im Internet. „Ohne Social Media wäre ich nicht da, wo ich heute bin“, sagt der DJ. Dreimal am Tag lädt er Fotos auf Snapchat hoch, zweimal auf Instagram, einmal auf Twitter, dreimal die Woche auf Facebook. Um die Tausenden Follower teilhaben zu lassen, das sei heutzutage wichtig.

Der Wagen hält auf einer Wiese, der 21-jährige DJ und sein älterer Bruder Max, der als Tour-Manager mitgereist ist, schauen aus dem Fenster. Sind wir echt schon angekommen? Eine überschaubare Gruppe Menschen tanzt vor einer großen Bühne. Doch, doch, das ist der Mythenquai, sagt der Betreuer nun etwas kleinlaut, das Ziel ist erreicht. Jetzt müssten nur noch die Besucher kommen.

Er sieht ziemlich jung aus

55 Minuten bis zum Auftritt. Felix Jaehn begrüßt im VIP-Bereich eine Frau und sechs Männer an einem Holztisch, alle vom Management, es gibt Jungs-Frotzeleien. „Brauchst du noch Handschuhe und Schal?“, ruft einer, weil Felix trotz der 30 Grad eine Windjacke trägt.

„Oder lange Hosen?“, lacht ein anderer. Der jungenhafte DJ hat dunkelblaue Shorts an, weiße Turnschuhe und ein schwarzes T-Shirt mit silbernen Streifen am Ärmel. Er ist nicht der Jüngste hier, sieht aber so aus, weil er etwas schmächtig ist und ihm kein Bart wächst. Er setzt sich auf eine Bank, drumherum Sichtschutzplanen und mobile Zäune, das abgesteckte VIP–Rasenstück strahlt so viel Vorzugsbehandlung aus wie die Abfluglounge des Billigfliegers Easyjet.

Eine Frau nähert sich. Darf sie ein Foto vom DJ mit ihrem zwölfjährigen Sohn machen? Felix Jaehn nickt, posiert mit dem Jungen. Der sagt gar nichts, seine Mutter erzählt, wie gern sie hätte, dass der Kleine mal DJ wird, sie selbst hat es nur zur Bankerin geschafft, Zürich eben. „Wie war dein Name?“ – „Felix.“ Sie sucht mit den Augen die Setlist, die eben noch am Zaun hing.

Vom Nobody zum Social-Media-Phänomen

Das hätte nicht passieren dürfen. Egal, ob jemand durch die Schweiz, England oder Italien fährt, aus dem Autoradio wird ihm Felix Jaehn entgegenschallen. Auch sein Remix des Reggaetitels „Cheerleader“ stand weltweit auf dem ersten Platz, und als er an die Spitze der US-amerikanischen Charts gelangte, gratulierte sogar Frank-Walter Steinmeier auf Facebook.

Aber Felix Jaehn hat andere Sorgen. In 45 Minuten soll er auf die Bühne in Zürich steigen, 90 Minuten lang Tracks spielen, die Massen beglücken – so haben es sich die Menschen vorgestellt, die ihn vor mehreren Monaten gebucht haben. Damals war er noch ein Nobody aus Nordwest-Mecklenburg, ein BWL-Studienabbrecher und Kinderzimmer-Musikproduzent.

Jetzt ist er ein Jugendmagnet, Social-Media-Phänomen und Musikidol. Das leider zur falschen Zeit auftritt. Denn die Parade zieht tatsächlich durch Zürich, weil aber gerade viel gebaut wird in der Innenstadt, musste die Bühne an den Zentrumsrand verlegt werden. Etwa 30 Menschen drängen sich an das Gitter, als Saint Wknd, ein schlanker junger DJ aus München, auflegt. Die Wiese dahinter ist frei, Felix und Max Jähn sind nervös.

Gestern abend gefeiert: ohne Alkohol

Überall in den Charts: Felix Jaehn aus Nordwest-Mecklenburg.
Überall in den Charts: Felix Jaehn aus Nordwest-Mecklenburg.
© Nicolas Kantor

Es hilft auch nicht, dass der DJ nur zwei Stunden geschlafen hat. Am gestrigen Abend hat er seinen 21. Geburtstag in einer Lübecker Diskothek gefeiert. Die Schlange zog sich um den ganzen Block des Clubs, 600 Menschen im „Parkhaus“, Felix kam nur mithilfe eines Bodyguards hinein, und er musste für Selfies lächeln. Um Mitternacht hat er aufgelegt, um zwei Uhr ein Glas Champagner getrunken, um vier Uhr lag er im Bett, zwei Stunden später stand er auf, damit er um elf Uhr mit der Linienmaschine aus Hamburg in Zürich landen konnte.

28 Minuten bis zum Countdown. Felix Jaehn trinkt Wasser mit Sprudel, „bloß keinen Alkohol, wenn ich auflege, sonst würde ich all das hier nicht durchstehen“, sagt er. „Ich bin halt ein bisschen vernünftiger.“ Die Reiserei schlaucht, vor zwei Wochen New York, in einer Woche Mexico City, 14 Tage später das Lollapalooza-Festival in Berlin. Felix Jaehn arbeitet in einer Hedonismusindustrie und lebt das Gegenteil vor. Keine Exzesse, er ist so clean wie sein Gesicht.

Ganz zum Schluss: Cheerleader

Durch den Vorhang schaut er auf die Besucher. „Im Kopf ändere ich gerade meine Playlist.“ Er wird mit „Photograph“ beginnen, sein Remix eines Ed-Sheeran-Songs, der auch gerade im Radio hoch und runter läuft. Danach vor allem Tracks mit Gesangsparts, damit die wenigen Menschen, die da sind, bleiben, und neue leichter einsteigen können. Sein letztes Lied, das weiß er, wird der Remix von „Cheerleader“.

Mit diesem Stück hat der Ruhm vor einem Jahr angefangen. Ein Manager des Musiklabels Ultra war auf Jaehn aufmerksam geworden, weil er selbstproduzierte Titel auf der Website Soundcloud hochgeladen hatte und von Blogs wie Hypemachine gelobt wurde.

Der DJ Robin Schulz aus Osnabrück hatte mit „Prayer in C“ gerade aus einem obskuren Folktitel einen weltweiten Dance-Hit gezimmert. So etwas Ähnliches wünschte sich Ultra noch einmal und beauftragte Jaehn mit einem Remix für den unbekannten Reggae-Musiker Omi aus Jamaika. Zuerst stieg die Nummer in Schweden in die Charts. Der Rest ist seine Erfolgsgeschichte.

Eine kleine Kontroverse

„Die Welt“ schrieb stolz vom ersten deutschen Künstler, der seit 26 Jahren an der Spitze der US-Charts steht. Die „Süddeutsche Zeitung“ konterte, der Titel sei immer noch von einem Schwarzen gesungen und witterte popkulturellen Kolonialismus. Felix Jaehn hat sich nur gewundert. Nie hat er behauptet, es sei sein Stück, aber ohne ihn wäre es nie so berühmt geworden. Und was sagt der Sänger Omi? „Er hat sich nie gemeldet.“ Ein Jahr Dauerrotation auf der ganzen Welt – und die beiden Hauptakteure haben kein Wort miteinander gewechselt.

14.55 Uhr. Jetzt wird es ernst. Max Jähn legt die Handtücher für seinen Bruder heraus, ein paar Flaschen Wasser und eine Club-Mate. Felix Jaehn geht die Treppe zur Bühne hoch. Er nimmt die Sonnenbrille ab, weil er es doof findet, wenn sich DJs dahinter verstecken.

Ohne Vinyl, nur mit USB-Sticks

Drei Minuten vor der Zeit geht er hinter das Mischpult. Er begrüßt Saint Wknd, beide schlagen sich ab, wie es Spieler auf dem Basketballfeld tun. Und jetzt sieht man plötzlich, wie sehr sich das Auflegen von elektronischer Musik in den letzten 20 Jahren verändert hat. Felix Jaehn holt aus seinem schwarzen Nylon-Turnbeutel zwei USB-Sticks heraus, nicht größer als Filzstifte, darauf hat er 500 bis 1000 Tracks, geordnet in einem Dutzend Playlisten, er stöpselt die Datenträger jeweils links und rechts in die Musikanlage, das war’s. Er kann beginnen.

Plattenkoffer tragen? Das kennt er nicht. Als Felix geboren wurde, feierte Deutschland den ersten Techno-Hit. Marusha trällerte 1994 „Somewhere over the Rainbow“, Felix hat gerade keine Ahnung, wie dieses Lied geht. Mit Vinyl ist er nicht aufgewachsen, er hat CDs von Eminem und Linkin Park gekauft, sein erstes Konzert war 2006 der Rapper 50 Cent im Hamburger Stadtpark.

Sein Hit ist ein Hit bei den Besuchern

Felix Jaehn gehört zu einer seltenen Spezies: Ein DJ, der tanzt.
Felix Jaehn gehört zu einer seltenen Spezies: Ein DJ, der tanzt.
© Martin Weinhage

Punkt 15 Uhr. Die ersten Klänge ertönen, der britische Sänger Ed Sheeran singt, und Felix Jaehn tanzt. Noch mal: Er tanzt! Früher galt, DJs tanzen nicht. Aber der 21-Jährige hinter der großen Musikanlage mit den vielen Knöpfen zum Drehen und ein paar Reglern zum Schieben bewegt sich geübt im Takt, linker Arm hoch, Hand in der Luft drehen, rechter Arm hoch, beide zusammen ausstrecken und lippensynchron mitsingen.

Eine Frau mit zerflossenen Katzenschnurrhaaren auf den Wangen schwenkt ihre Arme, ihr Begleiter in silbernen Klamotten auch. Diese beiden sind auf Felix Jaehns Seite.

Um 15.20 Uhr guckt Max Jähn auf seine Uhr. „In zehn Minuten müsste er ,Ain't Nobody’ spielen.“ Ist Tanzmusik so durchgetaktet wie ein Rockkonzert geworden? Zum Glück nicht. Erst um 15.42 Uhr mischt Felix seinen großen Hit ins Set hinein, er formt ein Herz mit seinen Händen, inzwischen haben sich deutlich mehr Zuschauer vor der Bühne eingefunden, und hunderte Händchen-Herzen strecken sich ihm entgegen.

„Seid ihr bereit?“, schreit Felix Jaehn in sein Mikro. Und dann kommt der Refrain, man sieht nur noch wackelnde Basecaps, Strohhüte, Perücken und Kapitansmützen.

Snapchat beim Auflegen

Nebenbei, ja, dafür hat er Zeit, macht Jaehn mit seinem Smartphone Bilder für Snapchat. In der App bleiben die Fotos für einen Tag sichtbar, danach werden sie gelöscht. Mit dem Auflegen hat er angefangen, als er mit 15 Jahren drei Monate in Neuseeland war. Während die anderen Jungs sich auf der Bierbank betranken, suchte er am Computer die perfekte Playlist zusammen. Er wollte nur zu Musik tanzen, die er auch selbst gut fand. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Zum Beispiel um 16.20 Uhr spielt er „King“ von der britischen Popband Years & Years, der Synthie-Hit hat ihn durch dieses Jahr getragen – vom Skiurlaub in Österreich im Winter zu den gefeierten Festivalauftritten im Sommer. Er tanzt nonstop, „ein 90 Minuten-Workout“ nennt er sein Set.

Und eine Erlösung wird es auch sein. Dass aus ihm doch noch was geworden ist, trotz abgebrochenen Studiums in Berlin und ein paar Monaten Abhängens zu Hause auf der Couch. Jetzt hat er Pläne: Anfang nächsten Jahres kommt das erste Album, dann eine Tour durch Konzerthallen und im Sommer vielleicht auf die großen Festivals. „Step by step“, nennt er seinen Businessplan.

Halbnackte und Volldruffis

Halb fünf. Das Set ist nun eigentlich vorbei. Eine kleine Pause. Die Wiese ist halbvoll mit Halbnackten und Volldruffis. Einer hält seit 60 Minuten ein Schild „Bar geschlossen“ hoch. Ein paar Mädchen brüllen: „Cheerleader!!!“.

Und dann geht sie los, die Trompete, die Felix Jaehn in den Remix eingebaut hat und die zum Erkennungssignal geworden ist. Lautes Gegröle, mehrere hundert Menschen schütteln nun, was sie haben. Der nachfolgende DJ betritt die Bühne. Es ist Klingande aus Frankreich. Er trägt eine Sonnenbrille und stellt eine Flasche Champagner neben das Mischpult.

Felix Jaehn spielt am 13. September auf dem Lollapalooza Festival Berlin

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