Corona-Trend: Batiken ist das neue Stricken
Warum es süchtig macht, T-Shirts, Trainingshosen und Tennissocken zu färben. Eine teilnehmende Beobachtung.
Oh je, ob das mit dem Ombré-Effekt klappt? Das ist ein eleganter, stufenloser Farbverlauf mit schöner räumlicher Tiefe. Jedenfalls wenn man ihn richtig hinbekommt. Und wie kann man da schon sicher sein, wenn man sich mit Gummihandschuhen aus dem Drogeriemarkt über die Badewanne beugt, wo zwei Putzeimer auf einer ausgebreiteten Mülltüte stehen.
In dem einen dampft heiße Textilfarbe, in dem anderen wartet das kalte Wasserbad, in dem man den Stoff nach 20 Minuten auswaschen muss. Man braucht eine gewisse Schicksalsergebenheit, wenn man seine T-Shirts, Tischdecken oder Tennissocken in die dunkle Brühe tunkt. Denn so ganz genau kann keiner voraussagen, wie sie da rauskommen. Und diesen Thrill suchen gerade erstaunlich viele – und batiken zu Hause.
Vielleicht weil das bei Prada so cool aussieht. In einem Trailer zur letzten Sommerkollektion des Mailänder Modehauses vollführt ein Mensch im weißen Kittel ästhetische Präzisionsarbeit unter Laborbedingungen. Im kühlen Kunstlicht wiegt er Farbpulver ab, mischt es in Reagenzgläsern an, dreht einen Pullover auf einem Edelstahltisch zu einer Spirale auf, befestigt ihn mit dicken Gummis und spritzt die Farbe entschlossen auf das Bündel. Die Musik dazu klingt wie aus einem Psychothriller. Kein Wunder, es sind ja auch sündhaft teure Kaschmirpullis, die da ihre Fahrt ins farblich Ungewisse antreten.
Batik und Mode, das ist eine lange und konfliktreiche Geschichte. Der Charme des Musters, falls man diese oft völlig zufälligen Farbexplosionen überhaupt so nennen kann, liegt darin, dass es ziemlich offensiv mit der Hässlichkeit kokettiert. Das hat Batik mit dem Animalprint gemein, der fies nach Vorstadt aussieht, oder mit dem Moonwashed-Look, der bis heute an Zonen-Gaby und ihre erste Banane erinnert. Alles Fälle von modischem Wiederholungszwang: Die Designer arbeiten sich so lange an diesen Mustern ab, bis sie doch alle irgendwie schön finden.
Da ist Batik wohl am weitesten. Das Comeback des verspulten Hippie-Musters läuft längst auf Hochtouren. Das schwedische Label Acne hatte gebatikte Longsleeves für Herren in ihrer Resort Kollektion, mit denen man problemlos Anfang der 1990er-Jahre auf einem Mayday-Rave auf der Box hätte tanzen können. Weniger nach Trockennebel und Stroboskopblitzen sah dann das aus, was sich Stella McCartney zum Thema ausdachte.
Vom eleganten Abendkleid zum Jumpsuit reichte die Sommerkollektion 2019 und versprenkelte einen entspannten Glamour. Prada machte neben den Kaschmirpullis sogar Handtaschen und aktuell sogar Herren-Trainingsanzüge in smarter Verlaufsoptik.
Der Look des Lockdown
Eigentlich schien die Sache damit einigermaßen auserzählt. Doch dann kam der Lockdown. Und plötzlich fingen viele an, selbst zu batiken. Etwa die des Hippietums nicht eben verdächtigen Beckhams, die eine Instastory veröffentlichten, wie sie ihren halben Hausrat mit fleckigen Farbexplosionen zum Leuchten brachten. Kendall Jenner verfiel auch dem Farbrausch. Allein auf Pinterest stiegen die Anfragen zum Thema „tie-dye at home“, zu Hause batiken, in den letzten Wochen um 462 Prozent. Viele Youtube-Tutorials schossen in den sechsstelligen Bereich.
Tie Dye als Therapie: Wenn man schon niemanden treffen darf, dann kann man wenigstens versuchen, zu seiner Trainingshose eine Resonanzbeziehung aufzubauen, indem man sie in bunte Farbbäder tunkt. Und den Kapuzenpulli gleich mit. Denn so ein Farbgekleckse markiert auch ein Stück Selbstwirksamkeit. Ist ja immer schön, was mit den Händen zu machen. Und wenn’s daneben geht: Für zu Hause reicht es allemal.
Batiken kann man so ziemlich alle Textilien, wie man etwa bei Upstate sehen kann. Die New Yorker Designerin Kalen Kaminski färbt nicht nur elegante Kleider, Kimonos, Schals, Sweatshirts und – natürlich – Atemmasken, sowie eine ganze Home-Collection samt Bettbezug, Handtüchern, Gläsern und Vasen, sie verkauft auch gleich die Farben, die sie ebenfalls selbst herstellt. Sie sind großteils aus Naturstoffen wie Hibiskus oder Kurkuma gemischt. Batik scheint das neue Stricken.
Wirkt Batik wie LSD?
Dabei war es bislang ein Divisive Issue, ein Thema, das die Menschen in zwei unversöhnliche Lager teilt. Lange galt es als Lieblingslook der Langhaarigen. Jerry Garcia gniedelte endlose Gitarrensoli in T-Shirts, die der Farbenpracht der blubbernden Lichtshow seiner Band Grateful Dead nicht nachstanden. Janis Joplin schlief angeblich in gebatikter Satin-Bettwäsche.
Und Alf vom Planeten Melmac rebellierte in regenbogenbunten Batik-T-Shirts gegen die spießige Enge der Familie Tanner, in deren Garage sein Ufo in Folge eins der US-Fernsehserie abstürzte. Kurt Cobain hingegen ließ die Musikzeitschrift Melody Maker wissen, dass er erst dann ein Batik-T-Shirt tragen würde, wenn es mit dem Urin von Phil Collins und dem Blut von Jerry Garcia gefärbt sei.
Bleibt die Frage, warum das Muster bei den Hippies so beliebt war? Einmal ist da der Kult der Ursprünglichkeit. Immerhin ist es eine uralte Technik. In Peru wurden lange vor Christi Geburt Stoffe mit Kringeln und Linien rot, grün, blau und gelb gefärbt. Das Wort hat seinen Ursprung in Indonesien. Mbatik heißt mit Wachs schreiben. Die Teile, die nicht mit Wachs bemalt wurden, blieben beim anschließenden Färben ausgespart. In Westafrika wiederum gab es reich verzierte, indigogetönte Stoffe. Dann schätzten die Hippies, dass man es selber machen konnte. Mit den psychedelischen Farbverläufen rebellierte man unübersehbar gegen die Gleichförmigkeit der Warenwelt. Und sowieso ist Batik ein bisschen wie LSD: Man weiß nie so ganz genau, was passieren wird.
Damit zurück zur Badewanne mit den Putzeimern. Das mit dem Ombré-Look hat so halb geklappt. Drei Viertel der Tennissocke wurde einfach nur blau, der Rest zeigt einen Verlauf ins Türkise und die Naht oben blieb weiß. Besser funktionierte die Serviette im Crumple-Look. Sie schwamm wirr zusammengebunden im Farbbad und sieht jetzt aus wie Schäfchenwolken am Sommerhimmel. Nicht Prada, aber ganz schön.
Felix Denk
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