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Spaziergänge haben etwas Ritualisierendes, sagt der Kinderdok.
© Julian Stratenschulte

Kolumne: Der Kinderdok: Babys dürfen ab dem ersten Tag an die frische Luft

Neugeborene sollen erst nach einem Monat nach draußen, sagt die Oma. Doch frische Luft, auch kalte, ist gesund und Drinnen drohen andere Gefahren.

Es muss bei der U3 gewesen sein, der ersten Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt, da hat ein Vater neulich in der Praxis stolz verkündet, sie seien bisher noch gar nicht spazieren gegangen. Die Oma habe gesagt, das mache man nicht im ersten Monat. So schütze man das Kind vor den Gefahren der Außenwelt, den bösen Viren, den gefährlichen Sonnen- oder Erdstrahlen. Im Winter ist es zu kalt, im Sommer zu heiß, im Herbst zu windig und im Frühling zu früh?

Wie war das damals, zu Urvölkerzeiten? Alle nackig, ungeschützt, in Höhlen oder Lehmhütten lebend, da wurden ebenso Kinder geboren. Oder in anderem Klima, in Grönland, der Wüste Gobi. Haben die sich alle nicht getraut, vor den Höhleneingang zu treten, damit das Neugeborene nicht vom Säbelzahntiger gerissen werde?

Vielleicht mutieren Eltern automatisch in die Beschützerrolle vor jeglichem Unbill des Alltags. Welche ureigene Rolle bleibt sonst noch übrig ! Jagen gehen lohnt nicht mehr, man bestellt alles im Internet. Kämpfen muss der stolze Familienvater nur noch an der Spielekonsole, während seine Frau den neuen Erdenbürger stillt.

Heizungsluft verursacht Reizungen

Säuglinge dürfen ab dem ersten Lebenstag an die frische Luft. Tradierte Meinungen von älteren Kinderärzten, Hebammen, allen voran aber unserer Oma, dass Kinder erst nach vier Wochen das wahre Licht der Welt erblicken dürfen und nicht allein die nackte Neonröhre über dem Wickeltisch, sind auszublenden. Ausnahmen sind manche Frühgeborene, die ihre Temperatur nicht gut selbst kontrollieren können, hier beschränkt man sich mit der Zeit. Alle anderen dürfen. Lange. Ständig. An die frische Luft.

Drinnen droht ganz andere Gefahr. Die trockene Heizungsluft in vielen Räumen lässt die Säuglingsnase schlecht atmen, sorgt für Reizungen, Schwellungen, trockene Popel, den „Säuglingsschnupfen“, der doch keiner ist. Frische Luft, auch häufiges Lüften, hilft sofort.

Schließlich gibt es warme Kleidung. Mützchen, Jäckchen, Bodys, Schaffellunterlagen, Hightech-Kinderwagen mit Isolierung und eingebautem Thermometer. Junge Eltern bekommen so viel Kleidung für den Sprössling geschenkt, man könnte das Kind in fünf Schichten einpacken. Bei manchen Begegnungen in der Praxis scheint das auch zu geschehen. Bis da das Kind entblättert ist, vergeht schon einmal eine Viertelstunde.

Spaziergänge haben etwas Ritualisierendes. Die Fütterzeiten und der Stuhlgang wechseln noch, die Schlafzeiten von Eltern und Kind sowieso. Aber Spaziergänge lassen sich prima im Tagesablauf planen. Um zehn Uhr vormittags zwei Stunden, um sechzehn Uhr noch mal. Und zum nächsten Ritual, also dem Mittagsfutter oder der Abendroutine, wieder zu Hause sein. Alltagslangeweile. So bekommen Babys Halt von außen.

Glücklich jene, die in eine Familie mit Hund geboren werden. „Ja, wir gehen oft raus, wir haben einen Hund“, lässt Kinderdoks Herz höher schlagen. Diese Kinder sind die gesündesten, das Gassigehen ist von Anfang an gesichert. Und der Hund bekommt auch eine Aufgabe.

Unser Kolumnist betreibt eine Praxis in Süddeutschland, bloggt unter kinderdok.blog und schreibt alle vier Wochen an dieser Stelle.

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