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Kurioser Erfolg. Das in Deutschland gebraute „Kvass“ wird es demnächst auch in Russland zu kaufen geben.
© Kitty Kleist-Heinrich

Russische Limonade: Brot zum Trinken

Das Lieblingsgetränk der Russen? Nein, nicht Wodka, sondern Kwas! Erinnert an Malzbier, ist aber weniger süß. Nun gibt es die Limonade auch in Deutschland.

Das Getränk ist so alt wie Russland selbst. Es wird in rauen Mengen konsumiert, und der Volksglaube schreibt seinem Genuss heilende Wirkung zu, bei körperlichen wie bei seelischen Gebrechen. In der russischen Literatur hat der Trank nachhaltige Spuren hinterlassen, auch den Gang der Landesgeschichte soll er geprägt haben. So groß ist die Liebe der Russen zu ihrem Nationaltrunk, dass sie im Ausland mitunter Befremden hervorruft.

Richtig, die Rede ist natürlich von: Kwas.

Von bitte was?

Über Wodka hatte Christian Dörner natürlich die eine oder andere Geschichte gehört, als es ihn 2007 beruflich in den Osten Europas verschlug. Auf Kwas dagegen wurde der studierte Betriebswirt, der das Getränk heute in Deutschland braut, zum ersten Mal in Kiew aufmerksam, wo er drei Jahre lang das örtliche Büro der Kreditanstalt für Wiederaufbau leitete – in der Ukraine und fast allen anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ist das dunkle Erfrischungsgetränk genauso beliebt wie in Russland. Christian Dörner sah im Sommer auf den Kiewer Straßen kleine gelbe Tankwägelchen auftauchen, vor denen meist etwas mürrische ältere Damen hockten, die den Kwas in Plastikbecher zapften und an Passanten verkauften. Der erste Schluck, erinnert sich Dörner, habe ihm nicht besonders geschmeckt. „Dabei spielte aber wohl eine Rolle, was ich über die Herstellung gehört hatte – ein Erfrischungsgetränk aus Brot, an den Gedanken muss man sich erst mal gewöhnen.“

Tatsächlich wird Kwas, jedenfalls in der traditionellen Variante, aus dem Sud von gegorenem Schwarzbrot hergestellt – gewöhnungsbedürftig, in der Tat. Entstanden sein dürfte das Getränk auf dem Wege der Resteverwertung. Vermutlich, so will es zumindest die Legende, vertrockneten einst einem russischen Bäuerlein die Brotreserven, und der Versuch, die harten Kanten mittels Wassereinweichung wieder kaufähig zu machen, führte ungewollt zum Gärungsprozess. Weil aber der auf diesem Wege gewonnene Brotsud so unerwartet erfrischend schmeckte, wurde Kwas bald zum Lieblingsgetränk der Slawen – Jahrhunderte, bevor der Wodka geschichtlich in Erscheinung trat.

Für Christian Dörner war es eine Wanderung in den Karpaten, die sein Verhältnis zum Kwas grundsätzlich umkrempeln sollte. In Kiew hatte er das Getränk nach dem ersten skeptischen Schluck bald wieder vergessen. Dann aber verschätzten er und ein Freund sich bei der Ersteigung des westukrainischen Hoverla-Gipfels mit den Wasservorräten. Nachdem sie den höchsten Berg des Landes bezwungen hatten, irrten sie mehr als drei Stunden lang durstig durch die Sommerhitze, bevor sie das nächste Dorf erreichten. In der dortigen Kneipe gab es außer alkoholischen Getränken nur Brotlimonade. Ein paar Gläser später war Christian Dörner eingeschworener Kwas-Fan.

Einen Trinker nannte man früher "Kwasnik"

Zurück in Kiew zog er erste Erkundigungen über das neu entdeckte Getränk ein. Und erfuhr, dass der heute in Osteuropa verkaufte Kwas in der Regel nicht mehr aus Schwarzbrot hergestellt wird, sondern aus fermentiertem Malz. Damit ähnelt das Getränk ein wenig dem deutschen Malzbier, ist aber erheblich weniger süß. Seine leicht säuerliche Note ist es, die den Kwas im Sommer so erfrischend macht. Alkohol enthält der Trank heute nur noch in sehr geringem Maße, rund ein Prozent, kaum mehr als manche Fruchtsäfte. Das war freilich einmal anders – ursprünglich wurde Kwas, wie historische Quellen belegen, als berauschendes Getränk gebraut. Einen Trinker nannte man im Russischen früher „kwasnik“, das zugehörige Verb „kwasitj“ wird noch heute gelegentlich als Synonym für „saufen“ verwendet – obwohl der Kwas inzwischen so wenig Alkohol enthält, dass man schon eine halbe Badewanne davon trinken müsste, um sich beschwipst zu fühlen. Die Verwandlung vom Rausch- zum Erfrischungsgetränk verdankt der Kwas historisch dem Wodka: Als gebrannte Schnäpse den Weg nach Russland fanden, entfiel die Notwendigkeit, den Brotsud so stark wie möglich gären zu lassen, weil man sich nun anderweitig viel effektiver betrinken konnte.

Einer Chronik aus dem Jahr 996 zufolge soll Kwas sogar bei der russischen Staatsgründung eine Rolle gespielt haben. Fürst Wladimir, Herrscher der Kiewer Rus, machte im späten 10. Jahrhundert das byzantinische Christentum zur Staatsreligion seines jungen Reichs, aus dem ein paar Jahrhunderte später das moskowitische Russland hervorgehen sollte. Im Jahr 988 ließ Wladimir seine Untertanen an den Ufern des Dnjepr antreten, um sie nach griechisch-orthodoxem Ritus taufen zu lassen. Um ihnen die Zwangskonvertierung vom Heiden- zum Christentum schmackhafter zu machen, soll der Fürst befohlen haben, das Volk mit „Essen, Honig und Kwas“ zu belohnen.

Verbürgt ist, dass Russlands Generäle im frühen 19. Jahrhundert ihren Sieg über Napoleons Armee mit einem Gemisch aus Kwas und französischem Champagner begossen. Auch in der russischen Literatur finden sich zahlreiche gern zitierte Erwähnungen der Brotlimonade, etwa in Puschkins Versepos „Eugen Onegin“, in dem es über die etwas altmodische, an vertrauten Sitten hängende Familie Larin heißt: „Der Kwas war ihnen nötig wie die Atemluft.“

Ganz so weit würde Christian Dörner in seiner Liebe zum Kwas vielleicht nicht gehen, aber auch er machte im Kiewer Sommer bald an so manchem gelben Tankwägelchen Halt, um sich einen Becher Malzlimo zapfen zu lassen. Als 2010 sein Engagement in Kiew endete und er die Ukraine wieder verließ, fragte er sich, wie es sein konnte, dass ein so erfrischendes und in Europas Osten derart beliebtes Getränk im Westteil des Kontinents nahezu unbekannt war.

Wenig später bekam Dörners Frau eine Stelle bei der Europäischen Kommission, die Familie zog nach Brüssel. Dörner selbst ging in Elternzeit – und nutzte die berufliche Pause, um eine kleine Firma zu gründen. Er war fest entschlossen, dem Kwas den Weg nach Westen zu ebnen.

"Kwas ist kein ausgedachter Modedrink"

Zunächst experimentierte er in der heimischen Brüsseler Küche. Mit mäßigen Ergebnissen brachte er Brotreste mit Hefe und Zucker zum Gären. Etwas besser schmeckte es, als Dörner auf Malzgrundlage zu brauen begann, aber er begriff schnell, dass er ohne die Hilfe eines Profis nicht weit kommen würde. Die Suche nach einem Brauer war die nächste Hürde. „Kwas enthält Milchsäure“, sagt Dörner, „und wenn Brauer das Wort Milchsäure hören, werden sie nervös.“ Milchbakterien können, wenn sie ausbrechen, komplette Brauanlagen ruinieren.

Schließlich aber vermittelte ein Bekannter Dörner den Kontakt zu einem Brauspezialisten, der in den 90er Jahren, als westliche Getränkekonzerne auf den russischen Markt drängten, mit Kwas experimentiert hatte. In der Forschungsbrauerei der TU München in Weihenstephan entwickelten die beiden gemeinsam eine Kwas-Rezeptur aus Gersten-, Roggen- und Karamellmalz, die mit Hefe fermentiert und abschließend mit Milchsäure und Zucker versetzt wird, bevor sie etwa vier Wochen lang reift.

Als die Geschmacksrichtung stimmte, machte sich Dörner auf die Suche nach einem Brauer, der bereit war, seinen Kwas in Serie zu produzieren. Er landete bei Enzensteiner, einer kleinen Brauerei in der Nähe von Nürnberg. Dort wird das Getränk nun hergestellt, bevor es in Frankfurt am Main auf Flaschen gezogen und von dort aus weiter vertrieben wird, vorwiegend an Bars, Cafés und Getränkehändler in deutschen Großstädten, aber in kleinerem Umfang auch nach Belgien, Österreich, Spanien und die Schweiz. „Kvass“ nennt Dörner seinen Kwas, in englischer Schreibweise, mit dem Untertitel „Russian Soda“. Ein kleiner stilisierter Kosake ziert das Label, dessen Gestaltung weniger an ein Traditions- als an ein Trendgetränk denken lässt.

Dörner stößt damit in einen ziemlich umkämpften Markt vor: Die Erfolgsgeschichte der Bionade hat in Deutschland in den letzten Jahren zahllose Klein- und Kleinsthersteller auf den Plan gerufen, die mit immer neuen Limorezepturen auf den großen Durchbruch hoffen. Was Dörner angesichts dieser Konkurrenz vorsichtig optimistisch macht, ist die Vorgeschichte seines Getränks: „Kwas ist kein ausgedachter Modedrink, sondern ein authentisches Produkt mit jahrhundertelanger Tradition. Ich muss für Kwas keine Geschichte erfinden – es gibt sie schon.“

Bestätigt fühlt sich Christian Dörner auch durch einen einigermaßen kuriosen Erfolg. Ein russischer Importeur hat ihn kürzlich kontaktiert. Dem gefiel die Aufmachung der „Kvass“-Flaschen so gut, dass er Dörners Adaption der Russenlimo nun in seiner Heimat vertreiben will. Die erste Charge ist bereits unterwegs, um in Trendbars in Moskau und Sankt Petersburg verkauft zu werden.

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