Gute Nachricht: Alte Wunden schließen
Vielleicht kennen Sie das: Man wollte dem Kollegen irgendwas sagen (Wichtiges!) und wird abgelenkt.
Der Gedanke ist weg, egal wie sehr man in den hintersten Hirnwindungen kramt.
Wenn es nur immer so einfach wäre mit dem Vergessen! Opfer von körperlicher Gewalt oder Missbrauch sehnen es herbei. Die Grausamkeit anderer Menschen kann das Gehirn schlecht verarbeiten. Es speichert solche Erinnerungen mitunter falsch ab, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entsteht. Irgendein Geräusch, ein Geruch oder eine andere Kleinigkeit beschwören dann das Erlebte immer wieder mit voller Wucht herauf. Solche „Flashbacks“ lähmen die Betroffenen. Die Opfer vermeiden die Auslöser und kommen nicht zur Ruhe. Schlaflosigkeit und Albträume tun ein Übriges. Die Zeit heilt bei ihnen gar nichts.
Die Neurobiologie dahinter steckt in den Kinderschuhen. Erst seit den 1980er Jahren ist PTBS eine anerkannte Krankheit, seitdem suchen Forscher nach den organischen Hintergründen. Klar ist, dass drei Hirnstrukturen beteiligt sind: Der Hippokampus – das Tor zum Gedächtnis – ist bei den Patienten bis zu ein Drittel kleiner. Der Mandelkern, der Erlebtes emotional bewertet, wächst. Und das Stirnhirn, zuständig für bewusste Entscheidungen, kann auf die angsterfüllten Erinnerungen nicht so kontrolliert zugreifen wie sonst.
Je länger das Erlebte zurückliegt und je furchtbarer es war, desto mühsamer ist das Entknoten von Gefühl und Erinnerung während der Psychotherapie. Vergessen ist nicht das Ziel. Vielmehr sollen die Opfer von einst an die Situation denken können, ohne sie immer wieder zu erleben. „Das kann zwei Jahre dauern“, sagt Ulrike Schmidt vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München.
Ein Team um Li-Huei Tsai vom MIT in Boston hat nun bei Mäusen Hinweise gefunden, warum ältere Erinnerungen so widerspenstig sind. Schuld ist ein Eiweiß namens HDAC2, schreiben sie im Fachblatt „Cell“. Wenn eine Maus lernt, dass auf einen Ton ein leichter Elektroschock folgt, lagert HDAC2 sich an bestimmte Stellen im Erbgut an. Es verhindert, dass Gene, die für das Formen neuer Erinnerungen nötig sind, abgelesen werden können. Sobald das Tier den Ton hört, bleibt es wie angewurzelt stehen. Bekommt es bereits am nächsten Tag eine „Therapie“ (der Ton ist fortan ungefährlich), löst sich das Eiweiß wieder. Die Erinnerung wird überschrieben. 30 Tage nach dem „Trauma“ hilft dagegen kein Training mehr. Nur wenn die Forscher das Eiweiß mit einem Medikament blockierten, ließ die Mäuse der Ton bald wieder kalt.
„Das heißt nicht, dass für traumatisierte Menschen HDAC2-Hemmer die Lösung sind“, sagt Schmidt. Einige sind bereits für andere neurologische Erkrankungen zugelassen. Die Forscherin hat sie in der Traumaambulanz ausprobiert – erfolglos. Trotzdem findet sie die Puzzlesteine zur Biologie der Seele wichtig. Denn nur wenn das holzschnittartige Bild von der Krankheit genauer wird, steigt die Chance auf ein zielgerichtetes Medikament. Keine unheimliche Pille, die Menschen alles vergessen lässt. Sondern eine, die Zeitfenster schafft, in denen man belastende Erinnerungen neu ordnen kann.
Jana Schlütter arbeitet im Wissenschaftsressort des Tagesspiegels.
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