Vietnamesische Küche: Das Geheimnis der perfekten Fischsauce
Ein Ex-Manager aus Kalifornien verfolgt in Vietnam die Mission, den Universal-Dip für Frühlingsrollen und Meeresfrüchte in höchster Qualität zu produzieren.
Der Tauschhandel geschieht auf dem Wasser, eine halbe Seemeile von den Stränden der vietnamesischen Tropeninsel Phu Quoc entfernt. Cuong Pham steht an der hölzernen Reling des rot-weiß gestrichenen Lastkahns und winkt energisch das unweit größere Fischerboot heran – ein drahtiger Mann, immer in Bewegung, voller Energie. Cuong Pham hatte mal einen gut dotierten Job im Silicon Valley. Im Jahr 1979 waren seine Eltern mit ihm aus den Wirren des Nachkriegs-Vietnam in die USA geflohen, Cuong Pham machte später dort Karriere in der boomenden Hightech-Industrie. Es war ein gutes Leben in San Francisco, nur das Heimweh, das schmeckte nach Fischsauce, und eine anständige Fischsauce war in der Stadt an der Golden Gate Bridge nicht aufzutreiben.
Weil man manchmal tun muss, was einem das Herz zuflüstert, kehrte Cuong Pham 2006 zurück in die alte Heimat, um „die reinste Fischsauce der Welt“ herzustellen.
Als Standort seines neuen Unterfangens wählte der ehemalige Techie die Insel Phu Quoc mit ihrer über 200 Jahre alten Tradition in der Herstellung von Fischsauce, Nuoc Mam, wörtlich: Fischwasser. Die würzige Sauce ist das Salz Vietnams, die Essenz und das Herzstück der vietnamesischen Küche: kaum ein Gericht, das nicht durch sie gewürzt, belebt, vollendet wird. Überall in Vietnam ist man stolz auf die regionale Fischsaucenproduktion, im Norden in Hai Phong, im Süden in Nha Trang und Phan Tiet. Am südlichsten Zipfel Vietnams liegt Phu Quoc. Hier entstehen die wertigsten Fischsaucen des Landes, denn hier, in den kobaltblau-türkisgrünen Wassern des Golfs von Thailand, leben die schwarzen Anchovis Cá Co’m, eine kleine und besonders proteinreiche Sardellenart. Berge der silbrig-schwarz glänzenden Fischchen liegen, bereits eingesalzen, an Deck des großen Red-Boat-Fischerbootes. Unser Kahn hat neues Salz an Bord, das nun Sack für Sack von den Fischern über die Reling gewuchtet wird und im Bauch des Schiffes verschwindet. Wir bekommen im Tausch den Fang des Tages herübergeschaufelt.
Sardellen und Salz sind die Zutaten, auf die es ankommt
"Sardellen und Salz", erklärt Cuong Pham, „sind die einzigen Zutaten für eine gute Fischsauce!“ Darauf ist er stolz: weder Konservierungsstoffe noch Zusätze, die Anchovis aus Wildfang sind sortenrein, selbst der geringe Beifang (ein paar Mini-Calamares) wird von Hand aussortiert. Nur eine halbe Stunde später drehen die Fischer schon wieder bei und fahren zurück aufs offene Meer, den Sardinenschwärmen hinterher. Schwer beladen tuckert unser Kahn in Richtung Hafen und dann über einen viel befahrenen Wasserarm, vorbei an blau gestrichenen Schiffen, Pfahlbauten und wankelmütigen Hütten. Hier in der Red Boat Farm wandern die gesalzenen Sardinen in blauen Plastikkörben so schnell wie möglich in die Produktionshalle in einen der riesigen Holzbottiche. Zeit ist ein entscheidender Faktor für das Gelingen der Fischsauce. Darum salzen die Fischer ihren Fang nach genauen Vorgaben (30 Prozent Salz) schon direkt an Bord: „Achtzig Prozent der Arbeit geschieht auf See“, erklärt Cuong Pham. „Bereits hier entscheidet sich die Qualität der Fischsauce.“ Gesalzen wird mit Meersalz aus Vung Tau im Süden Vietnams, das zuvor ein Jahr lang reifen durfte, dabei verliert es Wasser und wird konzentrierter in Geschmack und Würzkraft. Eingesalzen wird der Fisch zunächst, um den Verderb zu stoppen. Diese Methode der Haltbarmachung wird später in der kontrollierten Fermentation der Sardinen in Holzfässern mit einem Fassungsvermögen von jeweils 16 Tonnen fortgesetzt.
Mit angehaltenem Atem betreten wir die weitläufige Produktionshalle. Ob Verderb oder Fermentation – es riecht. Und zwar streng. Hunderte der über drei Meter hohen Fässer säumen die langen Gänge, die rot gestrichenen Holzbottiche werden von armdicken Seegras-Tauen zusammengehalten. An ihnen klettert Cuong Pham hinauf und winkt einladend, es ihm nachzutun. Der Einblick enttäuscht, denn es gibt nichts zu sehen außer ein paar Holzplanken und Sackleinen. Doch darunter geschieht die Magie: Ein Jahr dauert der sanfte Prozess des Fermentierens, dabei verflüssigen sich bis zu 70 Prozent der Fischmasse. Im Laufe dieses Jahres entsteht eine appetitlich bernsteinfarbene Flüssigkeit, deren mildes Aroma typisch ist – das ist Nuoc Mam in Reinform. Die gereifte Sauce riecht überraschend subtil nach Fisch, der Duft erinnert eher an jungen Parmesan, gemahlene grüne Walnüsse oder gereiften Parmaschinken – es ist verblüffend. Coung Pham füllt nur die erste Pressung ab (vergleichbar mit der Qualität eines Olio Extra Vergine). Klar, rein und rotbraun funkelnd fließt sie in unsere Probierschale. Der Geschmack ist deutlich fischig und salzig, dabei samtig und weich, mit einer leichten Süße – es ist die Essenz, die Seele der Sardine.
Schon ein Spritzer Limettensaft nimmt der Sauce jede fischige Schärfe
Doch der Zauber einer Fischsauce erschließt sich erst in der Anwendung, schon ein Spritzer Limettensaft nimmt der Sauce jede fischige Schärfe, ein bisschen Zucker dazu, gewürfelte Chili und/oder Knoblauch nach Geschmack, fertig ist Nuoc Cham, der vietnamesische Universal-Dip für Frühlingsrollen und Meeresfrüchte. Oder man nutzt sie zum Abschmecken des vietnamesischen Nationalgerichtes Pho Bo. Erst mit ein bis zwei Spritzern Fischsauce schmeckt die dampfende Nudelsuppe mit Rindfleisch wirklich authentisch. In der Küche funktioniert gute Fischsauce wie japanisches Dashi, sie schafft den Umami-Kick und macht alles ein erhebliches bisschen besser, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Aus gutem Grund köchelt also ohne Fischsauce nichts in Vietnam, wobei die Sauce als finale Würze immer erst zum Schluss zugegeben wird, denn lange Kochzeiten zerstören die feine Aromatik.
Das Protein ist der Schlüssel für die Tiefe der Aromen
Zu Hause in Deutschland lohnt es sich, beim Kauf von Fischsauce genau hinzusehen, die Preisunterschiede sind enorm und manchmal nicht nachvollziehbar. Das Etikett gibt Auskunft: Gute Fischsauce kommt ohne verdünnendes Wasser, Geschmacksverstärker, Zucker oder Konservierungsmittel aus. Entscheidendes Qualitätsmerkmal ist auch der Proteingehalt einer Fischsauce, der mit Grad N (Nitrogengehalt) angegeben wird, er lässt Rückschlüsse auf die Qualität der verwendeten Sardinen zu: Sie beginnt bei 20°N bis zur absoluten Top-Qualität von 35°N bis 40°N. „Das Protein ist der Schlüssel für die Tiefe der Aromen“, weiß auch Cuong Pham. Ist die richtige Fischsauce gefunden, lohnt es sich, mit asiatischen Aromen zu experimentieren: Fischsauce liebt Chili, Koriander, frischen Ingwer oder Knoblauch. Ein bis zwei Spritzer Sauce beleben Currys, Reispfannen, Wok-Gerichte und Nudelsuppen. Wer beginnt, öfter mit Fischsauce zu kochen, wird sie bald auch außerhalb der asiatischen Küchen zu schätzen lernen: Ein paar Tropfen in eine italienische Bolognese-Sauce oder einen deutschen Linseneintopf zeigen ihre Würzqualität: eben nicht fischig, dafür belebend, Suppen und Saucen werden runder, komplexer. Zum Experimentieren kann man sich Zeit lassen, denn Fischsauce ist so ergiebig wie langlebig, ungeöffnet hält sie sogar ungekühlt bis zu drei Jahre, nach dem Öffnen sollte man die Sauce innerhalb eines Jahres verbrauchen.
Auch Cuong Pham hat noch ein paar Küchentipps für uns, seine Familie und das Team laden zum Lunch in den Garten. Es gibt Jakobsmuscheln vom Grill, heiß und aus der Schale, mit Fischsauce, Limette, Erdnüssen und Schnittlauch. Chilischarfe blaue Garnelen, die zuvor in Fischsauce baden durften, knacken und knuspern in der Schale über glühender Kohle, gefolgt von „Vietnamesen-Sushi“: Roh marinierte Sardinenfilets werden als Salat mit Zwiebeln, Chili und Perilla-Blättern, Minze und Koriander gereicht. Wir lernen, dass man sogar Steaks oder Fleischspießchen mit Huhn oder Rind vor dem Grillen mit etwas Fischsauce marinieren kann. Das verleiht dem Grillgut neben Würze eine appetitliche Röstkruste – ein Genuss!
Höhepunkt des Festessens am Fluss: Cá Kho To – karamellisierter Fisch, bei dem ein heimischer Barsch in Koteletts zerteilt und in scharfer Karamellsauce mit grünem Pfeffer geschmort wird. Cuong Pham lächelt bescheiden und doch sichtbar stolz. Er kennt die entscheidende Zutat nur zu gut, denn er hat sie gemacht, die wahrscheinlich reinste Fischsauce der Welt. Die gibt es längst auch in San Francisco, dafür hat er gesorgt, doch Cuong Pham zieht es nicht zurück an die Bay. In der Alchemie von Salz und Sardinen fand der Manager aus dem Silicon Valley viel mehr als nur Fischsauce – er fand eine neue Lebensaufgabe, Identität und nicht zuletzt seine alte, neue Heimat.
Der Autor: Stevan Paul ist Foodstylist, Journalist und Kochbuchautor. Er lebt in Hamburg.
Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.
Stevan Paul
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität