Restaurantszene in Hamburg: Auch als Feinschmecker sind die Hanseaten konservativ
Gut Trend will Weile haben in der Elbmetropole. Wer mit kulinarischen Innovationen überzeugen will, muss sie zu höchster Reife entwickeln und das Ganze sehr gelassen inszenieren. In Hamburg gelingt das vielen Restaurants ausgezeichnet.
Um die Hamburger Gastro- und Restaurant-Landschaft zu verstehen, hilft es, einen Blick in die Seele des Hanseaten zu werfen, der sich selbst in den Klischees treu ist: Konservativ im besten Sinne ist er ein Wahrer altbewährter Werte. Innovation ist hingegen nicht so sein Ding. Er ist ein Kaufmann, der gerne gute Geschäfte macht – von denen alle Beteiligten profitieren sollen. Dabei hält sich die Begeisterungsfähigkeit des Hamburgers in Grenzen, er sieht sich die Dinge erst mal in aller Ruhe an und erlaubt sich in schnelllebiger Zeit eine eigene Meinung. Das kann durchaus ein paar Jahre dauern. Wenn er aber überzeugt ist, legt er los, verbessert und perfektioniert die guten Ideen anderer Leute. Beständigkeit und Nachhaltigkeit sind an der Elbe hehre Tugenden, nur böse Zungen unterstellen provinzielle Verschnarchtheit. Kulinarische Trends werden woanders geschaffen, in London, Kopenhagen, Berlin und San Sebastián, den großen Food-Metropolen Europas. Streetfood, Ceviche, Ramen-Bars, das sind Trends, die sich in Hamburg oft erst mit einer Verspätung von ein bis zwei Jahren und nur langsam etablieren, dann aber in erfolgreichen Konzepten aufgehen. Diese Innovations-Verzögerung ficht den Hamburger nicht weiter an, er ist stolz auf beständig wachsender Besucherzahlen, der Tourismus boomt. 2017 war wieder ein Rekordjahr und bescherte einen soliden 11. Platz im Städte-Ranking bezüglich der Übernachtungszahlen europäischer Metropolen (Berlin auf Platz 3, gleich hinter London und Paris).
Große Vielfalt an unprätentiösen Restaurants, die ganz lässig einfach gut kochen
Die Besucher genießen vor allem, was der Fernsehkoch und Hamburger Gastronom Tim Mälzer einmal „das Glück der Zweiten-Reihe-Restaurants“ nannte: eine Vielfalt an unprätentiösen Restaurants, die ganz lässig einfach richtig gut kochen: für ihre Gäste, nicht für die Kritik. In keiner anderen deutschen Stadt ist das Preis-Leistungsverhältnis der gehobenen Gastronomie besser: 19 Restaurants erhielten den Bib Gourmand 2018. Der renommierte Guide Michelin zeichnet damit Betriebe aus für „gute, häufig regional geprägte Küche, die mit einem besonders günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis kulinarischen Genüsse auch für kleinere Budgets ermöglicht“. Im Vergleich kommt Berlin auf elf dieser Auszeichnungen, München auf sieben, fünf Restaurants sind es in Köln. Unter den Ausgezeichneten finden sich legendäre Hamburger Restaurationen, wie das Nil und das Cox, die seit Jahrzehnten konstant gut kochen, dazu neue Adressen wie die Hygge Brasserie und Brechtmanns Bistro. Das Rad wird auch hier nicht wirklich neu erfunden und genau darüber freuen sich die Gäste.
Mit der letzten großen kulinarischen Innovation beglückte Ausnahmekoch Kevin Fehling die Hansestadt, als er 2015 in der Hafencity sein Restaurant The Table eröffnete. Damals ein echtes Novum: Am langen Tisch für 20 Personen genießen die Gäste ihr gemeinsames Menü mit Blick in die offene Küche, Fine Dining als theatrale Aufführung. Dem Guide Michelin war das schon drei Monate nach der Eröffnung drei Sterne wert. Fehling kocht ohne regionale Beschränkung, international und kreativ, darum könnte sich das Sterne-Restaurant auch in jeder anderen Stadt befinden. Stadtgespräch ist Fehlings The Table heute nicht mehr, da ist der Hamburger von protestantischer Verkniffenheit. Ja gut, man war mal da, hängt das aber nicht an die große Glocke.
Die Hansestadt zählt elf Sterne-Restaurants und 19 Bib-Gourmand-Adressen
Es gibt zehn weitere Sterne-Restaurants in Hamburg, in denen man auf höchstem Niveau speisen kann: Bei den Zwei-Sternern wären Christoph Rüffer vom „Haerlin“ im Hotel Vier Jahreszeiten zu nennen sowie Karl Heinz Hausers „Seven Seas“, beides beständig beste Adressen. Nur beim dritten im Bunde, Saucengott Thomas Martin gab es eine zeitgeistige Verschiebung im Küchenstil: Im ehrwürdigen Hotel Louis C. Jacob an der Elbchaussee verzichtet man seit diesem Jahr auf überinszenierte Teller, umsichtig führt Martin im Jacobs Restaurant seine französische Hochküche weiter in die Reduktion, ohne den Blick auf das Wesentliche zu verlieren: „Das bedeutet für mich faszinierende Produkte von kompromissloser Qualität, vorwiegend aus der Region, präzises Handwerk und moderne Zubereitungstechniken. Das Hauptprodukt steht für mich absolut im Mittelpunkt und wird von geschmacksintensiven Saucen getragen.“ Zeitgemäße hanseatische Gelassenheit nennt sich das im Pressetext des Hauses, und die zarte Neuerung in Richtung Purismus steht der Küche wirklich gut.
Die Revolution findet dennoch anderswo statt, das gilt auch für die allermeisten Ein-Sterner, unter denen sich Traditionsadressen wie das Landhaus Scherrer befinden, wo Chef Heinz O. Wehmann seit über 30 Jahren eine feste Größe in der deutschen Spitzengastronomie ist. Auch die jungen Restaurants in Hamburg kochen überwiegend für das traditionsbedachte Publikum, es muss sich ja wirtschaftlich rechnen. In Altona wirkt der junge Boris Kasprik im „Petit Amour“ als umsichtiger Neuerer der klassisch französischen Küche, die seit 2016 mit einem Stern ausgezeichnet ist. Auch im „Trüffelschwein“ in Winterhude ist die französische Cuisine Basis für Kirill Kinfelts hochambitionierte Küche mit internationalen Einflüssen. Seine Teller sind von kunstvoller Kleinteiligkeit, die den Vorwurf der optischen Augenwischerei mit gelungenen Kompositionen Lügen strafen.
Erstklassig: das "Lakeside" im neuen Luxushotel The Fonteney
Neue Impulse kommen von zugezogenen Köchen wie dem gebürtigen Italiener Matteo Ferrantino, zuletzt Küchenchef der mit zwei Michelin Sternen ausgezeichneten „Vila Joya“ in Portugal und seit 2017 mit seiner mediterranen Kreativküche in der Hamburger Hafencity zu Hause: Das „Bianc“ war die spannendste Neueröffnung des vergangenen Jahres. Und dann wäre da noch der Schweizer Cornelius Speinle, Küchenchef im „Lakeside“, dem Gourmet-Restaurant des im März eröffneten Luxushotels The Fontenay an der Alster. Der 31-jährige Speinle blickt auf eine bemerkenswerte Laufbahn mit Stationen bei Roger Werlé, Klaus Erfort und Heston Blumenthal zurück – Speinle erwähnt gerne die prägende Zeit beim britischen Drei-Sterne-Koch im „The Fat Duck“ in Bray, Berkshire – ein bisschen Blumenthal an der Alster, das täte Hamburg gut.
Die ersten Kritiker sind auch hier begeistert, beide Restaurants gelten als Anwärter auf einen Michelin-Stern. Einer, der auch gerne einen Stern hätte, ist der gebürtige Badener Fabio Haebel, dessen Restaurant Haebel an der Peripherie des Ausgehviertels St. Pauli ebenfalls auf die französische Küche baut – spannend neu aufgemischt mit Elementen der nordisch-skandinavischen Küche. Die Nordic Cuisine selbst ist erst seit kurzem auch in der Hansestadt zu Hause und dürfte zu jenen Strömungen zählen, die der eingangs erwähnten, typisch hamburgischen Prüfzeit für Trends und Novitäten ausgiebig unterzogen wurde: 2016 eröffnete mit dem „Heimatjuwel“ das erste Restaurant, das sich deutlich der nordischen Küche zuordnen lässt, dort wird kompromisslose Qualität mit besten Produkten aus der Region geboten. Heimatjuwel-Chef Marcel Görke gehörte einst als Küchenchef zum Team, das im „Seven Seas“ den zweiten Stern erkochte. 2017 folgte mit Björn Juhnkes Restaurant „Haco“ das zweite Restaurant, das sich der Philosophie der nordischen Küche verschrieben hatte. Beide Restaurants eint der kreative, oft spielerisch-leicht wirkende Umgang mit der oft eher verkopften Nordic Cuisine, beide setzen auf eine puristische Produktküche in lässigem Ambiente, Schwellenangst braucht hier niemand zu haben, denn das Konzept des lockeren Nachbarschaftsrestaurants gehört zum Selbstverständnis dieser spannenden Genussadressen.
Auch Hamburg bekommt jetzt eine Markthalle für Foodevents
Innovative Leuchtturmprojekte gibt es tatsächlich auch in Hamburg, zukunftsweisende Konzepte, frische Ideen, mit eigener Handschrift entwickelt. Eines dieser Projekte beginnt mit einem bitteren Witz: „Wir schreiben das Jahr 2018 und Hamburg bekommt schon jetzt eine eigene Markthalle.“ Es bleibt einem das Lachen im Halse stecken, angesichts des jahrelangen Dämmerschlafes der Stadtväter, die nicht erkennen wollten, dass eine belebte und kreativ bespielte Markthalle ein Ort der Begegnung und kulinarischen Kommunikation sein könnte. Vorreiter sind etwa die Markthalle IX in Berlin, die Torvehallerne in Kopenhagen, La Boquería in Barcelona – sie sind touristischer Magneten und nachbarschaftliche Nahversorger, die einer europäischen Hauptstadt gut zu Gesicht stehen. Als Gegenargumente wurden immer wieder der wirklich grandiose Isemarkt in Hamburg Eppendorf ins Feld geführt, die große Zahl an charmanten Wochenmärkten und der sonntägliche Fischmarkt, eher ein verlängertes Gelage für Nachtschwärmer und Touristen. Das aber sind keine Alternativen für eine permanente öffentliche Markthalle mit dem Produktreichtum der Region sowie mit niedrigschwelliger Gastronomie: ein Ort kulinarischer Kultur. Den erschafft jetzt, beherzt und hanseatisch, der Koch und Gastronom Thomas Sample quasi in Privatinitiative: Der Oberhafen in der Hamburger Hafencity bekommt eine Gastronomie mit Markthalle. Sampl und seine Mitgründer wollen in der 600 Quadratmeter großen Markthalle Lebensmittel von bis zu 200 Produzenten rund um Hamburg anbieten. Dazu gehört auch das Restaurant Hobenköök (Plattdeutsch für „Hafenküche“) mit regionaler und saisonaler Küche. „Bei uns stehen die Erzeuger und ihre Arbeit im Mittelpunkt. Ganz nach dem Motto: Wissen, wo es herkommt“, erklärt Sample. Unterstützt wird das Team dabei von der Regionalwert AG Hamburg – einer Bürger-Aktiengesellschaft, die für eine regionale, nachhaltige Landwirtschaft und gute Lebensmittel eintritt. Die nicht börsennotierte AG investierte 100 000 Euro und verbindet in ihrem Netzwerk Bürger-Aktionäre, Bauernhöfe, Lebensmittelhandwerker, Händler und Gastronomen. Die Eröffnung der Markthalle ist für August 2018 geplant.
Auch ein anderer Spitzenkoch geht neue Wege: Thomas Imbusch, Schüler von Drei-Sterne-Koch Christian Bau, begeisterte zuletzt als Küchenchef in Tim Mälzers „Off Club“ mit spannenden Themen-Menüs. Mit der „100/200 Kitchen“ erfüllt sich Imbusch jetzt den Traum vom eigenen Restaurant mit einer einzigartigen Philosophie: ein Raum, eine Küche, ein maßgeschneiderter Molteni-Monster-Herd, und wie bei jeder guten Party passiert alles direkt in der Küche: „Der Gast verbringt seinen Abend in unmittelbarer Nähe zum Küchengeschehen und zu den Menschen, die ihm seine Speisen zubereiten“, erklärt Imbusch. Dabei steht der Name 100/200 für die Basis, aus der große Küche erwächst: „Ich benötige keine Hightech-Gerätschaften, lediglich bestmögliche Produkte sowie Wasser, das bei 100 Grad kocht und einen Ofen, der auf 200 Grad läuft. Der Rest ist Handwerk.“ Seit Mitte Januar kann man das Team beim Endspurt begleiten und die Entstehung des „100/200“ über die Website sowie über das Video-Tagebuch von Thomas Imbusch auf Facebook und Instagram mitverfolgen.
Es bleibt also alles anders in Hamburg, dieser kulinarischen Metropole, die nur selten Trendsetter ist, dafür aber mit kleinen und großen Restaurants, mit legendären Adressen und jungen Köchen für eine verlässliche Vielfalt steht. Das ganze eher still und leise, mit großer Selbstverständlichkeit und ohne viel Aufhebens. Auch das ist eine hanseatische Tugend, echt Hamburg eben.
Wenn unser Hamburg-Experte Stevan Paul nicht gerade neue Entdeckungen und Rezepte auf seinem Blog nutriculinary.com teilt, schreibt er kulinarische Bücher und Reportagen oder veröffentlicht Kochbücher wie das sehr empfehlenswerte "Meine japanische Küche". Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.
Gute Adressen in Hamburg
100/200, Brandshofer Deich 68, Rothenburgsort, 100200.kitchen
Bianc, Am Sandtorkai 50, Hafencity, bianc.de
Brechtmanns Bistro, Erikastr. 43, Eppendorf, brechtmann-bistro.de
Cox, Lange Reihe 68, St. Georg, restaurant-cox.de
Haco, Clemens-Schultz-Straße 18, St. Pauli, restaurant-haco.com
Haebel, Paul-Roosen-Straße 31, St. Pauli, haebel.hamburg
Heimatjuwel, Stellinger Weg 47, Eimsbüttel, heimatjuwel.de
Hobenköök, Stockmeyerstraße 43, Oberhafen, hobenkoeoek.de
Hygge Brasserie, Baron-Voght-Str. 179, Groß-Flottbeck, hygge-hamburg.de
Jacobs Restaurant, Elbchaussee 401, Blankenese, jacobs-restaurant.de
Lakeside, Fontenay 10, Rotherbaum, thefontenay.de
Landhaus Scherrer, Elbchaussee 130, Blankenese, landhausscherrer.de
Nil, Neuer Pferdemarkt 5, St. Pauli, restaurant-nil.de
Petit Amour, Spritzenplatz 11, Ottensen, petitamour-hh.com
Restaurant Haerlin, Neuer Jungfernstieg 9 – 14, Neustadt, restaurant-haerlin.de
Seven Seas, Süllbergsterrasse 12, Blankenese, karlheinzhauser.de
The Table, Shanghaiallee 15, Hafencity, thetable-hamburg.de
Trüffelschwein, Mühlenkamp 54, Winterhude, trueffelschwein-restaurant.de
Stevan Paul
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