Datteln: Auf der Palme
Nährstoffreiches Grundnahrungsmittel, süße Delikatesse, "Brot der Wüste" - die beeindruckende Vielfalt der Dattel.
Wer mit den kulturellen Gepflogenheiten eines Landes nicht vertraut ist, kann sich rasend schnell unbeliebt machen. Besucht man in manchen arabischen Ländern jemanden am Krankenbett, ohne eine Ajwa-Dattel als Präsent mitzubringen, kommt das einem bösen Fluch gleich. Ebenso gut könnte man dem Erkrankten die Pest an den Hals wünschen. Ohne Ajwa keine Heilung.
Die Schönheit der Datteln
Und tatsächlich, die tiefschwarze Dattel, durchzogen von feinen weißen Linien, sieht aus wie ein kleines Geschenk, ein Schmuckstück aus Porzellan. Georg Huber streicht mit dem Finger darüber. „Hier spürt man noch den Wüstenstaub“, sagt er und strahlt wie die Sonne über der Palmenplantage. Das muss Liebe sein.
Georg Huber ist Inhaber von „Nara Food“. Das kleine Familienunternehmen importiert und vertreibt Bio-Datteln. Der 64-jährige Ingenieur ist seit rund 20 Jahren im arabischen Raum unterwegs, lebte in den Neunzigern fünf Jahre in Dubai. Er forschte und arbeitete in den Bereichen Bewässerungs- und Solartechnik, besuchte oft Plantagen, um die Bauern zu beraten. Immer brachte er Datteln von seinen Geschäftsreisen mit nach Hause.
"Bio-Datteln müssen es sein"
Vor sieben Jahren begleitete ihn sein Sohn zu einer Solarmesse nach Dubai, reiste danach einen Monat durchs Land, kaufte im Duty-Free-Shop das familientypische Mitbringsel und verkündete daheim: „Papa, die Solartechnik ist nichts für mich. Ich will Datteln vertreiben.“ Georg Huber stimmte zu, gründete das kleine Familienunternehmen und Vater und Sohn waren sich einig: Bio-Qualität muss es sein.
Hehres Ziel, langer Weg. Sie bereisten den Dattelgürtel von Marokko bis Indien. „Wir wollten nicht nur eine Region vertreten, sondern verschiedene Sorten aus verschiedenen Ländern haben“, sagt Georg Huber. Die Suche nach Bio-Plantagen gestaltete sich schwierig. Dattelpalmen sind pilzanfällig und oft von Schädlingen besetzt. Entsprechend hoch ist im konventionellen Anbau der Einsatz von Fungiziden, Pestiziden und Kunstdünger. Insekten werden häufig mit Brommethan bekämpft, einem giftigen Gas, das auch die Ozonschicht angreift und das in Deutschland in der Nutzung, nicht aber im Import verboten ist.
Dattelvielfalt aus aller Welt
Der vergleichsweise aufwendige Bio-Anbau von Datteln ist nicht weit verbreitet. Hier werden Schädlinge mit Kohlendioxid bekämpft, von Pilz befallene Teile mit der Hand entfernt und verbrannt. Zudem möchte Georg Huber Regionen meiden, in denen es an Wasser mangelt. In Oasen oder gebirgsnahen Regionen ist eine Versorgung über das Grundwasser besser sicherzustellen als in Wüsten, auf die wegen des Klimawandels immer seltener Regen fällt. Mit viel Recherche und Überzeugungsarbeit bauten Georg Huber und seine Mitarbeiter ein Netzwerk auf. Heute arbeiten sie mit Dattelbauern in Tunesien, Israel, Saudi-Arabien, Marokko, dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammen. 14 verschiedene Dattelsorten hat „Nara Food“ im Sortiment. Rund 1500 Dattelsorten gibt es, nur ungefähr ein Drittel davon ist für den kommerziellen Anbau geeignet.
Das "Brot der Wüste"
Die echte Dattelpalme zählt zu den ältesten kultivierten Bäumen: Schon vor etwa 5000 Jahren wurde sie in Mesopotamien gepflanzt und veredelt, indem die Menschen die männlichen Pollen auf die Blüten der weiblichen Datteln strichen. Dattelpalmen werden bis zu 20 Meter hoch, bis zu 100 Jahre alt und können 100 Kilo Ertrag im Jahr bringen. Ihre Wedel werden für Flechtwerk genutzt, aus dem Stamm gewonnener Saft wird zu Palmwein vergoren und ihre Frucht gilt als „Brot der Wüste“.
Datteln helfen sogar beim Einschlafen
Die Dattel polarisiert: Manchen graust es vor der Erinnerung an Omas klebriges Trockenobst, andere preisen die Heilkräfte der nährstoffreichen Sattmacher. Datteln enthalten viel Zucker und haben einen entsprechend hohen Kaloriengehalt. Da sie aber zu etwa gleichen Teilen aus Glukose und Fruktose bestehen, lassen sie den Zuckerspiegel nur langsam ansteigen; das sorgt für lange Sättigung und bessere Verträglichkeit bei Diabetikern. Sie sind mineralstoffreich, enthalten unter anderem Kalium, Kalzium, Eisen, Zink, Magnesium, und versorgen mit B-Vitaminen und Ballaststoffen. Sogar gegen Einschlafprobleme soll die Dattel helfen, da die Aminosäure Tryptochan im Körper in das Hormon Melatonin umgewandelt wird.
Datteln sind Grundnahrungsmittel, Naschwerk und Energielieferant
In arabischen Ländern ist die Frucht fester Bestandteil des Alltags: „Sieht man eine schwangere Frau, die keine Datteln bei sich trägt, kann man sicher sein, das ist keine Araberin“, sagt Georg Huber. Die Dattel wird auch zu Tee oder Kaffee gereicht. Vor dem ersten Schluck in den Mund gesteckt, gibt sie ihre Süße an das Getränk ab und spart den Zucker. Sie ist Grundnahrungsmittel, Naschwerk und Energielieferant in einem. Georg Huber beobachtete einmal einen Bauern, der abends loszog, um ein paar aus der Herde verschollene Kamele zu suchen. In seine Tasche steckte er Wasser und ein paar Datteln. „Morgens kam er mit den Kamelen zurück, frisch wie zu Beginn der Nacht. Er hatte alles gehabt, was er brauchte.“
Die Dattelvielfalt - jede schmeckt anders
Die Dattel gibt also schnell Kraft, deshalb essen Muslime im Ramadan zum Fastenbrechen nach Sonnenuntergang die Frucht, die im Koran eine große Rolle spielt. Der Prophet Mohammed soll über das Wohlbefinden der Frauen in Medina gestaunt haben. Ajwa, eine der Bewohnerinnen, berichtete ihm der Legende nach, sie esse täglich von den Datteln der Palmen, woraufhin er diese „heilige Dattel“ nach der Frau benannte.
Hierzulande sind die Ajwa-Dattel und ihre Verwandten unbekannt. Nur die Deglet-Nour- und die Medjool-Dattel sind verbreitet – beide länglich und goldbraun, süß und weich. Wer die verschiedenen Sorten im Sortiment von Hubers Familienbetrieb kostet, bekommt eine Ahnung von der eigentlichen Vielfalt in Geschmack und Konsistenz. Die sehr feste Rabbi-Dattel wird von Kindern gern wie ein Bonbon gelutscht. Die süße Sukkari erinnert an Karamell. Die Mazafati hat ein cremiges Inneres, das im Mund zerschmilzt. Sie wächst in einer Region des Iran, wo sich kalte Nächte und heiße Tage abwechseln. Dadurch hat sie einen weichen faserfreien Kern und eine feste, traubenartige Haut. „Nara Food“ vertreibt diese Sorte frisch. Die Datteln werden also nicht getrocknet, sondern nach dem Ernten gekühlt gelagert. Gleiches gilt für die Wanan aus Saudi-Arabien, Hubers Liebling. Das Fruchtfleisch der großen, fast schwarzen Dattel ist weniger süß und entfaltet einen fein buttrigen Umami-Geschmack.
Viele Verwendungsmöglichkeiten
Manchem Dattelfeind sind sicher auch diese ungetrockneten Früchte noch zu süß. Da empfehlen sich Kombinationen: Neben dem Dattelsenf von „Nara Food“ bringt auch der Dattel-Balsamico Süße und Säure in einen köstlichen Einklang. Seine iranischen Hersteller verbrachten mehrere Jahre in Modena und erlernten den traditionellen Herstellungsprozess.
Georg Huber hat sich an der Dattel in all den Jahren nie satt gegessen. Der leidenschaftliche Koch integriert sie gern in seine Mahlzeiten. „Ich sitze ja an der Quelle!“ Im Müsli, im Quark, im Smoothie, im Kuchen – oder herzhaft, mit Gemüse und Zwiebeln in der Pfanne angebraten. Klein geschnitten, in einer Sauce geköchelt, werden getrocknete Datteln wieder weich und geben deftigen Gerichten eine süße Note. „Nara Food“ erweitert stetig das Sortiment: Datteln im Schokomantel oder in Rum, Dattelmus, -zucker oder -sirup. Bald soll es einen koffeinfreien Kaffee aus gemahlenen Dattelkernen geben.
Dattelanbau in nachhaltigem Kreislauf
Hubers Hauptziel aber ist die stetige Optimierung der Anbauformen. Sein Lieblingsort ist die Plantage im iranischen Bam, am Rande der Wüste Dasht-e Lut. Von hier bezieht er die frischen Mazafati-Datteln. Auf dieser Permakultur-Plantage gehen Pflanzen und Tiere symbiotische Beziehungen ein: Zitrusbäume halten das Ungeziefer von den Palmen fern. Luzerne begrünen den Boden, speichern Feuchtigkeit und dienen als Futter für die dort lebenden Ziegen, Schafe und Esel, die wiederum mit ihren Hinterlassenschaften den Boden düngen. „Diese Plantage ist für mich die Erfüllung eines Traumes, paradiesisch“, sagt er. Wenn er dort zu Besuch ist, schläft er auch mal draußen, zwischen den Palmen. In der Wärme der Nacht, im Duft der Zitronenbäume, unter sich das Polster aus Luzernen, über sich die Sterne. Und zum Frühstück gibt es frischen Kaffee – mit Dattel statt Würfelzucker.
HIER GIBT ES PREMIUM-DATTELN.
Nara Food: Bio-Dattelspezialist mit Onlineshop narafood.de oder über Manufactum oder „Genusswandel“, Brandenburgische Str. 27, Wilmersdorf
KoRo GmbH Berlin. Diverse Sorten im Onlineshop unter korodrogerie.de
Palmyra Delight. Auch rare Sorten online unter palmyradelights.de bzw. am Stand in der Markthalle IX, Fr 12–18 und Sa 10–16 Uhr
Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.
Lydia Brakebusch
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität